EM-Fieber

Koller: "Es gibt keine Grenze nach oben"

Teilen

In sechs Wochen beginnt für unser Team in Frankreich das EM-Abenteuer.

Das ÖFB-Headquarter im Ernst-Happel-Stadion. Auf Kollers Schreibtisch stapeln sich Ausdrucke über unseren ersten EURO-Gegner. Auf Facebook postet der Teamchef das passende Foto dazu und meint: "So, mit der Analyse zu Ungarn fertig -jetzt gehen wir mal die Portugiesen an."

Mit Sieg gegen Ungarn Geschichte schreiben
Am 14. Juni startet unser Team in Bordeaux gegen Ungarn in die EURO -und will dabei Geschichte schreiben: mit dem ersten rot-weiß-roten Sieg bei einer EM-Endrunde. Vier Tage später geht's gegen Gruppenfavorit Portugal, wo sich alles um Superstar Cristiano Ronaldo dreht.

Um Sie auf das EM-Highlight einzustimmen, bringt ÖSTERREICH den großen EURO-Planer: alles über die EM-Endrunde, alle 24 Teams im Porträt mit Analysen, Spielplan und einem großen Marcel-Koller-Interview. Darin verrät der Teamchef, wie er seine Truppe von Platz 72 auf 11 der Weltrangliste führte, wie er es schaffte, schwierige Spieler wie Arnautovic zu zähmen, und auf was er abseits des Fußballplatzes Wert legt.

In einem Verhaltenskodex wurde alles festgelegt - so stehen zum Beispiel auf Zuspätkommen Geldstrafen.

Koller: "Ich habe eine 7-Tage-Woche und wenig Schlaf"

ÖSTERREICH: Herr Koller, ist das österreichische Team ein Glücksfall für Sie?
Marcel Koller: Natürlich braucht es auch Glück, aber Glück hat nur der Tüchtige. Bevor ich das Team übernommen habe, habe ich alles ganz genau analysiert und überlegt, ob das, was ich mir vorstelle, spielerisch-taktisch möglich ist. Danach habe ich mich entschieden und das Ganze weiterentwickelt.
ÖSTERREICH: Sie gelten als Perfektionist, der zur Vorbereitung Spiele bis zu zehnmal auf Video analysiert
Koller: Im Moment habe ich eine Sieben-Tage-Woche und wenig Schlaf. Aber ich wusste, dass die Zeit vor der EM vollgepackt ist. Da muss ich so viele Spiele schauen, wie geht. Weil ich auch für mich ein gutes Gefühl brauche.
ÖSTERREICH: Ihre Frau hat dafür Verständnis?
Koller: Absolut -das muss sie auch.
ÖSTERREICH: Sie sind der erste Teamchef, der Arnautovic in den Griff bekam. Stimmt es, dass Sie sein Vertrauen mithilfe eines Video-Zusammenschnitts bekommen haben?
Koller: Ja, vor unserem ersten Lehrgang bin ich zu ihm nach Bremen geflogen (Arnautovic spielte bei Werder, Anm. d. Red.), wo Marko ein gutes Spiel gemacht hat. Ich habe die besten Szenen zusammengeschnitten und ihm dazu meine Vorstellungen erklärt. Inzwischen arbeiten wir viereinhalb Jahre zusammen, und Marko hatte einen Riesenschub. Wobei es im Nationalteam schwieriger ist, weil du nicht jeden Tag mit den Spielern arbeiten kannst.
ÖSTERREICH: Was haben Sie noch mit Arnautovic vor?
Koller: Ich will, dass er Führungsspieler wird, dass er die anderen über 90 Minuten mitreißt. Er muss sein Potenzial abrufen. Früher hat er auch oft aufs Tor geschossen, nur der Ball war selten drin. Jetzt schießt er auch Tore. Es ist wichtig, dass du nicht nur mit voller Power aufs Tor schießt, sondern auch mit Gefühl und mit Technik.
ÖSTERREICH: Wie schwierig ist es, Alphatiere ins Teamgefüge einzubauen?
Koller: Es geht grundsätzlich um Respekt, wobei der Spaß auch dabei sein soll. Die Frage ist nur: Wo ist noch Spaß erlaubt, und wo sind Ernst und Konzentration gefragt und nicht nur Flausen. Da ist es gut, wenn man schon viereinhalb Jahre zusammen ist -da wissen die Spieler inzwischen, worauf ich Wert lege.
ÖSTERREICH: Sie stehen für Kontinuität: In Ihren 37 Spielen als Teamchef haben Sie erst 45 Spieler eingesetzt, bei nur 18 Debütanten. Warum sind Sie derart überzeugt von Ihren Stammspielern?
Koller: Die haben regelmäßig gute Leistungen geboten. Bei den Neuen muss ich im Training urteilen: Reicht das? Schließlich müsste ich einen von jenen, die es gut gemacht haben, weglassen.
ÖSTERREICH: In Ihrem Buch meinen Sie sinngemäß, dass es Ihnen nichts macht, wenn einer den eitlen Gockel raushängen lässt, solange es die anderen akzeptieren. Wie geht das bitte?
Koller: Das ist schwierig zu beschreiben. Ich beobachte alles, und wenn es zu viel ist, greife ich ein. Wenn zehn die Augenbrauen hochziehen, muss ich das ansprechen. Denn die eigene Wahrnehmung ist oft eine ganz andere.
ÖSTERREICH: Im Team gibt es einen Verhaltenskodex. Wie ist der entstanden?
Koller: Ich habe bestimmte Vorstellungen, die wurden aufgeschrieben. Ein paar Eckpfeiler, auf die ich Wert lege. Zum Beispiel: Respekt oder Pünktlichkeit sind in einer Gruppe mit 40 Leuten wichtig. Wenn jeder das macht, was er will, wird es schwierig.
ÖSTERREICH: Darauf gibt es Geldstrafen?
Koller: Ja, das sind Bußen, dafür gehen die Spieler dann wieder gemeinsam essen. Das Geld tut ihnen weniger weh, als wenn der Teamchef mal so sauer ist.
ÖSTERREICH: Wie schaut es mit Handys beim Essen aus?
Koller: Natürlich haben sie das dabei. Aber ich will, dass sie miteinander sprechen, dass sie sich Geschichten erzählen und Spaß haben. Das hat sich gut entwickelt. Wäre das Handy-Nützen frei, würde jeder ständig mit seinen Freunden kommunizieren.
ÖSTERREICH: Wie man an Ihrer Facebook-Seite sieht, sind Sie sozialen Netzwerken gegenüber aufgeschlossen
Koller: Facebook, Handy usw. - das hatten wir ja alles nicht. Heute kommst du daran nicht vorbei. Mir ist bewusst, dass das wichtig ist.
ÖSTERREICH: Dadurch entstand auch Fan-Nähe
Koller: Das ist besser als früher, als es eigentlich kaum einen Kontakt gab. Jetzt bekommen die Fans viel mehr Dinge mit.
ÖSTERREICH: Nehmen Sie Einfluss auf das, was die Spieler posten?
Koller: Beim Team haben wir auch dafür Regeln. Die Spieler wissen, worauf sie achten sollten, sie sind ja Vorbilder.
ÖSTERREICH: Wie sieht es mit Frauenbesuchen während der EURO aus?
Koller: Wenn du so lange zusammen bist, ist das auch wichtig. Wenn du ein Familienmensch bist, gibt dir das zusätzliche Energie. Wir müssen das Beste aus uns herauskitzeln, damit die Spieler das Optimum auf dem Platz bringen.
ÖSTERREICH: Womit wir beim von Ihnen oft benutzten Wort "Wohlfühloase" wären
Koller: Das stand am Anfang ganz oben auf meiner Prioritätenliste, weil ich früher als Spieler oft nicht gerne zum Team gefahren bin. Ich habe mir gesagt: Die müssen gern kommen, um dann optimale Leistung zu bringen, um füreinander auf dem Platz zu laufen. Damals waren wir nicht Nummer 10 oder 11 in der Weltrangliste, damals waren wir weit hinten.
ÖSTERREICH: In Ihrer Pressekonferenz nach der geschafften Qualifikation meinten Sie sinngemäß, jetzt wäre alles möglich.
Koller: Ich habe gesagt: Es gibt keine Grenze nach oben. Warum soll ich jetzt sagen, wir können die Gruppenphase nicht überstehen? Unser Ziel muss es sein, immer das nächste Spiel zu gewinnen.

Interview: Knut Okresek

Fehler im Artikel gefunden? Jetzt melden.