kurza.png

oe24.TV-Interview

Kurz: Europa ist bei Ukraine nur "Passagier"

Ex-Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) rechnet im oe24.TV-Interview mit der Politik der EU ab. 

Als damaliger Außenminister erlebte Sebastian Kurz (ÖVP) die Flüchtlingskrise 2015 hautnah mit. Schon früh stellte er sich gegen den Kurs von Angela Merkels "Wir schaffen das". Heute beklagt er in der EU-Migrationspolitik "fehlenden Mut". Aber auch beim Thema Ukraine sieht er ein Versagen von Europa. Man habe "nicht sonderlich klug agiert", erklärte er im oe24.TV-Interview mit Niki Fellner am Montagabend.

oe24.TV: Herr Kurz, vor ziemlich genau 10 Jahren hat die Flüchtlingskrise in Europa ihren Höhepunkt erreicht. Was war denn für Sie damals das prägendste Ereignis?

Sebastian Kurz: Es hat viele prägende Momente gegeben. Der Moment, wo es dann vielen klar geworden ist, dass es so nicht funktionieren kann, war, als da unzählige Menschen über die Grenze geströmt sind und ein Polizist völlig hilflos aufgrund der Massen gesagt hat: "Stopp, stopp, you need a passport". 

oe24.TV: Wie war denn Ihr Eindruck am Anfang? Haben Sie sich gleich gedacht, das kann nicht funktionieren?

Kurz: Bei mir gab es von Anfang an das Gefühl "Das kann nicht funktionieren". Erstens, weil ich vorher schon im Integrationsbereich gearbeitet habe und immer gewusst habe: Der Erfolg der Integration ist vor allem abhängig von der Zahl der zu Integrierenden. Und das Zweite ist: Ich war damals Außenminister, das heißt, ich war viel unterwegs. Auch in Middle East zum Beispiel. Und dort - das sind muslimische Länder - haben alle gesagt: Ihr könnt nicht einfach wahllos Menschen aufnehmen, ihr wisst überhaupt nicht, wer da kommt. 

oe24.TV: War der "Wir schaffen das"-Sager von Angela Merkel damals der große Fehler?

Kurz: Es gab ganz viele große Fehler. Der Satz hat es dann nur in einen Satz zusammengefasst. 

oe24.TV: Wie hätte man rückblickend mit der Situation umgehen sollen?

Kurz: Wie mit jeder anderen Krise oder jedem anderen Krieg anderswo auf der Welt auch. Es wird ja so getan, als wäre das die einzige Krise gewesen, wo Menschen geflüchtet sind. Wenn man helfen möchte - was ja etwas Positives ist - dann ist Hilfe vor Ort richtig, dann ist es gut, die Nachbarstaaten zu unterstützen. 

oe24.TV: Wie sehr hat sich Europa und auch Österreich in diesen letzten zehn Jahren eigentlich verändert?

Kurz: Leider sehr. Ich verbringe mittlerweile sehr viel Zeit in Middle East, in Israel aber auch in den Vereinigten Arabischen Emiraten. Und man sieht zum Beispiel in Abu Dhabi oder in Singapur, wie schnell Staaten wirtschaftlich erfolgreich sein können, wenn sie die besten Talente der Welt anziehen. Und in Europa haben wir halt in den letzten Jahren sehr viel Zuwanderung von Menschen erlebt, die nicht qualifiziert sind, die oftmals in ihrer eigenen Sprache nicht lesen und schreiben können. 

oe24.TV: Trotzdem schafft es Europa nicht, eine gemeinsame Linie bei der Migrationspolitik zu haben. Woran scheitert das?

Kurz: Es hat sich schon viel verändert. Als 2015 die Migrationskrise war und andere und ich gesagt haben, das kann nicht funktionieren und wir gegen diese Linie angekämpft haben, gegen die offenen Grenzen, da sind wir dargestellt worden als Rechtsradikale. Mittlerweile hat sich die offizielle Linie fast aller verändert. Das Problem ist, dass irgendwann den Worten Taten folgen sollen. Teilweise fehlt der politische Mut, aber auch rechtlich gibt es problematische Grenzen. 

oe24.TV: Wie sehr ärgert es Sie, dass man Sie damals in ein rechtes Eck gestellt hat?

Kurz: Es ist zehn Jahre her, also ich würde sagen, ich habe es verdaut. Aber damals war das natürlich hart. 

oe24.TV: Die ÖVP ist ja jetzt in einer Koalition mit der SPÖ und NEOS. Wäre eine Koalition mit der FPÖ nicht gerade bei der Migrationspolitik die klügere Variante gewesen?

Kurz: In dieser Frage natürlich. Ich bin immer ein Befürworter einer Mitte-Rechts-Regierung gewesen und werde es auch immer sein. Aber wir haben ja die Koalitionsverhandlungen damals mitverfolgt und es hat einfach nicht funktioniert, diese Regierung zu bilden.

oe24.TV: Unter anderem, weil die ÖVP ja der Meinung ist, FPÖ-Chef Herbert Kickl sei ein Sicherheitsrisiko. Sehen Sie das auch so?

Kurz: Es gab ja dann Verhandlungen mit Herbert Kickl und Christian Stocker und mein Eindruck ist, dass auch von freiheitlicher Seite da jetzt nicht unbedingt das letzte Wollen da war, diese Koalition zu bilden. 

oe24.TV: Kommen wir noch zur Ukraine: Trump hat ja Putin getroffen und am Montag treffen die EU-Regierungschefs mit Ukraine-Präsident Wolodymyr Selenskyj auf Trump. Sehen Sie eine Chance auf Frieden in der Ukraine?

Kurz: Wissen tut es keiner. Aber ich stimme sicher nicht in den Chor all jener ein, die heulen, wie schlecht es ist und wie sinnlos dieses Treffen war. Ich bin fest davon überzeugt, dass der Krieg nur am Verhandlungstisch gelöst werden kann. Ist es einfach? Nein. Ist es gut, dass jemand probiert? Ja. Und ich glaube, dass Donald Trump das wirklich möchte und das auch mit voller Überzeugung versucht. Ob das gelingt, ist fraglich, weil schwer vorherzusagen ist, wie sehr Wladimir Putin dazu bereit ist.

oe24.TV: Wie sehen Sie Trump eigentlich und seine ersten Monate seiner zweiten Amtszeit?

Kurz: Das würde jetzt den Rahmen für das Interview sprengen, weil es da viele Facetten zu beleuchten gibt. Aber ich würde einmal sagen, er ist gewählt worden. Das ist eine Leistung an sich, dass man es schafft Präsident der USA zu werden - und das zweimal. Er ist ein sehr atypischer Politiker, er ist unendlich direkt, es geht ihm wesentlich mehr um Ergebnisse als um Prozesse. 

oe24.TV: Spielt Europa bei den Verhandlungen überhaupt noch eine Rolle?

Kurz: Europa hält sich immer für relevanter als es ist und ich glaube, dass da leider Gottes jetzt auch von europäischer Seite nicht sonderlich klug agiert worden ist. Weil Trump zuerst jahrelang abzutun, als wäre er ein Depp und völlig unfähig und dann in der Sekunde, wo er Präsident wird, erschrocken dazustehen und nicht mehr wissen, wie man jetzt mit ihm spricht. Auf der anderen Seite in einem Konflikt mit Russland zu sein und die Chinesen sowieso abzuschreiben. Das ist keine machtpolitisch gute Aufstellung und insofern glaube ich: Ja, Europa ist da jetzt eher in der Rolle des Passagiers.

oe24.TV: Was könnte Europa von Trump lernen?

Kurz: Die USA und Europa sind nicht 1:1 vergleichbar. Was wichtig wäre, wäre mal wieder alles zu tun, um wirtschaftlich erfolgreich zu sein. Neben dieser Wirtschaftsfrage, die ich für zentral erachte, ist es relevant, auch wieder zu versuchen, zu anderen Teilen der Welt eine gute, vertrauensvolle Gesprächsbasis aufzubauen. Nicht einfach, so wie es jetzt lange üblich war, durch die Welt zu reisen und mit dem erhobenen Zeigefinger allen zu erklären, was alle anderen schlecht machen. 

oe24.TV: Zum Ende noch: Sie sind ja beruflich viel in Israel. Haben Sie Verständnis für das Vorgehen der israelischen Armee in Gaza?

Kurz: Zunächst einmal ist es immer dramatisch, wenn die Zivilbevölkerung leidet, was in allen Kriegen der Fall ist. Und zum Vorgehen gegen die Hamas: Ich hoffe, dass wir da alle Verständnis haben, weil die Hamas einfach eine Terrororganisation ist, die unendliches Leid ausgelöst hat.

Fehler im Artikel gefunden? Jetzt melden.
OE24 Logo
Es gibt neue Nachrichten