Wie viel muss man über seine/n Verlobte/n wissen? Urteil zu Jungfräulichkeit löst in Frankreich Empörung aus.
(c) sxcEin paar der rund 500 Hochzeitsgäste im nordfranzösischen Roubaix tranken noch zusammen Tee, als der Bräutigam mitten in der Nacht wieder in den Festsaal herunterkam. Fassungslos, weil seine Braut ihn angelogen hatte.
Keine Jungfrau
Denn die Schwesternschülerin war keine Jungfrau mehr, wie sie ihm ursprünglich gesagt hatte; das hatte der junge Mann gerade festgestellt. Und er zögerte nicht lange.
Gleich am nächsten Tag ging der muslimische Ingenieur los und beantragte vor Gericht die Aufhebung der Ehe - und er bekam Recht. Das Urteil löst in Frankreich Empörung aus.
Bestürzung
Sie sei "bestürzt", erklärte die französische Staatssekretärin und Frauenbeauftragte Valerie Letard. Offenbar könne das französische Strafrecht so ausgelegt werden, dass es einem "Rückschritt für den Status der Frau" gleichkomme.
Der Abgeordnete Jacques Myard von der konservativen Regierungspartei UMP nannte den Richterspruch schockierend, weil er "einen altertümlichen Fundamentalismus" fördere. UMP-Sprecher Frederic Lefebvre forderte, Justizministerin Rachida Dati solle ein Berufungsverfahren in Gang bringen.
Auflösung wegen Täuschung
Die Richter in Lille hatten ihr Urteil mit einem Paragrafen begründet, der Eheleuten das Recht gibt, die Ehe binnen fünf Jahren für nichtig erklären zu lassen, wenn sie über "wesentliche Eigenschaften der Person" getäuscht wurden.
Angewandt wird der Paragraf, wenn ein Mann zum Beispiel herausfindet, dass seine Frau vor der Ehe als Prostituierte gearbeitet hat, oder wenn eine Frau im Nachhinein feststellen muss, dass ihr Mann schon einmal verheiratet war und geschieden ist. An einen Fall, bei dem es um die Jungfräulichkeit der Braut ging, erinnert sich niemand im französischen Justizministerium.
Sexualität der Frau
Die Frauenorganisation "Weder Hure noch Unterworfene" sprach von einer "Fatwa gegen die Freiheit der Frau". Die französische Philosophin Elisabeth Badinter erklärte, sie schäme sich für die Justiz. Die Sexualität der Frau sei in Frankreich "eine persönliche und freie, vollkommen freie Angelegenheit".
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Jungfernhäutchen operativ wiederherstellen
Ein derartiges Gerichtsurteil werde höchstens dazu führen, dass noch mehr junge muslimische Frauen ins Krankenhaus gingen, um ihr Jungfernhäutchen operativ wiederherstellen zu lassen. "Anstatt die jungen Frauen zu verteidigen, erhöht das Gericht den Druck auf sie noch", kritisierte Badinter.
Im Großraum Paris sind chirurgische Eingriffe zur "Reparatur" des Jungfernhäutchens für rund 1.000 bis 2.000 Euro zu haben, wie die Zeitung "Le Parisien" berichtete - demnach bieten Reisebüros sogar OP-Aufenthalte in Tunesien an, wo eine sogenannte Hymenoplastik nur 1.250 Euro koste. Seit fünf Jahren steige die Nachfrage nach solchen Operationen stetig, sagte ein Pariser Schönheitschirurg dem Blatt.
Nicht-Jungfrauen haben es schwer
Zwar lehnt der französische Gynäkologenverband Operationen wie die Hymenoplastik nach eigenen Angaben ab, weil sie "die Unterwerfung der Frauen" und das Macho-Gehabe von Männern förderten. Ein Sozialarbeiter aus dem Pariser Vorort Aubervilliers sagte dagegen:
"Eine Frau, die keine Jungfrau mehr ist, würde sich hier ganz schön schwertun, einen Ehemann zu finden." In Frankreich leben rund fünf Millionen Muslime, bei einer Gesamtbevölkerung von rund 61 Millionen Einwohnern.
Lüge als Trennungsgrund
Auf einer Lüge habe sein Mandant keine Beziehung aufbauen können, erklärt der Anwalt des Klägers, Xavier Labbee. Der Mann habe sich von der Braut "betrogen" gefühlt. "Wenn sie gleich die Wahrheit gesagt hätte, hätte er sie vielleicht trotz alledem geheiratet."
So aber sei die Annullierung immer noch besser als eine Scheidung, rechtfertigte der Anwalt das Vorgehen: Die Ehe werde einfach "gelöscht".