Hans-Peter Martin

So tickt der Anti-Strache

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Nach dem Mega-Stress im EU-Wahlkampf urlaubt Hans-Peter Martin derzeit in seiner zweiten Heimat Kalifornien. In Wien plant er einen Polit-Coup.

„Sei lieb Heike, gib mir bitte meinen Kaffee zum Telefon rüber.“ Die schnarrende Stimme Hans-Peter Martins, die EU-Spesenrittern schon durch ihren Klang kalten Angstschweiß auf die Stirn trieb, ist leise geworden. Überraschend zärtlich, fast gurrend klingt das alemannische Organ, wenn er sich mit seiner Frau Heike Kummer (43) unterhält. Ihre schwere Tumor-Operation war für den ewigen Rebellen so einschneidend, dass sich sehr vieles relativiert hat – fast „ruhig und gelassen“ nimmt der 52-Jährige heute die Niederungen der Tagespolitik. Jetzt ist plötzlich auch Zeit für einen – relativ politikfreien – Liebesurlaub in Kalifornien. „Hier habe ich endlich wieder einen klaren Kopf bekommen. Die Bay Area von San Francisco und Berkeley, wo ich zur Schule ging, ist meine zweite Heimat“, erzählt HPM beim stundenlangen Telefonat mit ÖSTERREICH.

Geliebte Kritikerin
Und dann ist da noch Heike: Die Mercedes-Managerin wich dem notorischen Kapitalismuskritiker, der einen Sohn aus erster Ehe in die Beziehung mitbrachte, im Wahlkampf nie von der Seite. Sie ist heute HPMs wichtigste Beraterin, die ihn etwa für sein Faible für die grüne Rabiatperle Johannes Voggenhuber sogar offen kritisieren darf. Bruder Raubein im Geiste habe nur zu viele Menschen verletzt, sagt einer über die Gründe des Voggenhuber-Scheiterns, der es ganz genau wissen muss:

Scheidung auf Alemannisch
Martin, hoch dekorierter SPIEGEL-Redakteur, heuerte 1999 bei der SPÖ an, die er unter Absingen hässlicher Lieder rasch verließ. Mitstreiterin Karin Resetarits trennte sich ebenfalls mit großem Getöse von HPM, dessen Ex-Mitarbeiter sogar Websites über den wilden Mann von Straßburg anlegten.

Neue Hassliebe: Strache
Das alles ist Schnee von gestern. So lange der ewige Aufdecker keinen Skandal bei Freund oder Feind wittert, was man auf Dauer nie so genau wissen kann, hat er ab sofort nur ein Ziel: EU-weit und in Österreich die Rechtsradikalen stoppen – hierzulande mit einer neuen Partei, die seine Nr. 2 im EU-Parlament Martin Ehrenhauser managen soll. So will er bei der Wien-Wahl 2010 einen Sperrriegel gegen seine neue Hassliebe, HC Strache, errichten.

Hans-Peter Martin über die Pläne seiner Liste für eine neue Partei, Faymann auf Gusi-Kurs und den „überschätzten Einfluss der Kronen Zeitung“.

ÖSTERREICH: Verrechnen Sie eigentlich dem EU-Parlament Spesen für Ihren Erholungsurlaub in Kalifornien?

Hans-Peter Martin: Selbstverständlich nicht. Und es ist nur bedingt Urlaub. In der Nähe von Berkeley bin ich auch zur Schule gegangen und halte jetzt hier und an Universitäten Vorträge. Doch ich genieße auch einige Tage bei einem Teil meiner Familie, der nahe San Francisco wohnt.

ÖSTERREICH: Haben Sie den Wahlerfolg schon verdaut?

Martin: Der Tapetenwechsel ist wunderbar. Schon beim Frühstück am Wahltag, als man mir die ersten Ergebnisse verriet, überlegte ich, wie man mit dem Erfolg umgehen muss. Das hat viel mit Verantwortung zu tun. Als ich noch ausschließlich Journalist war, war ich schon überzeugt, dass für eine unabhängige, kritische Bürgergruppe bei Wahlen 20 Prozent möglich sind. Dazu braucht man aber viel Fortune und harte, konzentrierte Arbeit.

ÖSTERREICH: Und einen lieben „Onkel Hans“, wie der Kanzler zu sagen pflegt?

Martin: Herrn Dichand kenne ich seit 2004, wir haben seither etwa ein Dutzend Mal miteinander gesprochen. Da ging es fast immer um technische Fragen. Außerdem wird der Einfluss der „Kronen Zeitung“ überschätzt. In Vorarlberg, Tirol und Salzburg, wo die „Krone“ viel weniger verbreitet ist, liegt unsere Bürgerliste auf Platz zwei.

ÖSTERREICH: Werden Sie nach Ihrem Misserfolg bei der Nationalratswahl 2006 jemals wieder in Österreich kandidieren?

Martin: Wäre ich noch etwas jünger, würde ich gerade jetzt, da die SPÖ gelähmt ist und die Rechtsradikalen im Vormarsch sind, gerne eine soziale, liberale und demokratische Partei mitgründen. Nun ist Martin Ehrenhauser, der mit mir ins EU-Parlament einzieht, ein Koordinator. Sinnvollerweise müssten sich da Personen engagieren, die schon beruflichen Erfolg hatten, etwa Anwälte oder Steuerberater. Sie sollten jetzt Zivilcourage zeigen, gemeinsam mit jungen Leuten.

ÖSTERREICH: Und diese Partei sollte dann mit Ihnen in welcher Rolle in Österreich antreten?

Martin: Falls so eine unabhängige, neue Gruppe entsteht, berate und unterstütze ich sie gerne. Schon bei der nächsten Wiener Wahl wäre es wichtig, einen demokratischen Sperrriegel gegen Rechtsaußen zu errichten. Es darf nicht weiter „lässig“ sein, die rechtsradikale FPÖ zu wählen. Ebenso wichtig ist ein Sperrriegel gegen die ÖVP, um es ihr unmöglich zu machen, sich in Wien zum Zweck der Machtübernahme der FPÖ an den Hals zu werfen. Strache könnte in Wien bis zu 30 Prozent schaffen. Etwa 15 Prozent der Wähler haben sich mit der FPÖ radikalisiert. Doch man kann noch sehr viele überzeugen. Viele SPÖ-Funktionäre verhalten sich aber wie steife Pinguine, stehen bloß zusammen, statt den Dialog zu suchen.

ÖSTERREICH: Hannes Swoboda würden Sie im EU-Parlament nicht vermissen, Johannes Voggenhuber dafür schon?

Martin: Hannes Swoboda hat so lange opportunistisch taktiert, bis er sich selbst überdribbelte. Jetzt denkt er nicht im Traum daran, wenigstens sein Mandat Josef Weidenholzer zu überlassen. Und Werner Faymann begibt sich mit seiner Ankündigung, jetzt nichts zu diskutieren oder zu ändern, auf den fatalen Klima-Gusenbauer-Kurs – wie schon Viktor Klima ab 1999 nach dem Wahlsieg Jörg Haiders in Kärnten. Um Johannes Voggenhuber ist es schade, obwohl meine Frau mich öfters kritisch fragt, warum ich ihn verteidige, weil er immer versuchte, mich lächerlich zu machen. Johannes ist gescheitert, weil er viel zu viele Menschen verbal sehr verletzte. Er ist mir aber um Welten lieber als die Riege opportunistischer Hinterbänkler.

ÖSTERREICH: Apropos verbal verletzt. Werden Sie weiter mit so harten persönlichen Angriffen agieren, oder sind Sie ruhiger geworden?

Martin: Ich bin tatsächlich ruhiger geworden. Das macht die Erfahrung, die mir eine bestimmte Gelassenheit brachte. Das bewirkten aber auch einschneidende familiäre Erlebnisse wie der völlig unerwartete Tod meines Vaters und die Tumoroperation meiner Frau, die zum Glück gut verlaufen ist. Aber mein Kampfgeist bleibt geweckt, keine Sorge.

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