In Rede

Van der Bellen warnt vor "Spaltung"

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Nach dem Attentat auf Donald Trump und vor dem österreichischen Nationalratswahlkampf warnt nun auch der Bundespräsident vor der Polarisierung in seiner Rede bei den Bregenzer Festspielen.

Die "Entweder-Oder"-Mentalität, die rasche "Schubladisierung" des Gegenüber stellt uns an gegenüberliegende Pole und verhindert nicht nur, dass wir uns zusammentun, so Van der Bellen. Es verhindert oft sogar, dass wir uns vernünftig verständigen ("Nicht jeder, der auf einem Rad sitzt, ist ein Ökofanatiker. Und nicht jeder, der ein Schnitzel isst, ist ein Klimasünder.") Doch Spaltung ist kein Naturgesetz – sie passiert auch, weil so viele mitspielen. Der Bundespräsident wird in seiner diesjährigen Festrede daher dazu aufrufen „unsere wunderbare, österreichische Widersprüchlichkeit“ wieder vermehrt als Brücke zueinander zu nutzen.

Das ist Van der Bellens Rede im Wortlaut

Meine Damen und Herren.

Die Eröffnung der Bregenzer Festspiele ist für mich jedes Jahr aufs Neue eine wunderbare Gelegenheit, kurz ein bisschen unbequem zu werden. Quasi die Zwölftonmusik der Festspielreden.

Thematisch ist das keine große Herausforderung, wo doch beinahe alles gerade entweder aufregt oder frustriert.

Klima – regt auf und frustriert.

Politik – regt auf und frustriert.

Die EU – regt auf und frustriert.

Demokratie – regt auf und frustriert.

Sogar ein Sternchen oder ein Doppelpunkt – regen auf und frustrieren.

Da muss man sich doch fragen: Woran liegt das?

Ist Österreich zu klimamüde, um sich über Maßnahmen Gedanken zu machen?

Zu konfliktmüde, um über die Ukraine zu reden?

Zu demokratiemüde, um sich fürs Wählen zu begeistern?

Nein,

Österreich ist nicht müde!

So sind wir nämlich nicht.

Im Gegenteil: Demokratie, Frieden, Freiheit, Sicherheit, Klima, unsere Rechte, unsere Heimat und Europa – ich weiß, das ist der Mehrheit grundlegend und ausdrücklich wichtig!

Was also ist da los?

Vielleicht sind Sie, sind wir nur „endgenervt“ von der Art und Weise, wie wir darüber sprechen. Die Welt, über die wir öffentlich sprechen, ist ganz einfach. Sie ist blitzschnell erklärt. Sie ist eindeutig. Etwas ist entweder schwarz oder weiß, groß oder klein, oben oder unten, gut oder böse.

Dazwischen gibt es nichts. In dieser Welt ist man „Entweder-Oder“:

Entweder Klimaterrorist oder Luftverpester.

Entweder Wutbürger oder Gutmensch.

Entweder Schwurbler oder Schlafschaf.

Entweder Freund oder Feind.

Schublade auf – hinein damit – Schublade zu.

Praktisch!

Aber gefährlich.

Das „Entweder-Oder“ mag zwar ein willkommenes Ordnungssystem sein, aber: Es spaltet uns.

Es stellt uns an gegenüberliegende Pole und verhindert nicht nur, dass wir uns zusammentun. Es verhindert oft sogar, dass wir uns vernünftig verständigen.

Leider ist es eine beliebte Methode geworden, in Gegensätzlichkeiten zu sprechen. Ein echtes, differenziertes Gespräch verlangt Zeit und Mühe. Aber Zeit ist zu knapp und Mühe ist zu mühsam. Und am Ende gibt es wieder nur die Wahrheit hier und die Lüge dort. Die Unsrigen hier und die Anderen dort.

Soziale Netze folgen der Logik schneller Klicks, und je aufgeregter und skandalöser die Headlines sind, desto schneller wird geklickt. Selbst klassische Medien sind dagegen nicht immun. Um im Spiel zu bleiben, sucht man weniger nach Fakten als vielmehr nach Storys und Sensationen. Und die Sensation, die ist nicht komplex. Sie ist verlockend einfach.

Viele übernehmen diese einfache Welt des „Entweder-Oder“, suchen nach Zugehörigkeiten und beschriften ihre Schubladen mit „die Medien“, „die Eliten“ oder „das System“.

Meine Damen und Herren,

wir müssen verdammt gut aufpassen, was und warum und wen wir da jeden Tag schubladisieren.

Ich frage Sie:

In welche Schublade kommt denn bei Ihnen zum Beispiel jemand, der eigene Biogurken erntet und ein Schweinsschnitzel dazu isst?

Oder eine Person, die täglich in die Arbeit radelt und im Sommer mit dem alten VW-Bus durch Italien fährt?

Wie sieht es mit jemandem aus, der Mustafa heißt und im harten Tiroler Dialekt redet?

Oder jemand, der bei jedem Zeltfest vorne dabei ist, in der Kantine dann aber strikt das Veggie-Menü bestellt?

Was ist mit jemandem, der überzeugt Krachlederne trägt – und genauso überzeugt gendert?

Oder jemandem, dem Grenzen wichtig sind, und der sich für die örtliche Flüchtlingsfamilie einsetzt?

Ist doch nicht einfach in schwarz-weiß, oder?

Nicht jeder, der auf einem Rad sitzt, ist ein Ökofanatiker.

Und nicht jeder, der ein Schnitzel isst, ist ein Klimasünder.

Wir sind doch immer gut damit gefahren, wenn bei uns alles ein bisschen entspannter war. Wenn bei uns am Ende doch jeder so sein konnte, wie er ist. Widersprüche inklusive.

Ich frage mich in letzter Zeit: Wo ist unsere Gelassenheit geblieben?

Wir Menschen sind doch nicht „Entweder–Oder“! Wir sind alles, was dazwischen ist.

Leider gibt es Kräfte, die unsere wunderbare, österreichische Widersprüchlichkeit nicht als Brücke zueinander nutzen, sondern als Instrument der Spaltung.

Sie sehen keine Nuancen, sie sehen nur Unterschiede.

Sie sehen nicht das Gemeinsame, sie sehen das Trennende.

Meine Damen und Herren, ich habe Ihnen ja am Anfang die Zwölftonmusik versprochen. Nun ja: Spaltung. Ist. Kein. Naturgesetz.

Sie passiert auch, weil so viele mitspielen.

Spielen wir also nicht mit. Spielen Sie da nicht mit. Wir alle haben in der Hand, ob die Stimmung zwischen uns vertrauensvoll ist oder vergiftet.

Und Spaltung ist ein Gift.

Sie vergiftet, was wir denken, sie vergiftet, wie wir miteinander reden. Und sie vergiftet, was wir tun: Schuldige suchen. Andersdenkende verachten und verspotten. Das Gegenüber abwerten. Und am Ende: Gewalt. Wie etwa am Samstag in den USA. Dafür darf kein Platz sein.

Verachtung ist kein Wahlprogramm. Und Hass keine Lösung für unsere Probleme.

Gerade wir in Österreich wissen, wohin es führen kann, wenn wir Menschen einteilen, kategorisieren, an den Rand drängen.

Lassen Sie sich also nicht einteilen, kategorisieren und an den Rand drängen. Und holen auch Sie nach Möglichkeit all jene wieder heraus aus den Schubladen, in die Sie sie gesteckt haben. Damit wir wieder normal miteinander reden können – über Klima, Politik, Demokratie.

Wer weiß – am Ende kommt vielleicht heraus: Es gibt mehr, das uns verbindet als das uns trennt.

So. Wer hat jetzt Gefallen gefunden an Zwölftonmusik? Ich kann Sie Ihnen nur ans Herz legen.

Ich wünsche Ihnen schöne Festspiele, die ich jetzt für eröffnet erkläre.

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