Fortschrittsbericht

Weiter EU-Kritik an der Türkei

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Ankara muss nicht mit einer Aussetzung der EU-Verhandlungen rechnen, aber der Bericht der Union fällt alles andere als gut aus.

Mit der ganz großen Katastrophe muss Ankara nicht rechnen, wenn die EU-Kommission in Brüssel am Mittwoch ihren neuen Türkei-Bericht vorlegt. Vor der offiziellen Präsentation des Berichts zeichnete sich ab, dass die Kommission nicht vorschlagen wird, die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei wegen des Streits um Zypern auszusetzen. Damit soll die finnische Ratspräsidentschaft die Chance erhalten, bis zum Gipfel Mitte Dezember eine Lösung zu finden. Türkische Politiker wie der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Parlament von Ankara, Mehmet Dülger, zeigen sich zufrieden. Der Verzicht auf einen Vorschlag zur Verhandlungsaussetzung sei eine positive Entwicklung, sagte Dülger.

Kein Ende des Zypern-Konflikts
Aber das Ringen um eine Lösung im Zypern-Streit dürfte bis zur letzten Minute weitergehen. Die EU verlangt von der Türkei, sie solle bis zum Jahresende ihre Häfen für Güter aus Zypern öffnen, die zur EU gehört. Ankara will dies aber erst dann tun, wenn die EU - wie versprochen - das Wirtschaftsembargo gegen den türkischen Sektor der geteilten Insel aufhebt. Bisherige Vermittlungsversuche der Finnen sind gescheitert. Das Thema Zypern und die äußerst schwache Reformbilanz der Türkei in der letzten Zeit haben den Widerstand gegen einen türkischen EU-Beitritt in verschiedenen europäischen Hauptstädten wieder verstärkt.

Türkischen Presseberichten zufolge kritisiert die Kommission in ihrem neuen Fortschrittsbericht unter anderem auch Defizite der Türkei beim Umgang mit der christlichen Minderheit und bei der Meinungsfreiheit. Auch der in jüngster Zeit wieder offen zu Tage getretene Machtanspruch der türkischen Militärs sorgt für schlechte Bewertungen in dem Bericht.

Innenpolitische Reformen nötig
Hinter verschlossenen Türen hört die türkische Regierung von EU-Politikern deshalb eine klare Forderung: Bis zum Gipfel am 15. Dezember erwartet die EU dringend positive Signale Ankaras, was Zypern und die innenpolitischen Reformen angeht. Wenn die Türkei guten Willen zeige, sinke auch die Gefahr eines Verhandlungsstopps, lautet die Begründung. Zuletzt redete der niederländische Außenminister Bernard Bot bei einem Besuch in Ankara vor einigen Tagen seinen türkischen Gesprächspartnern ins Gewissen. Die Türkei müsse beim Thema Reformen ihre Entschlossenheit demonstrieren, sagte Bot.

Zumindest einige der von Bot angesprochenen Signale dürfte es in den kommenden Wochen tatsächlich geben. Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan deutete bereits eine Änderung des von der EU scharf kritisierten Strafrechtsartikels 301 an, der die "Beleidigung des Türkentums" verbietet und mit dessen Hilfe der Nobelpreisträger Orhan Pamuk und andere Intellektuelle vor Gericht gestellt wurden. Zudem soll das türkische Parlament bald ein neues Reformpaket verabschieden, das unter anderem Verbesserungen für die Christen im Land enthält.

Ob diese Überbrückungsmaßnahmen genügen, um in Brüssel wieder für freundlichere Stimmung zu sorgen, ist noch unklar. Beim Zypern-Konflikt muss sich die Türkei auf jeden Fall mehr einfallen lassen. Die Gefahr eines Verhandlungsstopps ist nur vorerst entschärft. Beim Gipfel im Dezember wird die Frage erneut auf die Tagesordnung kommen, wenn bis dahin nichts geschieht - Ankara hat gerade einmal fünf Wochen Zeit.

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