Regierungskrise in Grossbritannien

Truss schmeißt hin – Johnson plant Comeback

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Die britische Premierministerin Liz Truss hat angesichts einer fatalen Regierungsbilanz nach rund sechs Wochen ihren Rücktritt angekündigt.  

Sie werde noch so lange im Amt bleiben, bis ein Nachfolger ernannt worden sei, sagte die konservative Politikerin am Donnerstag in London vor ihrem Amtssitz in der Downing Street. Graham Brady vom einflussreichen Parteikomitee 1922 zufolge soll der Nachfolger bis zum 28. Oktober feststehen.

Sie sei mit der Vision angetreten, über niedrige Steuern hohes Wachstum zu ermöglichen, sagte Truss in ihrer kurzen Rede. Dieses Mandat habe sie jedoch nicht erfüllen können. Sie habe bereits mit König Charles III. darüber gesprochen. Truss geht damit wohl als Regierungschefin mit der kürzesten Amtszeit in die britische Geschichte ein. Zuvor hielt George Canning den Rekord, der 1827 nach nur 119 Tagen im Amt starb.

Truss: "Kann Mandat nicht erfüllen"

"Ich erkenne an, dass ich in dieser Situation das Mandat, mit dem ich von der Konservativen Partei gewählt wurde, nicht erfüllen kann", sagte Truss. "Ich habe daher mit Seiner Majestät dem König gesprochen, um ihm mitzuteilen, dass ich als Vorsitzende der Konservativen Partei zurücktrete." Innerhalb der nächsten Woche solle bereits die Wahl der neuen Parteiführung erfolgen. "Dies wird sicherstellen, dass wir auf dem Weg bleiben, unsere finanzpolitischen Pläne umzusetzen und die wirtschaftliche Stabilität und die nationale Sicherheit unseres Landes zu erhalten", sagte Truss.

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© APA/AFP
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Wer ihre Nachfolge antreten wird, ist unklar. Es gab zunächst keine klare Favoritin und keinen klaren Favoriten. Der erst kürzlich ins Amt gekommene Finanzminister Jeremy Hunt lehnte Berichten zufolge eine Kandidatur umgehend ab. Ex-Finanzminister Rishi Sunak war im Sommer in einer Stichwahl um die Nachfolge von Ex-Premier Boris Johnson gegen Truss unterlegen. Doch er gilt als umstritten. Als mögliche Alternativen werden auch die für Parlamentsfragen zuständige Ministerin Penny Mordaunt und Verteidigungsminister Ben Wallace betrachtet.

Boris Johnson erwägt Comeback

Laut Berichten der Zeitungen "Times" und "Telegraph" soll auch Ex-Premier Boris Johnson eine erneute Kandidatur für den Posten planen. Johnson glaube, eine Kandidatur sei im "nationalen Interesse", hieß es in der "Times". Johnson, der nach der "Partygate"-Affäre und vielen weiteren Skandalen Anfang Juli zum Rücktritt gezwungen wurde, hat noch immer in Teilen der Partei eine loyale Unterstützerbasis. In Umfragen unter Parteimitgliedern schnitt Johnson zuletzt wieder gut ab.

Opposition fordert Neuwahlen 

Oppositionschef Keir Starmer von der Labour Party forderte eine sofortige Neuwahl. Truss war bereits ohne eigenes Mandat ins Amt gekommen, nachdem sie im vergangenen Monat Johnson abgelöst hatte. Auch die schottische Regierungschefin Nicola Sturgeon forderte eine Parlamentswahl. "Eine Neuwahl ist nun ein demokratischer Imperativ", schrieb die Chefin der Schottischen Nationalpartei (SNP) am Donnerstag auf Twitter.

Das britische Pfund wertete nach Truss' Ankündigung auf: Der Kurs legte um knapp ein Prozent zum Dollar zu. Der britische Aktienmarkt legte ebenfalls um etwa ein Prozent zu. "Da die Politik von Finanzminister Jeremy Hunt die britischen Märkte beruhigt hat, rechnet wohl niemand ernsthaft damit, dass er abgelöst wird - unabhängig davon, wer Truss ersetzt", sagte Stuart Cole, Chefvolkswirt des Brokerhauses Equiti Capital. "Die Führung der britischen Wirtschaft liegt in relativ sicheren Händen, was das Pfund vor den schlimmeren Auswirkungen des politischen Chaos schützt."

Macron besorgt, Kreml erfreut

Der französische Präsident Emmanuel Macron brachte nach der Rücktrittsankündigung von Truss Besorgnis über die politische Situation im Land zum Ausdruck. Vor dem Hintergrund des Krieges in der Ukraine, der Spannungen beim Thema Energie und noch größerer Krisen sei es wichtig, dass Großbritannien schnell wieder politische Stabilität erlange, sagte er am Donnerstag am Rande des EU-Gipfels. Dies sei auch der Wunsch Frankreichs als Freund des britischen Volkes. Zum Abschied von Truss sagte er: "Ich bin immer traurig, wenn Kollegen gehen." Er habe mit Truss stets sehr konstruktive Treffen gehabt, zuletzt beim Gipfel der neuen Europäischen Politischen Gemeinschaft in Prag.

Das russische Außenministerium begrüßte den Abgang von Truss. Sie werde wegen ihres "katastrophalen Analphabetismus" in Erinnerung bleiben. "Großbritannien hat noch nie eine solche Schande eines Premierministers erlebt", sagte die Sprecherin des Außenministeriums, Maria Sacharowa. Truss hatte der Ukraine im Krieg gegen die russischen Invasoren ihre Unterstützung zugesichert.

Truss stand nach Finanzchaos unter Druck 

Truss stand massiv unter Druck, seit sie mit geplanten Steuererleichterungen ein Finanzchaos ausgelöst hatte und später eine Kehrtwende hinlegen musste. Erst am vergangenen Freitag hatte die Premierministerin ihren Finanzminister Kwasi Kwarteng entlassen und durch den früheren Außenminister Hunt ersetzt. Dieser machte am Montag fast alle Bestandteile ihrer erst Ende September verkündeten Steuerpolitik wieder rückgängig. Er kündigte an, die eigentlich für zwei Jahre vorgesehene Energiepreisdeckelung auf sechs Monate zu beschränken.

Am Mittwoch beschleunigte das Ausscheiden von Innenministerin Suella Braverman den Verfall der Regierung. Zudem kam es im Parlament zu tumulthaften Szenen. Teilweise sollen konservative Abgeordnete eingeschüchtert und bedrängt worden sein, damit sie für die Regierung abstimmen. Viele Beobachter bezeichneten die Szenen als nie da gewesen.
 

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