Politik-Insider

Biden führt klar, Trump kämpft – stürzt Amerika ins Chaos?

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Ein Kommentar von ÖSTERREICH-Herausgeber Wolfgang Fellner.

Nur noch zwei Tage bis zur Entscheidung bei der US-Wahl – und das Rennen um den nächsten US-Präsidenten wird immer dramatischer. Noch nie hat eine Wahl die Amerikaner so elektrisiert – die Emotionen gehen hoch.

Über 150 Millionen Ame­rikaner werden diesmal wählen, ein Rekordwert – mehr als 80 Millionen davon haben ihre Stimme freilich beim „Pre Voting“ (die meisten Wahllokale sind schon seit letztem Samstag geöffnet) oder bei der Briefwahl (fast 90 Millionen Kuverts wurden versandt, 45 Millionen bisher zurückgeschickt) bereits abgegeben.

Darf man den Meinungsforschern Glauben schenken, ist das Rennen um den nächsten Präsidenten gelaufen: Joe Biden führt in allen (!) Umfragen überlegen.

Seit gestern hat sich die Lage zugespitzt: In der aktuellen Umfrage von CNN hat Biden die Führung weiter ausgebaut, führt jetzt bereits mit 12 % Vorsprung überlegen mit 54 % zu 42 %.

Noch dramatischer ist der Vorsprung von Joe Biden bei den – letztlich entscheidenden – „Wahlmännern“, bei denen Trump 2016 Hillary Clinton gegen alle Wetten geschlagen hat.

CNN hat Biden gestern bereits als „Sieger“ der Wahl ausgerufen: Laut CNN sind Biden bereits 290 Wahlmänner sicher – 270 braucht er für den Sieg. Trump kommt bisher nur auf 163 Wahlmänner.

In 39 US-Staaten ist das Rennen laut Umfragen schon gelaufen, weil einer der beiden Kandidaten mit mehr als 10 % vorne liegt.

In 11 Staaten bleibt das Rennen offen, doch auch hier führt Biden überlegen. Lagen die beiden Bewerber vor einigen Tagen in der Mehrzahl der „unentschiedenen Staaten“ noch Kopf an Kopf, so hat Biden mittlerweile in 9 von 11 Staaten die Mehrheit, führt erstmals sogar in der Trump-Hochburg Georgia und im vorentscheidenden Florida. Trump bleiben (vorerst) nur Texas und Ohio als letzte Hoffnung.

Der Grund, warum Trump in den letzten Tagen dieses Wahlkampfs so „entzaubert“ wurde, ist rasch gefunden: Es ist die Coronakrise, die die Amerikaner immer panischer macht.

Hatte Trump vor Kurzem noch eine reale Sieges­chance, weil er beim Thema Wirtschaft, dem klassischen Nummer-1-Thema, viel bessere Werte als Biden hat (und die USA im 3. Quartal eine sensationell gute Wirtschaftsentwicklung hatten), …

… so hat sich die Stimmung der Wähler in den letzten Wochen völlig gedreht. Erstmals sieht die klare Mehrheit der Wähler nicht mehr die „Economy“, sondern die „Bewältigung der Coronakrise“ als wichtigste Herausforderung für den nächsten Präsidenten.

Und bei „Covid-19“ hat Trump alles falsch gemacht, was ein Präsident falsch machen kann: Er hat die Gefahr erst verschwiegen, dann verharmlost und macht sich jetzt seit seiner eigenen Erkrankung über die Corona-Pandemie nur noch lustig. „Covid, Covid, immer nur Covid“, ruft Trump bei seinen Wahl­veranstaltungen, „ich kann Covid nicht mehr hören! Wir werden diese läppische Krankheit, die weniger schlimm ist als die Grippe – wie ihr ja an mir seht –, in wenigen Wochen besiegt ­haben. Und dann stehen wir besser da als je zuvor!“

Doch die Zahlen sprechen eine andere Sprache: In den letzten Tagen ist auch in den USA die Zahl der mit Covid neu Infizierten dramatisch gestiegen. Über 500.000 Neuinfizierte waren es letzte Woche, fast 90.000 zuletzt pro Tag, über 250.000 sind verstorben.

Die Amerikaner glauben Trump nicht mehr, dass er Covid besiegen kann.

So wenden sich die Wähler jenem Mann zu, der seinen gesamten Wahlkampf seit Wochen nur mehr dem Thema Covid widmet. Joe Biden präsentiert sich als ­erfahrener Profi, der Covid ernst nehmen und mit allen Mitteln bekämpfen wird, der Maskenpflicht will, der Milliarden ins Gesundheitssystem investieren will.

Biden ist sicher nicht der attraktivste Kandidat, den die Demokraten für eine Wahl hatten. Kein Vergleich mit Clinton oder Obama – der bereits 77-jährige Biden (er wäre der älteste Präsident, den die USA je hatten) wirkt müde, erschöpft, schläfrig. Trump nennt ihn „Sleepy Joe“. Biden hat kaum noch Stimme, ist heiser, verwechselt ständig Fakten, muss vor seinen Auftritten sogar fragen, in welchem Staat er ist („Bin ich hier in Cleveland?“) – aber er ist sympathisch, wie ein liebevoller Opa, der sich um seine kranken Mitbürger sorgt, und hat als Vizepräsident von Obama ohne Frage viel politische Erfahrung.

Sein Manko: Er ist schwach – und viele US-Wähler fürchten deshalb, dass mit Biden als Präsident in Wahrheit die radikale Linke der Demokraten (Bernie Sanders und Kamala Harris) die Macht im Weißen Haus übernimmt und die USA „kommunistisch“ macht.

In Wahrheit aber ist diese Wahl kein Votum für Joe Biden – es ist eine Abstimmung für oder gegen Donald Trump. Und da stehen die Zeichen derzeit eindeutig gegen das „Großmaul“ im Weißen Haus.

Die Amerikaner glauben nicht nur, dass Joe Biden die Coronakrise besser lösen wird als Trump (57 % zu 39% für Biden), sie bewerten Trump mittlerweile auch klar negativ: Nur noch 39 % sagen, dass Trump ein guter Präsident ist, 59 % sehen ihn negativ.

In dieser Stimmung tritt Trump zu seinem letzten Gefecht an. Kann er die Wahl in letzter Minute noch einmal drehen – so wie ihm das vor vier Jahren gegen Hillary Clinton gelungen ist? Kann er seine Kernwählerschichten (die weißen Arbeiter und die Wenigverdiener) noch einmal mobilisieren? Kann er in letzter Sekunde bei den Afroamerika­nern (vor allem bei jungen Männern), bei Latinos und vor allem bei Frauen (laut Umfragen zu 60 % gegen 34 % für Biden) punkten?

Das Dramatische an dieser US-Wahl: Biden führt überlegen. Biden ist eigentlich schon Sieger. Aber niemand traut sich, das offen zu sagen, weil Trump immer für jede Wende, jede Sensation – und letztlich wohl auch für einen Last-Minute-Wahlsieg gut ist.

Biden ist schon Sieger – aber die Mehrheit der Amerikaner traut Trump zu, dass er in letzter Sekunde doch noch gewinnt.

Die US-Bürger wünschen sich vor allem eines: einen klaren Sieger! Denn: Wenn die Wahl extrem knapp ausgeht, wird das Land in ein wochenlanges Chaos stürzen. Das Horrorszenario: Trump gewinnt die „Real Election“ an den Wahlurnen Dienstagnacht – aber Biden ist in den folgenden Stunden und Tagen der klare Sieger bei Briefwahl- und Vorwahlstimmen und damit am Tag ­darauf Wahlsieger und Präsident. Dann wird Trump das Ergebnis vermutlich nicht anerkennen, das Briefwahlergebnis vor Gericht anfechten. Und dann stürzt nicht nur Amerika, dann stürzt die ganze Welt ins Chaos. Dann krachen die Börsen, dann drohen in den USA gewaltige Unruhen, dann weiß niemand mehr, wie es mit der Weltmacht USA weitergeht …

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