Schulden-Krise

Felderer: "Runter mit unseren Schulden"

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"Wirtschaftspapst" Felderer klärt auf: Wo wir 
jetzt sparen müssen – und warum.

Er ist Österreichs oberster Schuldenwächter: Bernhard Felderer, Chef des Instituts für Höhere Studien (IHS), Mitglied des Generalrats der Oesterreichischen Nationalbank und Präsident des Staatsschuldenausschusses. Wenn jemand weiß, wo der Hund begraben liegt im österreichischen Staatshaushalt, dann ist es Felderer. Und er ist es auch, der maßgeblich am Konzept „Raus aus der Schuldenfalle“ für unser Land tüftelt.
Der gebürtige Klagenfurter, der heuer seinen 70. Geburtstag feierte, ist ein wandelndes Zahlenlexikon. Von den Erträgen unserer Exportwirtschaft bis zu den Einnahmen aus einzelnen Steuern – er hat alles im Kopf. Und eben auch unseren Schuldenberg (rund 218 Milliarden Euro), für den wir immer höhere Zinsen zahlen müssen, weil an den hochnervösen Märkten auch das Vertrauen in Österreich als soliden Schuldner schwindet.

Felderer war es, der erst kürzlich warnte: Wenn wir nichts tun, laufen wir Gefahr, unsere Bestnote (das Triple-A-Rating) punkto Kreditwürdigkeit zu verlieren. Die jetzt von der Regierung beschlossene Schuldenbremse war da praktisch eine Last-Minute-Ak­tion, um die Kurve noch zu kratzen. Österreich ist eines von sechs Euroländern, die derzeit (noch) mit der höchsten Bonitätsnote bewertet werden. Im Sog der aktuellen Krise misstrauen die Investoren allen europäischen Ländern, sagt Felderer. Bis auf Deutschland, denn unsere Nachbarn „haben die gute Konjunktur der letzten eineinhalb Jahre zum raschen Schuldenabbau genutzt“, so Felderer. Österreich hat das nicht getan – und wird nun hart rangenommen. Auf gut 40 Mrd. Euro beziffert Felderer unser nötiges Sparvolumen bis 2020 (siehe Interview).

Und das bei alles andere als rosigen Aussichten für unsere Wirtschaft, zumindest im nächsten Jahr. „Alle müssen beitragen“, so Fel­derer. Und sorgte erst Ende der Woche mit seinem Vorschlag einer Nulllohnrunde für die Beamten für Wirbel. Aber man solle sich mal andere Länder anschauen. „In Portugal wurden öffentlich Bediensteten in den letzten eineinhalb Jahren teils 45 Prozent des Gehalts weggestrichen.“ So viel sei fix: „Wir werden an allen Ecken und Enden einsparen müssen, damit wir von den Schulden so weit runterkommen, dass uns die Finanzmärkte wieder in Ruhe lassen."
 

»Alles möglich bis zu Zerfall der Eurozone«

ÖSTERREICH: Herr Felderer, es geht die Angst um, dass Österreich seine Bestnote hinsichtlich der Kreditwürdigkeit, das sogenannte Triple-A-Rating, verlieren könnte. Ist diese Gefahr tatsächlich gegeben?
Bernhard Felderer: Im Moment nicht. Die letzten Berichte der Ratingagenturen Moody’s und Standard & Poor’s zur Lage in Österreich sind ein paar Monate alt und waren exzellent. Ich rechne auch nicht damit, dass das bei den jetzt entstehenden neuen Berichten wesentlich anders ist. Früher haben diese Agenturen Österreich nur einmal jährlich geprüft, jetzt tun sie es öfter. Aber das betrifft nicht nur Österreich, sondern auch andere europäische Länder. Weil die Kunden der Ratingagenturen, die Investoren, in diesen unsicheren Zeiten häufig aktualisierte Berichte verlangen.

ÖSTERREICH: Aber an den Finanzmärkten wird teils schon gegen Österreich spekuliert.
Felderer: An den Märkten herrschen derzeit extreme Nervosität und Hysterie. Weil niemand weiß, wie es weitergeht mit der Schuldenkrise. Tatsache ist aber, dass Österreich nach wie vor gut dasteht. In den Berichten der Ratingagenturen wird es vielleicht ein paar Absätze geben zu den Maßnahmen zur Haushaltskonsolidierung, die Österreich jetzt treffen sollte. Dem sind wir mit der Schuldenbremse aber quasi zuvorgekommen. Die Schuldenbremse ist ein wichtiges Instrument, um den Märkten zu signalisieren, dass wir auch in Zukunft noch rückzahlungsfähig sein werden.

ÖSTERREICH: Besonders großes Vertrauen scheinen die Investoren aber nicht in Österreich zu haben – die Zinsen, die wir für unsere Staatsanleihen bezahlen müssen, steigen. Trotz Schuldenbremse.
Felderer: Erstens muss die Schuldenbremse erst in ein Verfassungsgesetz gegossen werden. Und zweitens ist das ja am Markt noch nicht bekannt. Es gibt Tausende Marktteilnehmer auf der ganzen Welt, die haben doch keine Ahnung, dass in Österreich eine Schuldenbremse kommen soll. Wie soll der Manager irgendeines Pensionsfonds in Tokio beispielsweise davon wissen? Wenn die Schuldenbremse offiziell unter Dach und Fach ist, wird das über die Ratingagenturen bekannt gemacht werden.

ÖSTERREICH: Woher kommt die Hysterie derzeit?
Felderer: Durch die Situation in Italien. Das ist die ganz große Unsicherheit, die auch uns gefährdet. Was wird passieren, wenn Italien es nicht schafft, die Finanzmärkte zu überzeugen, dass es auch in zehn Jahren seine Schulden noch zurückzahlen kann? Was dann geschieht, weiß niemand.

ÖSTERREICH: Welche Lösungen für das Italien-Problem sehen Sie?
Felderer: Die Hauptfrage ist, ob die Deutschen es erlauben werden, dass die Europäische Zentralbank die Finanzierung der italienischen Schulden übernimmt. Das würde natürlich zu einer hohen Inflation führen. Wenn die Deutschen deshalb bei ihrem Nein bleiben, haben wir ein wirkliches Problem. Das kann bis zum Auseinanderfallen der Eurozone gehen.

ÖSTERREICH: Wären Sie denn für eine Finanzierung der Italien-Schulden durch die EZB?
Felderer: Das ist eine heikle Frage, es gibt Argumente dafür und dagegen. Die Amerikaner sind der Meinung, Inflation sei kein Problem, also lasst die EZB das machen. Aber man muss sich schon bewusst sein, dass dann wir alle – denn die EZB gehört allen Euroländern – den italienischen Konsum finanzieren. Aber möglicherweise wird die Situation so kritisch sein, dass es keine Alternative gibt.

ÖSTERREICH: Wird die Eurokrise noch schlimmer?
Felderer: Wir haben keine Krise des Euro, sondern eine Schuldenkrise einzelner Staaten. Und um es noch einmal zu betonen: Der Schlüssel liegt in Italien. Erst wenn das Problem dort gelöst wird, was sicher noch einige Zeit dauert, wird sich der Sturm über Europa legen oder jedenfalls wesentlich schwächer werden.

ÖSTERREICH: War der Euro als solcher eine Fehlkonstruktion? Wird es ihn in fünf Jahren noch geben?
Felderer: Natürlich. Ich glaube an den Euro. Zugegeben, es war sozusagen eine unkonventionelle Art der Zusammenarbeit. Denn sie folgte nicht dem üblichen Muster, dass man die einheitliche Währung in einem Gebiet einführt, dessen Staaten ziemlich homogen sind. Man hat damit gerechnet, dass es zu einer Konvergenz der Wirtschaftspolitiken kommt, weil es die Wechselkurspolitik nicht mehr gibt, und die Italiener und Griechen ihre Währung nicht mehr abwerten können, sondern interne Anpassungen vornehmen müssen. Das war eine Hoffnung, die sich leider nicht bewahrheitet hat.

ÖSTERREICH: Sehen Sie Möglichkeiten, die Spekulation ­gegen Krisenländer an den Märkten einzudämmen? Sollte man Ratingagenturen verbieten, nachdem an deren Wertungen alles hängt?
Felderer: Das geht nicht – die Investoren brauchen etwas, woran sie sich orientieren können. Ein diskussionswürdiger Vorschlag ist, die Ratings für Krisenländer temporär auszusetzen. Das gibt es ja auch bei Unternehmen, dass die Aktien zeitweise aus dem Handel genommen werden.

ÖSTERREICH: Zurück zu Österreich und zur Schuldenbremse. Ein wie großes Sparpaket müssen wir schnüren?
Felderer: Um unseren Schuldenberg wie jetzt geplant bis 2020 auf 60 Prozent der Wirtschaftsleistung zu reduzieren, müssen wir gut 40 Milliarden Euro einsparen.

ÖSTERREICH: Woher soll das Geld kommen?
Felderer: Es gibt sehr viele Bereiche mit großem Einsparpotenzial. Das betrifft alle Gebietskörperschaften (Bund, Länder, Gemeinden) und unser Meer an Förderungen. In Österreich wird alles und jedes gefördert – vom Kirchtag bis zum Feuerwehrumzug und Brauchtumsverein. Wir sollten jetzt die Chance ergreifen und unterscheiden, was wirklich wichtig und was nicht mehr zeitgemäß ist.

ÖSTERREICH: Was halten Sie von neuen Steuern?
Felderer: Da bin ich sehr skeptisch. Mehr Steuern bedeuten negative Anreize, konkret fragen sich die Leute dann, warum sie überhaupt so viel arbeiten sollen, wenn eh immer mehr ans Finanzamt fließt. Auf der steuerlichen Seite sollte bei der Sanierung allenfalls darauf geachtet werden, Verteilungseffekte auszugleichen, da das ausgabenseitige Sparprogramm niedrige Einkommensklassen härter trifft.

ÖSTERREICH: Was wäre mit ­einer Reichensteuer?
Felderer: Kapital zu besteuern ist sehr schwer, denn das ist besonders mobil und im Zweifelsfall ganz schnell im Ausland. Es gilt aber, die Wirtschaft voranzutreiben mit Kapital, das hier investiert wird. Eine Reichensteuer würde das Wachstum dämpfen. Doch wir brauchen Wachstum, dann gibt es bei den Einsparungen weniger Grausamkeiten.

ÖSTERREICH: Von Wirtschaftswachstum kann aber wohl nächstes Jahr sowieso keine Rede sein, oder?
Felderer: Schon heuer wird das vierte Quartal sehr schwach, und 2012 wird ein sehr schweres Jahr. Wir können auch eine Rezession ja nicht mehr ausschließen.

ÖSTERREICH: Und trotzdem müssen wir hart sparen …
Felderer: Bei schwacher Konjunktur ist Sparen natürlich viel schwieriger. Deshalb ist eine Idee, dass wir jetzt beziehungsweise im nächsten Jahr weniger sparen, und später dann mehr – um über die Jahre bis 2020 den notwendigen Betrag zusammenzukriegen. Schon für 2013 wird ja wieder mit einer besseren wirtschaftlichen Situation gerechnet.

Interview: Angela Sellner

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