Im Interview

Die rote Rebellin von Graz

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Seit einer Woche hat Graz einen neuen Polit-Star: Die KPÖ-Chefin Elke Kahr.

Wäre sie nicht eine Marxistin aus dem Bilderbuch, hätte Elke Kahr mit Sicherheit den Titel „Die heilige Elke von Graz“. Bei der KPÖ-Chefin stehen die Menschen im Grazer Rathaus Schlange. Hier, wissen die Notbedürftigen, wird ihnen tatsächlich geholfen. Elke Kahr fackelt nicht lange herum, sondern hilft prompt. 5.400 Euro netto verdient die 52-Jährige. „So viel Geld brauche ich nicht.“ Sie lebt von 1.800 Euro. Den Rest verteilt sie an Grazer in Not. „Im Jahr sind es zwischen 50.000 und 55.000 Euro“, so Kahr. Almosenpolitik nennen es ihre Kritiker.

Doch die Grazer honorieren die soziale Ader. Letzten Sonntag landete sie bei den Gemeinderatswahlen in Graz mit 20 Prozent auf Platz 2. Die überzeugte Marxistin wird die Vizebürgermeisterin von Graz. Mit dem Blitzlichtgewitter und Interviews tut sich Kahr noch schwer. Gar nicht schwer fällt es ihr, immer ein offenes Ohr zu haben.

Abschwören
Aber woher nimmt die ehemalige Handelsschülerin, die die Matura in der Abendschule nachholte, die Bereitschaft für den bewussten Verzicht. „Ich möchte vielen Dingen wie der Gier, die hier in den letzten Jahrzehnten entstanden sind, bewusst abschwören“, definiert Kahr ihr Credo.

Kleine Wohnung
Kahr ist ein Adoptivkind. Im Kinderheim gab man ihr den Spitznamen „Sonny“. Bevor sie Kommunistin wurde, arbeitete sie in der Verwaltung der Kommunalbank. Heute wohnt sie in einer 80-Quadratmeter-Wohnung im Arbeiterbezirk Gries in Graz, fährt einen Citroën Berlingo und hasst Shopping. „Ich halte auch den Trubel in den Shopping-Centern nicht aus“, so Kahr.

Familie
Die überzeugte Marxistin lebt seit 1988 mit dem KPÖ-Landesparteivorsitzenden Franz Stephan Parteder zusammen. Einen Tag vor der Grazer Gemeinderatswahl feierte der gemeinsame Sohn Franz seinen 22. Geburtstag. „Ich habe ihn nie in Richtung Kommunismus gedrängt. Er ist ein wichtiger kritischer Wegbegleiter für mich.“

"Die KPÖ ist die letzte moralische Instanz"

ÖSTERREICH: Frau Kahr, wie lebt es sich nach dem Wahlerfolg als zukünftige Vizebürgermeisterin von Graz?
Elke Kahr: Die KPÖ ist eine kleine Partei – da ist man diesen medialen Rummel nicht gewöhnt. Aber langsam bekomme ich ein wenig Übung und erledige die Interviews schon durchdachter als am Tag nach der Wahl. Was mir abgeht, ist die Familie. Ich schöpfe viel Kraft aus ihr und durch den Wahlkampf musste ich oft auf sie verzichten.
ÖSTERREICH: Der Kommunismus gilt als gescheitert. Warum glauben Sie noch immer an diese politische Ideologie?
Kahr: Wer sagt, dass der Kommunismus gescheitert ist? Im Gegenteil: In Zeiten der Krise, gibt es wieder mehr Menschen, die die Idee vom Marxismus wieder aufgreifen. Aber die beste Idee hilft nichts, wenn die Menschen sie nicht richtig ausführen. Auch im Namen der Bibel wurden Kreuzzüge geführt. Deswegen behauptet auch niemand, die katholische Kirche sei gescheitert.
ÖSTERREICH: Sehen Sie sich eher als Kommunistin oder Marxistin?
Kahr: Ich halte den Marxismus für die menschlichste Antwort auf viele gesellschaftspolitische Probleme in unserer Welt. Es geht darum, dass jeder Mensch dieselben Chancen im Leben vorfinden sollte. Sprich, dass man dafür sorgt, dass die Einkommensschere nicht noch weiter auseinandergeht. Das wird aber leider falsch interpretiert. Der Marxismus bedeutet nicht Gleichmacherei. Es müssen nicht alle gleich viel verdienen und besitzen. Es muss nur eine gerechtere Verteilung geben.
ÖSTERREICH: Wie viel von 
Ihrem Gehalt geben Sie für Menschen in Not?
Kahr: Als Grazer Stadträtin verdiene ich 5.400 Euro netto. Davon behalte ich mir 1.800 Euro. Mit dem Rest finanziere ich beispielsweise für alleinerziehende Müttern in Not den Skikurs der Kinder oder die Zahnspange, helfe bei Mietrückständen oder beim Ankauf von Heizöl. Im Jahr kommen zwischen 50.000 und 55.000 Euro zusammen, mit denen ich Notbedürftigen helfe.
ÖSTERREICH: Was denken Sie über Karl-Heinz Grasser und Co.?
Kahr: Wie Grasser und Co. mit Händen und Klauen Unrecht verteidigen, ist unglaublich. Schon aus Anstand müssten diese Herren zurücktreten oder ein Geständnis ablegen. Aber ich habe schon die Politik von Grasser nicht gut befunden, weil er zu viel privatisiert hat. Er hatte salopp gesagt, nur für die Gstopften etwas übrig gehabt. Der ist nie mit Menschen in Berührung gekommen, die jeden Tag schauen müssen, dass sie über die Runden kommen.
ÖSTERREICH: Warum verzichten Sie auf so viel Geld?
Kahr: Weil ich vielen Dingen, die hier im Land seit vielen Jahrzehnten ungerecht laufen, abschwören möchte. Immer mehr Gemeingut wird privatisiert. Das fängt bei der Buwog und der Telekom an und geht bis hin zu kommunalem Eigentum der Stadt Graz. Das heißt nicht, dass ich alles verstaatlichen will. Aber es geht nicht, Bereiche der öffentliche Daseinsvorsorge wie kommunale Wohnungen auszugliedern. Dann kann ich als Politiker keine behutsame Tarifpolitik mehr machen.
ÖSTERREICH: Die Grünen beanspruchen für sich gerne, die einzige korruptionsfreie Partei zu sein. Wie sehen Sie die KPÖ?
Kahr: Als die letzte moralische Instanz in diesem Land. ÖSTERREICH: Ist Ihnen bewusst, dass viele Werte in Ihrem Leben wie Teilen auch wichtige Botschaften der Bibel sind?
Kahr: Der Unterschied zwischen uns und dem christlichen Glauben ist, wir wollen die Menschen nicht vertrösten, dass sie nach dem Tod in eine bessere Welt kommen. Wir wollen die Menschen befähigen, sie jetzt zu erhalten.
ÖSTERREICH: Apropos Glauben: Feiern Sie als überzeugte Marxistin Weihnachten?
Kahr: Das war immer ein großes Familienfest bei der Großmutter in der Obersteiermark. Der Tannenbaum kam immer aus dem benachbarten Wald. Am Heiligen Abend gab’s Rindsrouladen, Gröstl und Kraut.
ÖSTERREICH: Also durfte Ihr Sohn auch an das Christkind glauben?
Kahr: Das Christkind gab es bei uns nicht, bei uns kam immer der Weihnachtsmann. Aber mir war es immer wichtig, dass ich meinen Sohn nicht in eine bestimmte Richtung dränge. Er soll sich selbst sein Weltbild bilden. Heute ist er ein guter und kritischer Begleiter.
ÖSTERREICH: Er ist kein Mitglied der KPÖ?
Kahr: Er hat die Schule abgebrochen, wollte lieber arbeiten. Derzeit macht er die Abendmatura.
ÖSTERREICH: Gab es ein Schlüsselerlebnis, das Sie zum Marxismus gebracht hat?
Kahr: Als ich ein Teenager war, habe ich dauernd gehört: „Du redest wie eine Kommunistin.“ Mit 17 wollte ich dann wissen, was die Kommunisten sind. Ich habe mir Das Kapital gekauft, aber das Buch war mir zu kompliziert. Also schlug ich das Telefonbuch auf und habe mir die Telefonnummer der KPÖ herausgesucht. Das war 1979.
ÖSTERREICH: Sie sind ein Adoptivkind. Hat diese Tatsache auch ihre soziale Ader stark geprägt?
Kahr: Die Adoption weniger. Ich wurde mit drei Jahren von meinen Eltern adoptiert. Mein Vater war Schlosser und ein stolzer Arbeiter. Er hat mich schon früh gelehrt, dass man alle Menschen, egal, wer sie sind oder woher sie kommen, gleich offen behandelt. Von ihm habe ich auch mein handwerkliches Talent gelernt.
ÖSTERREICH: Welches Handwerk haben Sie da erlernt?
Kahr: Kein spezielles. Ich bin nur sehr geschickt. Als ich aus meinem Elternhaus auszog, habe ich mein erstes Bett selbst zusammengezimmert.
ÖSTERREICH: Kennen Sie Ihre biologische Mutter?
Kahr: Natürlich wollte ich sie irgendwann kennenlernen. Das hat dann auch geklappt. Aber eine Bindung konnte ich nicht zu ihr aufbauen.
ÖSTERREICH: Was war der größte Luxus bis jetzt für Sie, den Sie sich geleistet haben?
Kahr: Vor fünf Jahren habe ich mir mein erstes nicht gebrauchtes Auto gekauft – 
einen Citroën Berlingo.

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