Sklavenähnliche Arbeitsverhältnisse in der italienischen Agrarbranche sorgen für Entsetzen, die Forderung nach mehr Kontrollen wächst.
Italiens Landwirtschaft sitzt auf der Anklagebank. Nach dem Tod eines indischen Erntehelfers bei einem Arbeitsunfall auf den Feldern südlich von Rom tobt die Debatte über die sklavenähnlichen Arbeitsverhältnisse in der Agrarbranche. Die Regierung hat nach dem Unfall die Kontrollen gegen Schwarzarbeit in der Landwirtschaft verschärft. Die Ergebnisse sind erschütternd: Bei 66 Prozent der kontrollierten Landwirtschaftsunternehmen wurden Rechtsverstöße festgestellt.
Der 31-jährige Satnam Singh starb eines schrecklichen Todes: Eine Verpackungsmaschine auf dem Feld, auf dem er Melonen erntete, schnitt ihm den Arm ab und zerschmetterte seine Beine. Sein italienischer Arbeitgeber, ein Landwirtschaftsunternehmer aus Latina, 60 Kilometer südlich von Rom, leistete keine Hilfe. Statt einen Krankenwagen zu rufen, warf er den abgetrennten Arm auf eine Gemüsepalette und brachte Singh und seine ebenfalls auf dem Feld arbeitende Frau in ihre Behausung zurück. Erst als italienische Nachbarn des indischen Paares eingriffen, wurde Singh per Hubschrauber ins Krankenhaus in Rom eingeliefert, wo er zwei Tage später an Verblutung starb. Bei der Autopsie wurde festgestellt, er wäre noch am Leben, hätte er rechtzeitig Hilfe bekommen. Der 39-jährige Arbeitgeber wurde festgenommen.
Der Fall schockiert die italienische Öffentlichkeit und nährt neue Diskussionen über die oft dramatischen Arbeitsbedingungen auf den italienischen Feldern. Experten zufolge erhalten Arbeiter ohne Papiere in Süditalien 30 Euro Lohn pro Tag für bis zu 14 Stunden Arbeit. Sie müssen in gettoartigen Siedlungen wohnen.
Vor einigen Tagen wurden italienweit 310 Landwirtschaftsbetriebe kontrolliert, von denen 206 (66 Prozent) wegen Rechtsverstöße als "nicht in Ordnung" eingestuft wurden. Die Situation von 2.051 Arbeitnehmern wurde überprüft; von ihnen waren 616 (30 Prozent) illegal beschäftigt, 216 Personen waren überhaupt nicht gemeldet. Nach den Kontrollen wurden Bußgelder in Höhe von 1,68 Mio. Euro verhängt. 171 Personen wurden angezeigt, u.a. wegen Verstöße gegen die Gesundheits- und Sicherheitsvorschriften am Arbeitsplatz. An den Kontrollen waren 1.240 Personen beteiligt, davon 690 Polizisten (Carabinieri) und 550 Inspektoren der Arbeitsaufsichtsbehörde.
Schätzungen der größten italienischen Gewerkschaft CGIL zufolge haben bis zu 230.000 Menschen keinen Arbeitsvertrag - mehr als ein Viertel der landwirtschaftlichen Saisonarbeiter des Landes. Immer wieder hat die Regierung in Rom unter verschiedenen Ministerpräsidenten versucht, die Missstände zu bekämpfen - ohne Erfolg. Vor allem in Süditalien ist die Lage schwierig. Hier floriert der "Caporalato", eine illegale Form der Anwerbung von hauptsächlich ausländischen Arbeitskräften durch Vermittler. Die Angeworbenen bekommen ein Flugticket und eine Arbeitserlaubnis für eine Saison, die sie teuer bezahlen müssen. Auch für ihre Unterkünfte müssen sie mit ihrem Hungerlohn aufkommen.
Viele Ausländer, die in der süditalienischen Landwirtschaft arbeiten, wohnen in Hütten ohne Strom und Wasser. Hinter der Ausnutzung der Tagelöhner stecke meistens die Mafia, die sich mit dem Menschenhandel bereichere, so Branchenkenner.
Doch einiges kommt inzwischen in Bewegung und zwar dank des wachsenden Widerstands der ausgebeuteten Arbeiter. 140 ausländische Schwarzarbeiter, die jahrelang auf den Feldern der mittelitalienischen Provinz Viterbo nördlich von Rom ausgebeutet wurden, haben eine Sammelklage gegen ihren Arbeitgeber eingereicht. Sie berichteten dass sie sechs Tage pro Woche 13 Stunden am Tag arbeiten mussten. Dabei wurden sie mit drei bis sieben Euro pro Stunde bezahlt. Die Klage wird vor einem Gericht in Viterbo behandelt. Die Arbeitskräfte, die vor allem aus Pakistan und dem Senegal stammen, forderten Entschädigung von ihrem Arbeitgeber, der sie jahrelang eingeschüchtert und bedroht hatte. Viele Schwarzarbeiter hatten keine Aufenthaltsgenehmigung in Italien.
Dabei wurde in Italien 2016 gesetzlich geregelt, dass bis zu sechs Jahren Haft für die Ausbeutung von Schwarzarbeitern auf den Feldern drohen. Diese Strafe kann um weitere zwei Jahre verschärft werden, wenn der Arbeitnehmer geschlagen oder schwer bedroht wurde. Neben den Haftstrafen sind auch Geldstrafen zwischen 500 und 1.000 Euro pro Schwarzarbeiter vorgesehen. Dieser Betrag steigt auf 2.000 Euro wenn der Arbeitnehmer Gewalt erlitten hat oder bedroht wurde. Auch Entschädigungen sind für die Opfer vorgesehen.
Zwar gebe es in Italien Gesetze gegen sklavenmäßige Arbeitsverhältnisse, die Kontrollen seien aber unzulänglich, kritisieren die Gewerkschaften. Sie sollten wöchentlich durchgeführt werden, verlangen die Arbeitnehmerorganisationen. Dabei müssten nicht nur die Polizei, sondern auch die Gemeinden flächendeckend eingebunden werden.