Außenministerin Beate Meinl-Reisinger war am Donnerstagabend bei den oe24.TV-"Sommergesprächen".
oe24: Frau Meinl-Reisinger, die NEOS sitzen jetzt seit März erstmals in einer Bundesregierung. Haben Sie sich das Regieren im Nachhinein leichter vorgestellt?
Beate Meinl-Reisinger: Wir haben immer gesagt, wir sind bereit dazu, Verantwortung zu übernehmen. Aber die Frage ist natürlich, können wir regieren? Und wir zeigen als NEOS, dass wir regieren können. Das haben wir, glaube ich, sehr ernsthaft in den ersten Monaten gezeigt. Auch die Themen getrieben, die wir versprochen haben, die uns wichtig sind, von der Konsolidierung des Budgets bis hin zu Reformen, ist natürlich das wichtige Thema Bildung und die Aufholjagd, die wir da starten müssen. Also ja, den Rollenwechsel haben wir vollzogen und wir haben Verantwortung übernommen. Die Oppositionsparteien machen es sich da vielleicht auch mal ganz leicht. Die FPÖ hat zwei Jahre regiert, die Grünen haben fünf Jahre in der Regierung gesessen. Wir haben nicht diese Wirtschaftslage verursacht, wir haben nicht dieses Budget-Desaster verursacht. Aber wir übernehmen in so einer schwierigen Lage die Verantwortung, das auch wieder aufzuräumen und Wohlstand auf der einen Seite, aber in meinem Bereich natürlich auch Frieden zu sichern.
oe24: Jetzt muss man sagen, der Notenschluss ist schon ein bisschen vorbei und die Zeugnisse, aber dennoch, welche Note würden Sie denn der Regierung geben für diese ersten Monate?
Meinl-Reisinger: Wir haben vieles richtig und gut und auch rasch auf den Weg gebracht. Also diese ersten Konsolidierungsmaßnahmen, das ist nicht nichts, das ist durchaus ein großes Volumen, das wir heuer einsparen und auch nächstes Jahr und das geht auch weiter. Aber natürlich glaube ich auch, dass die Ambition, und das ist auch vielleicht ein bisschen unsere Rolle als NEOS, noch eine größere sein muss, weitere Reformen zu liefern.
oe24: Was hätte besser laufen können?
Meinl-Reisinger: Es ist sehr, sehr viel sehr gut gelaufen. Wir haben ein Doppelbudget auf den Weg gebracht, mit großen Einschnitten, teilweise mit harten Entscheidungen. Sie kennen mich, ich bin auch immer ehrlich, ich sage auch unangenehme Wahrheiten, die halt notwendig sind, wie zum Beispiel, dass wir eine Pensionsreform brauchen. Da passiert enorm viel, mehr als in den letzten 20 Jahren. Wird das à la longue reichen? Nein, das glaube ich nicht. Deshalb haben wir ja auch diesen Nachhaltigkeitsmechanismus vereinbart, weil wir sehen, dass die Ausgaben davon galoppieren. Und unser Ansatz ist, dass wir sagen, wir wollen die Pensionen nachhaltig machen, wir wollen sie sichern und wir wollen sie übrigens auch höher machen. Natürlich auch beim Thema Wirtschaftsstandort. Wir sind in einer noch immer schwierigen wirtschaftlichen Lage. Da ist unser Zugang weiter, diese Reformschritte zu gehen, den Weg der Entlastung zu gehen, der Vereinfachung, der Verfahrensbeschleunigung, aber natürlich auch neue Märkte zu suchen durch neue Handelsabkommen, die wir schließen.
oe24: Das Budgetdefizit ist bekannt. Wer ist denn Ihrer Meinung nach schuld daran, dass das so aus dem Ruder gelaufen ist?
Meinl-Reisinger: Wir haben jahrelang davor gewarnt, dass das genauso kommt, wie es gekommen ist. Und dieses Koste-es-was-es-wolle, das da ausgerufen wurde von der Regierung, von Bundeskanzler Kurz damals, wird uns allen ganz furchtbar auf den Schädel fallen. Und das ist auch passiert. Die Steuerbelastung ist enorm hoch, also muss man ausgabenseitig was tun. Da gibt es immer wieder auch Vorschläge, die ich sehr ernst nehme. Ich freue mich auch immer über konstruktive Vorschläge, aber Faktum ist auch, man muss es praxistauglich auch machen und mit einer Seriosität.
oe24: Ist die Situation mittlerweile nicht so dramatisch, dass man jetzt wirklich große Reformen endlich durchziehen müsste?
Meinl-Reisinger: Ja, das hoffe ich. Ich glaube, es ist genau auch unsere Rolle und Aufgabe. Wie gesagt, das sind ja Themen, die teilweise wirklich wir als Einzige sagen und treiben. Weil ich davon überzeugt bin, die Wahrheit ist den Menschen zumutbar und jeder versteht - unser Pensionssystem beispielsweise ist entstanden nach dem Jahr 1955. Die Frage ist, wie können wir das auch für die Zukunft absichern, sodass sich alle darauf verlassen können? Da gibt es mehrere Zugänge. Die Zugänge, die teilweise in der Vergangenheit gewählt wurden, waren halt vor allem, Durchrechnungszeiträume zu verlängern, darauf zu schauen, dass vielleicht sogar Anpassungsfaktoren gekürzt wurden und niedrigere Pensionen rauskommen.Es wird kein Weg daran vorbeigehen, irgendwann einmal darüber zu reden, auch das Gesetzliche anzupassen. Das heißt nicht, dass jeder bis 70 arbeiten muss und schon gar nicht, wenn man früh begonnen hat. Ich bin davon überzeugt, dass das angegangen werden muss. Und ich glaube auch, diese Wahrheit muss man aussprechen, auch im Konsolidierungsbereich. Wir haben da enorm eingespart, es sind auch ein paar Offensivmittel im Bildungsbereich, damit wir neue Pädagoginnen einstellen können und vor allem diese Deutsch-Defizit-Themen endlich angehen, bei diesen Integrationsbaustellen. Wir haben auch im Sicherheitsbereich natürlich Herausforderungen, wo man aktiv was tun muss.
oe24: Ich würde noch einmal gern zum Pensionsantrittsalter kommen. Sie haben jetzt gesagt, auf Dauer muss man sich das anschauen. Da gibt es Stimmen aus Wirtschaft und Industrie, die haben eben gesagt, man muss sich anschauen, ob man nicht Richtung 70 geht. Stichwort auch Dänemark. Geht die Reise dorthin? Müssen wir über ein Pensionsantrittsalter mit 70 ansprechen, auch in Österreich?
Meinl-Reisinger: Also so wie ich das gesagt habe, unser Pensionssystem ist ein gutes. Es ist ein Umlagensystem, das davon lebt, dass solidarisch die Menschen, die in Arbeit sind, mit ihren Beiträgen die Pensionen der wohlverdienten Pensionistinnen und Pensionisten auch bestreiten. Wir haben sehr viel gemacht in der Regierung. Korridorpension, auch Teilpension ermöglichen, Einschränkung der Alterszeiten etc., das wird Auswirkungen haben. Es wird das faktische Pensionsantrittsalter ansteigen. Aber wir haben eben auch vereinbart, diesen Nachhaltigkeitsmechanismus, wo wir vor allem auch auf Beitragsjahreschauen werden.
oe24: Ich würde noch gerne auf einen ehemaligen Abgeordneten von Ihnen zu sprechen kommen, Gerald Loacker, der hat jetzt gerade in einem Kurierpodcast gemeint, in der Substanz habe sich zu wenig getan in diesem Regierungsprogramm, und es trage sehr stark die Handschrift der SPÖ. Was sagen Sie dazu?
Meinl-Reisinger: Kann ich nicht ganz nachvollziehen, weil ein Regierungsprogramm in einer so schwierigen Zeit immer auch die Kunst des Kompromisses ist, wie es unser Bundespräsident auch gesagt hat, das ist auch eine wichtige Tugend in so einer schwierigen Zeit. Ich glaube, ich bin vielleicht in dem Punkt mit der FPÖ einig, dass sich vieles in unserem Land verändern muss, aber in diesem Punkt unterscheide ich mich ganz massiv von der FPÖ, oder wir als NEOS uns ganz massiv von der FPÖ. Die haben gerade in einer so schwierigen Situation kalte Füße gekriegt, wie sie eigentlich die Chance gehabt hätten, jetzt eine Veränderung zu bewirken und in eine Regierung zu gehen und sogar den Kanzler zu stellen. Vielleicht kann man es sich leichter machen in der Opposition.
oe24: Sprechen wir über die NEOS, beginnend mit einem NEOS-Regierungsmitglied, und zwar ihrem Staatssekretär. Der hat für viele Schlagzeilen gesorgt, muss man sagen, in den letzten Monaten. Primär aufgrund seines Dienstwagen-Upgrades. Als Deregulierungsstaatsekretär. War das ungeschickt?
Meinl-Reisinger: Also der Sepp Schellhorn ist ein Praktiker, der ist ein Wirt und Gastronom, der ganz genau weiß, von was er redet, wenn er von bürokratischer Belastung spricht. Das ist nämlich das, was gerade den kleinen Mittelbetrieben in Österreich tagtäglich wirklich einfach das Genick bricht. Die bürokratische Belastung ist auch zu viel, wie man sieht am Beispiel Industrie. Und diese Expertise bringt er ein. Mir ist auch lieber, die Schlagzeilen werden mit der Deregulierung gemacht, da sind wir auf einem guten Weg. Ich glaube, man muss hier wegkommen davon, dass man in Sonntagsreden immer was ankündigt, sondern einfach auch macht. Aber ich glaube, es ist wichtig und richtig, dass es einen Praktiker gibt, der auch das Ohr offen hält und auch Ansprechpartner ist für Bürgerinnen und Bürger, für Betriebe, die sagen, bitte schaut euch das an, das ist doch ein Irrsinn, wie wir hier belastet sind.
oe24: Warum sitzt er eigentlich bei Ihnen im Außenministerium mit der Kompetenz Deregulierung und nicht im Wirtschaftsministerium?
Meinl-Reisinger: Ich glaube, es ist ziemlich egal, wo das angesiedelt ist, weil es wichtig ist, dass es eine Stelle gibt, die die Themen bündelt. Das ist nicht auch nur im Wirtschaftsministerium. Das sind sehr viele Fragen, viele verschiedene Ressorts.
oe24: Es gab Schlagzeilen rund um das Abstimmungsverhalten bei der Messenger-Überwachung. Zwei Abgeordnete des NEOS Klubs haben dagegen gestimmt und da gab es einige Kommentare, die gesagt haben, sie haben die Partei nicht mehr im Griff. Ist das so?
Meinl-Reisinger: Dieses Thema ist ein heikles Thema und ich glaube, das zeigt auch die Diskussion in der Öffentlichkeit, dass das eine sensible Materie ist. Warum ist das so? Auf der einen Seite ist es wichtig, dass wir entschlossen und sehr entschieden und sehr klar Terrorismus den Kampf ansagen, weil es inakzeptabel ist, übrigens sage ich das gerade als Liberale in einer freien und offenen Gesellschaft, dass wir in dieser Freiheit und Offenheit bedroht werden durch terroristische Aktivitäten. Also inakzeptabel und da kann nicht ein Nachrichtendienst, ein Verfassungsschutz blind auf einem Auge sein, insbesondere wenn es technologische Entwicklungen gibt. Auf der anderen Seite klar, niemand ist für anlasslose Massenüberwachung und das ist einfach eine heikle Frage. Wie weit ist Sicherheit und wie weit ist nötige Freiheit? Aber ich glaube, es ist auch gut, dass es das freie Mandat gibt, dass gerade für solche sensiblen Materien es auch letztlich Gewissensentscheidungen ergibt und ich finde, das tut der Demokratie in Wahrheit gut.
oe24: Auch das Außenministerium hat in den letzten Wochen für Schlagzeilen gesorgt. Es geht um einen hochrangigen EU-Botschafter, der einen sehr obszönen Blog verfasst hat mit teilweise frauenverachtenden Einträgen. Wann wurden Sie nicht davon in Kenntnis gesetzt?
Meinl-Reisinger: Ich habe es so wie die Öffentlichkeit erfahren und habe sofort auch konsequent gehandelt. Der Botschafter ist abgerufen und ich habe auch eine Kommission eingesetzt unter der Leitung von Thomas Starlinger, um vor allem die Fragen rund um die IT-Sicherheit, Cyber-Security, also die Frage, wie sind da die Daten rausgekommen, zu klären. Es ist meine Aufgabe, die Verantwortung zu übernehmen, die Prozesse besser zu machen. Das Außenministerium ist die Visitenkarte für die Republik und da muss wirklich alles integer sein und über jeden Verdacht erhaben.
oe24: Anscheinend wurde ja auch das Handy dieses Diplomaten ausgespäht und Daten sind weitergegeben worden. Weiß man eigentlich, wer da dahinter steckt, wer diese Daten abgesaugt hat, wie die an die Öffentlichkeit teilweise geraten sind?
Meinl-Reisinger: Das ist genau der Punkt, den ich angesprochen habe, das müssen wir jetzt wirklich zweifelsfrei klären, anschauen, weil natürlich die IT-Sicherheit, die Cyber-Security und vor allem die Verlässlichkeit unseres Hauses auch für die Dienste, für die internationalen und internationalen Partner ganz entscheidend ist.
oe24: Vermuten Sie, dass da ein ausländischer Nachrichtendienst dahinter stecken könnte?
Meinl-Reisinger: Ich vermute jetzt gar nicht, ich glaube, das hilft auch in dem Fall nicht, wenn ich da jetzt herum spekuliere, das muss sauber und transparent aufgearbeitet werden.
oe24: Morgen findet in Alaska ein Treffen zwischen Donald Trump und Wladimir Putin zur Ukraine statt, auf das die ganze Welt gebannt blickt, was erwarten Sie sich davon?
Meinl-Reisinger: Auf der einen Seite bin ich sehr dankbar dafür, dass hier die USA eine sehr aktive Rolle einnehmen, ich war ja noch im Juli in Washington und habe auch mein amerikanisches Pendant, Außenminister Marco Rubio getroffen und es war ein sehr gutes Gespräch. Ich habe auch gesehen, dass hier eine große Nähe ist, auch zwischen unseren Positionen, was diesen Angriffskrieg Russlands in der Ukraine angeht. Es ist notwendig, wirklich alle Bemühungen zu machen, dass es Frieden gibt, aber auch ernsthafte Friedensverhandlungen, weil du kannst nicht sagen, ich bin eh für Frieden, wie das Russland tut, am Tag und in der Nacht bombardieren. Die EU muss hier natürlich auch eine starke Rolle spielen.
oe24: Also muss die EU eine starke Rolle spielen. Derzeit wirkt es aber so, dass die USA, Russland und China untereinander ausmachen, wie es dort weitergeht. Haben Sie nicht diesen Eindruck?
Meinl-Reisinger: Nein, ich habe nicht diesen Eindruck, weil ich glaube, dass es eine gute Abstimmung gibt auch zwischen den USA und Europa. Ich glaube, dass die Europäische Union sehr klar die Position gemacht hat, ja, nicht alle Mitgliedstaaten, einer schert immer aus, das ist Ungarn. Das bedauere ich, ich halte es auch für schlecht, weil es uns nicht stärkt, sondern schwächt.
oe24: Wie kann denn die Zukunft der Ukraine Ihrer Meinung nach aussehen? Innerhalb der Europäischen Union - sind Sie dafür, dass die Ukraine EU-Mitglied wird?
Meinl-Reisinger: Ich glaube, es ist an der Ukraine zunächst einmal zu entscheiden, was ihre Zukunft, wie ihre Zukunft ausschaut. Und das ist ja auch das, zu dem wir uns bekennen. Das Recht eines Volkes, darauf sein eigenes Schicksal zu bestimmen. Und die Ukraine hat sich entschieden, sie möchte nicht Teil von Russland sein. Sie möchte Teil der westlichen Wertegemeinschaft und Teil der Europäischen Union sein. Die Ukraine muss ihre Hausaufgaben machen. Ich persönlich glaube, dass die Erweiterung das wichtigste geostrategische Instrument der Europäischen Union ist.
oe24: Sie haben da einen Protestbrief unterschrieben an Israel. Ariel Muzicant, Vizepräsident des jüdischen Weltkongresses, meinte damals, Österreich würde sich mit diesem Brief den Feinden Israels anschließen. Sie sehen das anders, haben Sie damals auch gesagt. Aber muss man nicht sagen, dass genau so ein Brief die Verhandlungsposition der Hamas stärkt?
Meinl-Reisinger: Nein, das glaube ich wirklich beileibe nicht. Wir stehen an der Seite Israels. Israel ist mit einer brutalen Terrorattacke von der Hamas angegriffen worden. Viel zu viele furchtbare Opfer, also was da alles passiert ist, brutalste Vorgänge. Und es gibt immer noch über 50 Geiseln in der Gewalt der Hamas. Davon sind auch nicht mehr alle am Leben. Israel muss sich dagegen wehren. Das ist auch die Frage des Existenzrechts. Die Terrororganisation Hamas spricht Israel das Recht auf Existenz ab. Aber in diesem Wehren muss Israel auch das Völkerrecht einhalten, sonst würde man zu Recht Doppelstandards vorwerfen. Das ist der eine Punkt, der zweite Punkt ist, dass wir bei aller Freundschaft und Solidarität mit Israel nicht jede Entscheidung der israelischen Regierung gutheißen und insbesondere bei dieser entsetzlichen humanitären Lage in Gaza nicht wegschauen können.
oe24: Die grünen Parteichefin Leonore Gewessler hat im Sommergespräch auf oe24.TV auch gefordert, dass die EU das Assoziationsabkommen mit Israel aussetzen soll. Unterstützen Sie diesen Vorschlag?
Meinl-Reisinger: Nein, weil ich glaube nicht, dass es in dieser Situation etwas bringt, alle Kommunikationswege niederzureißen. Ich glaube, man muss auch unterschiedliche Sachverhalte unterschiedlich bewerten. Im Fall Russlands und der Ukraine hat Russland die Ukraine überfallen und wir tragen jetzt mit Sanktionen dafür Sorge, dass nicht wir mit europäischen Gütern die russische Aufmilitarisierung noch unterstützen. Das wäre ja grotesk, wenn wir quasi diesen Angriffskrieg noch unterstützen, der illegal und völkerrechtswidrig ist. Wichtig ist das politische Signal, dass wir zunehmend eine Belastung der Beziehungen sehen zwischen der Europäischen Union und Israel aufgrund der Situation in Gaza, dass wir dort nicht wegschauen können und das auch Israel Völkerrecht einhalten muss.
oe24: Unsere Wirtschaft kracht an allen Ecken und Enden. In fast allen EU-Rankings liegt Österreich schlechter als der EU-Schnitt. Sei es beim Wirtschaftswachstum, wo wir sogar Schlusslicht sind, bei der Inflation sind wir im Spitzenfeld. Was läuft denn schief bei uns im Land?
Meinl-Reisinger: Es sind Entscheidungen in der Vergangenheit gefällt worden, die vielleicht auf den ersten Blick gut gemeint waren, gut geklungen haben, Krise bekämpfen, mit dem man Geld ausgibt, Förderungen verteilt, die aber nicht die nötigen Effekte gehabt haben. Wir haben mittlerweile eine Staatsquote von 56 Prozent und wir können nicht nur durch die öffentliche Hand wieder in ein Wachstum und einen Wohlstand kommen. Notwendig ist die Produktivität zu stärken und auch gleichzeitig die Chancen für unsere Unternehmen, ganz besonders auch für die Industrie, wieder zu kräftigen.
oe24: Jetzt gibt es viele Stimmen aus der Wirtschaft, die sagen, wir bräuchten die Lohnnebenkostensenkung. Können Sie sich vorstellen, dass man das vorzieht?
Meinl-Reisinger: Also, was ich mir nicht vorstellen kann, ist das auf Pump zu machen. Das möchte ich einfach klar sagen. Das wäre ein Weg des Schuldenmachens, noch weiteren Schuldenmachens. Und das muss ein Ende haben. Aber ja, es ist ein Punkt, wo ich überzeugt davon bin, dass wir ambitionierter sein müssen bei der Konsolidierung durch entschlossene Reformen, um diese Spielräume freizumachen.
oe24: Wird es weitere Sparmaßnahmen geben müssen?
Meinl-Reisinger: Also ich glaube, die Ambition muss hochgehalten werden. Das heißt, die Arbeit ist jetzt mit dem Doppelbudget nicht zu Ende. Im Gegenteil, die Reformarbeit beginnt erst jetzt, gerade auch bei den tiefergehenden strukturellen Fragen, weil das ist, wie gesagt, auch was die Krise angeht, die Wirtschaftskrise, schon eine strukturellere Frage. Das ist nicht einfach wieder mit Geld ausgeben zu beantworten, und das muss auch ein Ende haben.
oe24: Besonders schlecht liegt Österreich im EU-Vergleich auch beim Thema Teuerung. Was kann oder bzw. was muss denn passieren, um hier die Preise zu dämpfen?
Meinl-Reisinger: Also wir haben ein Thema bei den Energiepreisen, nach wie vor, da sind jetzt einige Gesetze gerade in der Bearbeitung. Da wird es auch sehr viel darum gehen, dass wir Konsumenten in die Lage versetzen, einen Anbieterwechsel machen zu können, weil wenn man eine monatliche Abrechnung beispielsweise bekommt, dann sehe ich sehr schnell und kann auch schnell Anbieter wechseln. Wir brauchen hier mehr Wettbewerb. Der zweite Punkt ist dieser Österreich-Aufschlag, der ja ganz offensichtlich passiert. Auch hier ist mehr Wettbewerb natürlich eine Antwort.
oe24: Dennoch muss ich Sie zu einem Vorschlag befragen und zwar der Finanzminister, der Eingriffe bei Lebensmittelpreisen ja gefordert hat. Wie sehen Sie diesen Vorschlag? Ist das für Sie denkbar?
Meinl-Reisinger: Ich halte ihn für nicht sehr praktikabel. Also staatliche Preiseingriffe bewirken in der Regel das Gegenteil von dem, was man will. Nämlich eine Verknappung des Angebots, eine erhöhte Nachfrage und damit eigentlich mittel- bis langfristig höhere Preise. Aber ich glaube auch, dass wir tunlich und in einem guten Dialog mit dem Lebensmittelhandel hier sein müssen.
oe24: Der Europäische Menschengerichtshof hat gerade diese Woche sich gegen Abschiebungen nach Syrien ausgesprochen. Soll Österreich dennoch weiterhin nach Syrien abschieben?
Meinl-Reisinger: Österreich ist wie kaum ein anderes Land massiv belastet worden in den letzten zehn Jahren mit Migrationsdruck über den Titel Asyl. Und ich glaube, viele Österreicherinnen und Österreicher verstehen nicht, wenn jemand straffällig geworden ist, man nicht jemanden auch wieder zurückführen kann. Das hat der Innenminister getan, im Fall dieses Syrers. In diesem Fall war die Möglichkeit gegeben, bin ich sehr dafür, dass wir konsequent zurückführen.
oe24: Wenn wir beim Thema Migration und Integration sind, wir haben halt noch gar nicht darüber gesprochen, obwohl es großes NEOS-Thema ist, die Bildung, sind natürlich die Schulen ein ganz großes Problem derzeit. Die haben massive Integrationsherausforderungen zu stemmen. Was wird denn da passieren, um diese Situation zu verbessern?
Meinl-Reisinger: Enorm viel und ich bin da sehr froh darüber, weil das natürlich etwas ganz Wesentliches ist. Beim Thema Integration nicht nur zu fördern und vielleicht auf Freiwilligkeit zu setzen, sondern auch zu sagen, Deutsch ist ein Muss. Da ist auch schon in Wien sehr viel passiert, aber Sie wissen, dass das immer schwierig war, weil da immer so Wien gegen Bund ausgespielt wurde. Und jetzt haben wir zum ersten Mal die Chance, dass wir wirklich auch mit Wien und Bund an einen Stang ziehen können.
oe24: Wie lange wollen Sie eigentlich noch Politikerin bleiben, beziehungsweise NEOS-Parteichefin? Haben Sie sich das schon überlegt, bis zur Pension? Die dann vielleicht mit 70 ist?
Meinl-Reisinger: Also jetzt haben wir mal, glaube ich, ganz gut gezeigt, wir können auch regieren als NEOS. Wir machen das sehr ordentlich, sehr vernünftig, aber sehr ambitioniert und reformgetrieben. Ich sage auch in meiner Rolle, es ist mir eine sehr große Ehre, auch unser Land, die Interessen unseres Landes zu vertreten. Das verstehe ich aus meinem Job. Eine starke Rolle Österreichs in der Welt und in der Europäischen Union und damit auch das einfach Eintreten für unser Interesse. Jetzt bin ich eigentlich mal sehr motiviert und engagiert, diese Ambition auch weiter an den Tag zu legen und vor allem auch weiterhin zu liefern, was wir versprochen haben.