oe24.TV-Interview

Stocker in Rom: "Illegale Migration muss bekämpft werden"

oe24 hat Bundeskanzler Christian Stocker (ÖVP) bei einem Arbeitsbesuch mit Italiens Regierungschefin Giorgia Meloni nach Rom begleitet.

Unmittelbar nach dem Treffen stellte sich Stocker den Fragen von Politik-Chefredakteurin Isabelle Daniel. 

Stocker Rom
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Konzept für sichere Drittstaaten finden 

oe24.TV: Sie haben ja vorhin Giorgia Meloni zu einem doch längeren Gespräch getroffen. Es hat relativ amikal gewirkt. Was sie gesagt hat - und Sie durchaus auch -, ist, dass Sie eine sehr ähnliche Sicht in der Migrationspolitik hätten. Was heißt denn das konkret?

Christian Stocker: Wir sind beide Länder, oder wir vertreten beide Länder, die von illegaler Migration stark betroffen waren – Italien auch aktuell. Und daher ist das natürlich ein Thema, das uns beschäftigt. Und wir sehen hier die Dinge sehr ähnlich. Illegale Migration muss bekämpft werden – das ist eine Binsenweisheit, aber wie? Und die Methoden, die wir hier gegenseitig finden, die sind sehr ähnlich. Ich bin sehr froh, dass in Europa hier auch ein Umdenken stattfindet und viele Staaten erkennen, wie notwendig es ist, dass wir den gemeinsamen Asyl- und Migrationspakt umsetzen, dass wir ein Konzept für sichere Drittstaaten finden, dass wir aber vor allem auch mit den Herkunftsländern Kooperationen finden, um den Migrationsdruck an der Wurzel zu reduzieren. Das geht nur auf Augenhöhe. Da hat Italien eine gute Vorreiterrolle gehabt, Österreich ebenfalls. Wir haben mit vielen nordafrikanischen Staaten in der Vergangenheit durch Karl Nehammer und Gerhard Karner ein Abkommen finden können. Und in der Summe wirkt das, dass der Asyldruck zurückgeht. Aber wir müssen wissen, dass sich die Routen verändern, dass sich die Fluchtursachen verschärfen können und dass es daher auch einen robusten Außengrenzschutz braucht. 

stocker
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oe24.TV: Meloni hat ja auch gesagt, dass Sie die Kooperation in der Migrationspolitik verstärken wollen. Das scheint auch in Richtung Rückführungen zum Beispiel nach Syrien zu gehen – oder was ist da sonst noch gemeint? 

Stocker: Also wir haben ja einen Präzedenzfall geschaffen, dass wir einen straffälligen Syrer legal in einen Teil Syriens abschieben konnten. Da ist viel darüber geredet worden, was macht einer aus. Der eine war der Präzedenzfall – dem werden jetzt weitere folgen. Und da war Meloni natürlich sehr interessiert, weil das Thema straffällige Asylwerber, die hier kein Aufenthaltsrecht haben, abzuschieben, ist eines, das nicht nur Österreich hat. Und grundsätzlich ist es auch nachvollziehbar, dass Staaten für jene, die in einem Land leben, wo sie kein Aufenthaltsrecht haben, auch nach Möglichkeiten suchen, wie sie diese Menschen außer Landes bringen können, wenn es freiwillig nicht passiert. Insbesondere bei Straftaten haben wir jetzt einen Weg gefunden, und da war auch Frau Meloni sehr interessiert, wie das geht. 

Lösungen suchen 

oe24.TV: Das heißt, in dem Fall will Meloni von Österreich lernen? 

Stocker: Ich glaube, es ist nicht so wichtig, wer von wem lernt, sondern es ist so, dass alle Lösungen suchen – und dort, wo sie gefunden werden, ist es gut. 

oe24.TV: Das Ziel heißt, immer mehr Syrer abzuschieben, die straffällig geworden sind. Das gleiche gilt nehme ich an für Afghanen.

Stocker: So ist es. 

oe24.tv: Und Sie sind da zuversichtlich, dass das in größerem Stil funktionieren wird? 

Stocker: Wir haben einmal begonnen und wir haben einen Erfolg erzielt, dass es überhaupt möglich war. Viele haben uns ja gesagt, das ist ausgeschlossen. Wir haben jetzt einen Weg gefunden – wir werden auf diesem Weg weitergehen. 

Solidarität mit der Ukraine  

oe24.TV: Was Giorgia Meloni bei dieser gemeinsamen Pressekonferenz mit Ihnen auch gesagt hat – was vielleicht manche in Österreich überraschen würde –, sie hat sich bedankt für die finanzielle Hilfe für die Ukraine bei der letztwöchigen Rom-Konferenz. Und sie hat auch gleichzeitig das aggressive oder brutale Verhalten, wie sie gesagt hat, Putins gegenüber der Ukraine oder ukrainischen Zivilisten kritisiert. Überrascht Sie das? Tickt Meloni, die ja doch die Vertreterin einer postfaschistischen Partei ist, ganz anders als die Rechtspopulisten, die wir in Österreich kennen? 

Stocker: Meloni war immer solidarisch in dieser Frage – so wie auch Österreich. Der Aggressor ist Putin, das kann man nicht wegdiskutieren. Das Leid, das dort entstanden ist, kommt von Putin. Und die Solidarität mit der Ukraine ist eine, die ganz Europa verbindet. Wobei ich dazu sage: Diese Solidarität bedeutet ja auch, dass wir am Wiederaufbau teilnehmen. Dieser Wiederaufbau passiert ja auch schon jetzt. Alles, was in diesem Krieg zerstört wird, wird ja teilweise schon instand gesetzt. Und ich glaube, dass Italien als Gastgeber dieser Wiederaufbau-Konferenz hier auch einen guten Beitrag geleistet hat – dass auch das organisiert und möglich gemacht wird. Weil wir wissen nicht, wann und ob Putin an den Verhandlungstisch zurückkommt oder überhaupt an den Verhandlungstisch kommt. Ich glaube, das wird der Fall sein, wenn er erkennt, dass er im Krieg weniger erreicht als am Verhandlungstisch. Das ist derzeit leider nicht in Sicht, aber trotzdem muss man sich darauf vorbereiten. Und da wird es dann auch darum gehen, wie man in der Ukraine wieder die Verhältnisse herstellt nach diesen furchtbaren Zerstörungen. 

oe24.TV: Soll Österreich als neutraler Staat eine stärkere Vermittlungsrolle einzunehmen? 

Stocker: Wir haben alle Hilfen unter strikter Wahrung unserer Neutralität geleistet. Wir haben immer gesagt: Militärisch sind wir neutral – politisch nicht. Das war auch nie so. Es ist auch interessant: Italien und Österreich sind am selben Tag vor 70 Jahren den Vereinten Nationen beigetreten. Also Österreich hätte hier schon auch eine Möglichkeit, als Vermittler tätig zu sein, als neutraler Staat. Und wir waren das in der Vergangenheit. Ich habe Wien mehrfach angeboten als Verhandlungsort. Ich tue das immer wieder gerne. Ich würde mich freuen, wenn die Verhandlungen stattfinden könnten – und wenn es in Wien ist, umso mehr. 

Sehr gute Kontakte in die Vereinigten Staaten 

oe24.TV: Ein Thema war ja auch Donald Trump und Strafzölle. Das ist ja durchaus ein Problem für die europäische Wirtschaft, für die österreichische Wirtschaft. Wie soll es da weitergehen? 

Stocker: Wir haben uns über dieses Thema sehr intensiv unterhalten, weil Giorgia Meloni sehr, sehr gute Kontakte in die Vereinigten Staaten – auch zu Trump, zu seinem Umfeld – hat. Ich glaube, dass das etwas ist, was Europa nutzen kann. Die Ausübung dieser Kontakte und das Nutzen dieser Kontakte erfolgt auf europäischer Ebene einvernehmlich – also nicht bilateral, sondern im Sinne eines geeinten Europas. Aber jede Gesprächsmöglichkeit, jede Gelegenheit, auch Trump die Sicht der Dinge aus europäischer Sicht näher zu bringen, ist eine, die man nutzen muss und soll. Weil ich glaube, dass bei diesen Strafzöllen, wenn man sie so nennen will, das letzte Wort noch lange nicht gesprochen ist. 

oe24.TV: Und zum Abschluss – es ging auch kurz natürlich um Brenner und Transit. Matteo Salvini hat ja eine Klage gegen Österreich eingebracht. Jetzt ist er quasi noch einmal eine andere Partei. Aber trotzdem – sind Sie da zuversichtlich, dass es irgendeine Lösung geben wird? Weil da gehen die Interessen zwischen Italien und Österreich – im Unterschied zur Migrationspolitik – auseinander. 

Stocker: Naja, ich habe es vorhin erwähnt: Standort bestimmt Standpunkt – und das muss man auch so nehmen. Allerdings ist es auch klar, dass wenn 2,5 Millionen LKW-Fahrten pro Jahr über den Brenner den Transit bilden, dass das eine Belastungsgrenze ist, die nicht mehr zumutbar ist und die auch diese Strecke nicht verträgt. Und daher wird es – unabhängig vom Ergebnis des Gerichtsverfahrens – notwendig sein, eine politische Lösung zu finden. Und die politische Lösung kann ja nur sein: Einerseits möglichst viel LKW-Verkehr auf die Schiene zu verlagern. Da habe ich auch mit Bundeskanzler Merz und Ministerpräsident Söder darüber gesprochen, weil es da die Zulaufstrecke aus Deutschland braucht. Aber auch den Brenner-Basistunnel – da werden wir in Kürze den Durchstich haben. Und wenn diese Möglichkeit geschaffen ist, wird es auch von der Frequenz her besser werden und mit der Verteilung leichter werden. Die Bedingungen sind dann wesentlich für die Nutzung dieser Verlagerung auf die Schiene. Und bis dorthin wäre aus meiner Sicht auch sinnvoll, über ein digitales Steuerungssystem eine Verbesserung der Verteilung des Verkehrs zu erreichen, weil das dazu führt, dass vielleicht die derzeitigen Maßnahmen dann nicht mehr in dieser Dimension notwendig sind. 

Viele Konfliktherde 

oe24.TV: Sie waren bei Merz, Sie waren bei Meloni – und Sie sind am Freitag bei Frankreichs Präsident Emmanuel Macron. Worum geht es dort, und wie wichtig ist Ihnen Außenpolitik?

Stocker: Bei Macron geht es auch darum, eine Einladung anzunehmen, die bei meinem ersten Besuch des Europäischen Rates schon ausgesprochen wurde. Ich tue das deshalb gerne, weil auch Frankreich eine bedeutende Rolle in der Europäischen Union einnimmt und wir in der Sicherheitspolitik Fragen haben, die durchaus gut sind, wenn man sich austauscht. Auch ein neutrales Land hat hier etwas einzubringen. Und das andere ist die Frage der Handelspolitik – auch wie man mit der Zollfrage umgeht. Die Frage, wie geht es weiter in der Ukraine, wie geht es weiter auch im Nahen Osten. Wir haben hier viele Konfliktherde, wo es, glaube ich, notwendig ist, eine abgestimmte, gute europäische Position zu haben. Und nicht zuletzt geht es natürlich auch um Wettbewerbsfähigkeit, um unseren Binnenmarkt, um Bürokratieabbau.

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