Besuch polarisiert

Türken: Tiefe Gräben nach Erdogan-Rede

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Nach dem Besuch von Premier Erdogan ortet Minister Kurz einen "Auftrag" an die Politik.

Recep Tayyip Erdogan ist längst wieder abgereist, doch der Wirbel um seinen Besuch in Wien hält weiter an. Der türkische Premier hat mit seiner Rede polarisiert und die Community hier in zwei Lager gespalten:

Auf der einen Seite stehen die Erdogan-Befürworter und -Fans. 17.000 von ihnen jubelten dem Premier am Donnerstag in und vor der Albert-Schultz-Halle zu. Die Begeisterung rührt zum Teil daher, dass sie sich von österreichischen Politikern vergessen fühlen. Ihre Jobchancen sind oft in der Türkei besser als bei uns, wo viele von ihnen nicht in der Mitte der Gesellschaft angekommen sind. Durch Erdogans Worte bekommen sie ein neues Selbstbewusstsein. Motto: „Integration, aber nicht Assimilation“.

Ihnen gegenüber stehen die Erdogan-Gegner, die sich in wütenden Gegendemonstrationen sammelten. Sie werfen dem Premier vor, dass er ihre Situation noch schwieriger macht. „Er hat die Negativ-Stimmung massiv angeheizt“, sagt etwa der Grüne Bundesrat und Austro-Türke Efgani Dönmez. Vor allem die Bezeichnung der österreichischen Türken als „Enkel von Sultan Süleyman“ (verantwortlich für die erste Wiener Türkenbelagerung) bringt sie auf die Barrikaden.

Nach Kritik an Erdogan auch Selbstkritik von Kurz
Außenminister Sebastian Kurz verurteilte den Erdogan-Besuch – auch dem türkischen Premier gegenüber. Im ÖSTERREICH-Interview zeigt er sich auch selbstkritisch. Dass sich so viele Türken hier vergessen fühlen, sei „ein Auftrag an die Politik“. Man müsse Zuwanderern mit „mehr Offenheit“ gegenübertreten, dann hätten solche Auftritte gar keinen Nährboden.

Besuch des Premiers
 kostet bis zu einer Million
Nachwehen bereitet der Besuch von Erdogan auch in finanzieller Hinsicht. Bis zu eine Million an Kosten sollen angefallen sein, 2.000 Polizisten mussten Überstunden leisten.

Erdogan-Rede in Wien

Kurz: "Erdogan-Besuch hat uns 
zurück geworfen"

ÖSTERREICH: Wie kann man solche Auftritte wie jenen von Premier Erdogan in Zukunft verhindern?
Sebastian Kurz: Wir haben bereits jetzt alle Möglichkeiten ausgeschöpft, aber man kann das nicht verbieten. Auch viele andere Politiker, die zu uns kommen, treffen ihre Staatsbürger. Diese kommen allerdings für offizielle Besuche nach Österreich. Von Erdogan war das bewusst anders angelegt. Ich wollte aber nicht, dass er abreist, ohne dass ihm wer eindringlich klar macht, was wir von dem Auftritt halten. Das war schädlich für die Integration.

ÖSTERREICH: Was bedeutet der Besuch für die türkische Community?
Kurz: Er hat natürlich Unruhe gestiftet. Wir sind eigentlich in der Integrationspolitik auf einem mühsamen, aber guten Weg. Er hat uns aber sicher ein Stück zurückgeworfen.

ÖSTERREICH: Dennoch sagen viele Erdogan-Befürworter, dass sie sich bei uns in Österreich von den Politikern vernachlässigt fühlen. Was ist Ihr Angebot an sie?
Kurz: Das ist ein Auftrag an uns in der Politik und in der Bevölkerung. Integration ist bitte schon auch eine Bringschuld. Ja, richtig ist, dass Politik und Bevölkerung Menschen, die zuwandern, mit Offenheit begegnen müssen. Je mehr sie akzeptiert werden, desto mehr fühlen sie sich als Österreicher. Aber man muss auch Respekt für die neue Heimat mitbringen.

ÖSTERREICH: Am Dienstag kommt der russische Präsident Putin zu Besuch. Eine Gratwanderung zwischen Menschenrechtsfragen und wirtschaftlichen Interessen?
Kurz: Ich bin in der Delegation des Bundespräsidenten dabei. Ich bin überzeugt, dass er die Situation in der Ukraine ansprechen wird.

ÖSTERREICH: Sind Sie für neue Sanktionen gegen Russland?
Kurz: Die Verhandlungen stehen aus meiner Sicht im Vordergrund.

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Erdogan-Rede in Wien