Burgtheater

Therese Willstedt: "Thomas Bernhards Labyrinth gleicht einem Mindf**k"

Schwedische Regisseurin Therese Willstedt bringt Bernhards letzten Roman auf die Bühne - "Ich kann mich mit der Thematik sehr gut identifizieren" - Premiere am 16. Oktober im Burgtheater 

Nach ihrem Erfolg mit „Orlando“ im Akademietheater kehrt die schwedische Regisseurin Therese Willstedt an das Burgtheater zurück – und bringt erneut eine Vervielfachung auf die Bühne. In ihrer Dramatisierung von Thomas Bernhards letztem Roman „Auslöschung. Ein Zerfall“ (Premiere am 16. Oktober) werden diesmal gleich acht Franz-Josef Muraus auf der Bühne stehen.

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Trotz der Parallele zu ihrer früheren Arbeit sei diesmal alles anders, betont Willstedt im Gespräch mit der APA. „Ich bin sehr aufgeregt, weil die Arbeit sehr interessant und komplex ist“, sagt die Regisseurin nach einer Probe. „Auslöschung ist wirklich eine riesige Komposition, und nun liegt es an mir, all die Schichten und Ebenen zu erfassen und gleichzeitig meine eigene Interpretation hineinzubringen.“

Im Roman blickt der in Rom lebende Erzähler Franz-Josef Murau nach dem Unfalltod seiner Eltern und seines Bruders auf seine Kindheit in Oberösterreich zurück. Er konfrontiert sich mit der Schuld und den nationalsozialistischen Verstrickungen seiner Familie – ein Versuch, die eigene Herkunft „auszulöschen“. Auf der Bühne stehen unter anderem Norman Hacker, Lilith Häßle, Jörg Ratjen und Andrea Wenzl.

"Eines der kraftvollsten Werke"

Für Willstedt zählt Bernhards Werk zu den eindrucksvollsten Schöpfungen des Autors: „Für mich ist Auslöschung eines der kraftvollsten Werke, die Bernhard geschaffen hat. Ich kann mich mit der Thematik sehr gut identifizieren, weil das Werk in vielerlei Hinsicht von Trauma in verschiedenen Variationen handelt – auf persönlichen wie kollektiven Ebenen.“


 

Um den dichten Monolog des Romans in eine spielbare Form zu bringen, hat Willstedt den Erzähler vervielfacht. Acht Schauspieler teilen sich die Rolle des Murau. „Der Text ist ein Labyrinth, eine Spirale von Gedanken, hinter denen ein großer Aufruhr steckt. Anstatt nur eine Stimme auf der Bühne zu haben, wollte ich Muraus Geschichte von mehreren erzählen lassen. Das gibt dem Publikum die Möglichkeit, sich in einer der Personen selbst zu spiegeln.“

Der Zugang erinnert an ihre Inszenierung von Virginia Woolfs Orlando, in der sie ebenfalls mit Mehrfachbesetzungen arbeitete – doch diesmal, so Willstedt, sei der Ansatz ein anderer: „Bei Orlando waren alle im emotionalen Zustand der Figur, hier schaffen wir durch die Erzählhaltung mehr Distanz zum Material.“

Sprachliche Treue

Auch sprachlich bleibt sie Bernhard treu. „Wir behalten die langen Sätze natürlich bei. Sonst wäre der Charme und die Intelligenz der Auslöschung verloren. Diese Satzstrukturen haben so viel mit dem Geisteszustand von Murau zu tun. Er ist kompliziert, traumatisiert – und auch unsympathisch. Er will das Böse sezieren, merkt aber nicht, dass es auch in ihm selbst lebt.“

Trotz der Veröffentlichung im Jahr 1986 sieht die Regisseurin Bernhards Werk als hochaktuell: „Er zeigt, dass wir alle Teil einer gesellschaftlichen Struktur sind – ob wir es wollen oder nicht. Es geht um den Kampf gegen unsere Unwissenheit, unsere Gleichgültigkeit. Das macht Auslöschung zeitlos relevant.“


 

Freiheit als Vorteil

Die Auseinandersetzung mit Bernhard in Wien, wo das Publikum Autor und Werk genau kennt, empfindet Willstedt nicht als Hemmnis, sondern als Vorteil. „Es gibt mir Freiheit. Das Publikum weiß, wofür Bernhard steht – darauf kann ich aufbauen, statt alles neu erklären zu müssen.“

Auch Bernhards Humor will sie auf der Bühne nicht unterschlagen: „Sein grotesker Humor ist eine gute Antwort auf den Wahnsinn der Welt. Immer, wenn ich über diese Inszenierung nachgedacht habe, dachte ich: Dada! Fluxus! Das erlaubt mir, mit der Absurdität mitzugehen. Bernhards Labyrinth gleicht einem Mindfuck – aber wenn man herauszoomt, ergibt alles Sinn.“

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