Davon drei Monate unbedingt
Ein Kontaktmann des Attentäters von Wien, der am 2. November 2020 in der Innenstadt vier Menschen erschossen und 23 weitere zum Teil schwer verletzt hat, ist am Montag am Landesgericht für Strafsachen wegen terroristischer Vereinigung und krimineller Organisation zu einem Jahr Haft, davon drei Monate unbedingt verurteilt worden. Der Schuldspruch erging zu einem einzigen Anklagepunkt, von sämtlichen anderen inkriminierten Fakten wurde der 26-Jährige freigesprochen.
Der Schuldspruch bezog sich auf ein Foto, das der Angeklagte 2015 an 24 Personen, mit denen er in einer Chat-Gruppe war, weitergeleitet hatte. Es zeigte eine tschetschenische Flagge mit dem Symbol der radikalislamistischen Terror-Miliz "Islamischer Staat" (IS). Dafür erhielt der bisher Unbescholtene die vom Gesetz vorgegebene Mindeststrafe, von der ihm zudem der Großteil bedingt nachgesehen wurde. Der 26-Jährige hatte sich seit 3. November durchgehend in U-Haft befunden, mehrere Haftbeschwerden waren zurückgewiesen worden.
Nichts rechtskräftig
Das Urteil ist nicht rechtskräftig. Verteidiger Sinan Dikme (Kanzlei Rast Musliu) meldete Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung an, die Staatsanwältin gab keine Erklärung ab. Da die U-Haft auf die Strafe angerechnet wurde, kam der 26-Jährige unmittelbar nach der Verhandlung auf freien Fuß.
Der Mann hatte sich zu sämtlichen Anklagepunkten "nicht schuldig" bekannt. Er sei "ein ganz normaler Moslem", mit Terror habe er nichts am Hut. Zum von der Polizei erschossenen Attentäter meinte er: "Ich hab' ihn nicht sehr gut gekannt. Er hat nicht sehr viel geredet."
Die Staatsanwältin räumte in ihrem Eingangsstatement ein, dass es zwar keine Hinweise auf eine direkte Beteiligung des 26-jährigen Tschetschenen "an diesem feigen, hinterhältigen Anschlag" gebe. Im Zuge der Ermittlungen zum Attentat sei man aber auf den Tschetschenen "aufmerksam geworden", der 2008 nach Österreich gekommen war, die Schule und eine Lehre abgeschlossen hatte und zuletzt als Karosserie- und Bautechniker arbeitete. Bei einer Hausdurchsuchung in seiner Unterkunft habe man Handys und Datenträger sichergestellt, die Auswertung habe ergeben, dass er in einer einschlägigen Chat-Gruppe IS-Propagandamaterial geteilt hatte, "um andere für dieses Weltbild begeistern zu wollen", wie die Anklägerin festhielt.
Er habe sich weiters "an Zusammenkünften anderer Dschihadisten beteiligt" und dabei auch den späteren Attentäter getroffen. Ab Sommer 2019 nahm der Mann an regelmäßigen Treffen in einer Wohnung in St. Pölten teil. Donnerstags und samstags wurde Arabisch gelehrt, sonntags laut Anklage "einem kleineren, ausgewählten Personenkreis" religiöser Unterricht erteilt, wobei radikale Glaubensinhalte und der IS hochgehalten worden sein sollen. Bei zwei dieser Treffen - konkret am 27. September und am 25. Oktober - war neben dem Angeklagten nach Erkenntnissen des Verfassungsschutzes auch der spätere Attentäter von Wien anwesend, wobei er dabei offen einen IS-Ring getragen und präsentiert haben soll. Der Angeklagte soll wiederum dem "inneren Kreis" dieser Gruppe angehört und einen von drei Schlüsseln zur Wohnung besessen haben, die eine Bibliothek mit radikalem Schriftgut enthielt.
"Bete fünf Mal täglich"
Für den Angeklagten und seinen Rechtsbeistand waren die Vorwürfe nicht nachvollziehbar. Er sei zwar gläubig, bete fünf Mal am Tag, faste im Ramadan, lehne aber den IS ab: "Das sind Terroristen, ganz klar." Auf Vorhalt, dass er in Wien eine Moschee besucht hatte, in der eine radikale Auslegung seines Glaubens gepredigt wurde, erwiderte der 26-Jährige: "Die haben auf Arabisch oder Bosnisch gepredigt. Ich habe kein Wort verstanden."
In der Wohnung in St. Pölten sei er gewesen, um Arabisch zu lernen, "dass ich den Koran besser verstehen kann". Über den IS sei dort "nie gesprochen worden, wo ich dabei war".
"In diese Wohnung sind ein Haufen Menschen gegangen", ergänzte Rechtsvertreter Dekme. Von dort gehaltenen Vorträgen gebe es Audio-Aufnahmen: "Die reden nicht vom IS." Eine Verbindung seines Mandanten zum Attentäter "besteht nicht".
Bezüglich der angeblichen Verbreitung von IS-Propagandamaterial bemerkte Dekma, von den Ermittlern wären 81.810 Daten analysiert worden, die sich auf beschlagnahmten Datenträgern des Tschetschenen fanden. Davon habe die Staatsanwaltschaft ganze fünf Bilder in ihre Anklage einbezogen, darunter etwa das Foto einer Massenerschießung von Moslems durch britische Soldaten aus dem Jahr 1914: "Ich hab' nicht verstanden, was da den IS verharmlosen soll."
In weiten Teilen folgte das Gericht nach einem umfangreichen Beweisverfahren insofern dem Angeklagten, als am Ende festgestellt wurde, bei den inkriminierten Fotos sei mit einer Ausnahme "kein Bezug zum IS herzustellen". Man müsse die Beweislage "nüchtern und ohne Emotionen betrachten", betonte der Vorsitzende in der Urteilsbegründung. Das gelte auch für die Treffen in der St. Pöltner Wohnung, in der es zwar "eine gut ausgestattete salafistische Bibliothek" gegeben habe und zwei wegen terroristischer Vereinigung verurteilte Männer - darunter der spätere Attentäter - verkehrt hätten. Die Angaben des Angeklagten, dass dort nicht die Lehren des IS gepredigt wurden, seien aber "trotz einiger Hinweise nicht zwingend zu widerlegen", so der Richter.