Mörderische Literaturszene

Zweiter Rowling-Krimi "Der Seidenspinner" ist da

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Potter-Autorin setzt literarische Zweitkarriere als Robert Galbraith fort.

"Literatur ist die Rede wert", heißt eine Literatursendung von Ö1. Aber ist Literatur ein Verbrechen wert? Im Fall des Romans "Bombyx Mori" (Lateinisch für "Seidenspinner") ist es sogar ein besonders grausamer Mord, dem der Autor des noch unveröffentlichten Buches zum Opfer fällt. Erzählt wird sein Fall in "Der Seidenspinner", dem heute (24. November) auf Deutsch erscheinenden zweiten Krimi von J.K. Rowling.

Die Enttarnung des Autorennamens Robert Galbraith als Pseudonym der prominenten Autorin, die mit der "Harry Potter"-Serie zu einer der reichsten Frauen Großbritanniens wurde, begleitete im Vorjahr das Erscheinen des Kriminalromans "Der Ruf des Kuckucks" und trieb seine Verkaufszahlen in die Höhe. Nun sind ihre beiden damals eingeführten Helden, der in London als Privatdetektiv tätige einbeinige Afghanistan-Veteran Cormoran Strike und seine hübsche und toughe Assistentin Robin, zurück.

Literatur-Satire
Besonders pikant: Der neue Fall spielt in Londons Autoren- und Verlegerszene, und ähnlich wie bei dem von ihr beschriebenen Buch des eitlen, publicitysüchtigen und schließlich getreu seiner eigenen Schluss-Szene grässlich massakrierten Autors Owen Quine dürfte das Rätseln in der Branche groß gewesen sein: Who is who? Das neue Buch ist nicht nur ein Krimi, sondern auch eine ziemlich bissige Satire über einen Literaturbetrieb, in dem Neurosen und Eitelkeiten sorgsam gepflegt werden und auf dem Weg zu Ruhm, Ehre und Verkaufserfolg jedem alles zuzutrauen ist.

Abseits dieser Insider-Reize liefert "Der Seidenspinner" das, was schon "Der Ruf des Kuckucks" geboten hat: gediegene Krimi-Spannung einer Autorin, die es ausgezeichnet versteht, Charaktere zu entwickeln, Situationen zu beschreiben und Atmosphäre aufzubauen. Der Schmöker ist das Richtige für lange herbstliche Lektüre-Abende, und wenn man sich so richtig in das Buch vertieft hat, in dem England in der Vorweihnachtszeit vorübergehend im Schnee versinkt, dann ist man sicher, dass es draußen weiß sein wird, wenn man den nächsten Blick aus dem Fenster wirft.

Man hat das ungleiche Ermittler-Duo bald ins Herz geschlossen, leidet mit dem sich von seiner Prothese und entzündeten Bein-Stumpf immer wieder ganz buchstäblich behindert fühlenden bärenstarken Detektiv genauso mit wie mit seiner Assistentin, die versucht, ihren eifersüchtigen Bräutigam zu besänftigen und gleichzeitig ihrem Chef ihre detektivischen Fähigkeiten zu beweisen.

Weihnachts-Tipp
Dass sich das Ganze auf getrost 200 Seiten weniger erzählen ließe, dass sich Rowling alias Galbraith immer wieder in Details und Seitenstränge verrennt, anstatt zügig auf ihr Ziel loszuerzählen, ist eine Schwäche, die sich bereits bei ihrem Erstling bemerkbar gemacht hat. Dennoch kann "Der Seidenspinner" getrost zur Lektüre oder als Weihnachtsgeschenk empfohlen werden. Um Seidenfäden zu gewinnen, werden übrigens Seidenraupen nach ihrer Verpuppung mit kochendem Wasser getötet. Dieses spezifische Detail menschlicher Grausamkeit erfährt man in dem Buch lange, bevor die erste Leiche gefunden wird...

Robert Galbraith: "Der Seidenspinner", Aus dem Englischen von Wulf Bergner, Christoph Göhler und Kristof Kurz, Blanvalet, 672 S., 20,60 Euro

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