Eine alles andere als unumstrittene Endrunde in Katar hat mit Argentinien am Sonntag einen unumstrittenen neuen Fußball-Weltmeister hervorgebracht.
Angeführt von Altmeister Lionel Messi behielten die Südamerikaner in einem verrückten Endspiel die Oberhand gegen Titelverteidiger Frankreich und boten einmal mehr bei dieser WM Drama vom Feinsten. "Ich kann nicht glauben, dass wir in einem perfekten Spiel so leiden mussten", meinte der überglückliche Coach Lionel Scaloni danach.
Rund 80 Minuten lang sah Argentinien in Lusail dank der Tore Messis (23./Elfer) und Angel di Marias (36.) und einer Mischung aus Spielfreude und beherztem Einsatz wie der sichere Sieger aus, Frankreich hingegen wie ein verstörter und einfallsloser Favorit vor der großen Enttäuschung. Dann aber kam der Doppelpack von Superstar Kylian Mbappe (80./Elfer, 81.) innerhalb von 1:35 Minuten, die Partie ging in die Verlängerung. Dort spielte sich das ganze aufs Neue ab, wieder glich Mbappe im Finish vom "Punkt" (118.) die 3:2-Führung durch Messi (108.) aus. Die mentale Kraftprobe namens Elfmeterschießen ging schließlich an Argentinien, nicht zuletzt dank Goalie Emiliano Martinez.
Martinez wird erneut zum Elfer-Helden
"Es war ein Spiel, in dem wir leiden mussten. Zwei Schüsse, und Frankreich hat ausgeglichen. Sie haben ihnen einen zweiten Elfmeter gegeben, und sie haben getroffen", fasste der spätberufene 30-jährige Tormann die ersten 120 Minuten in seinem 26. A-Länderspiel zusammen. Im Elferschießen zog er dann mit seiner Parade gegen Frankreichs zweiten Schützen Kinglsey Coman "Les Bleus" den Nerv, der folgende Aurelien Tchouameni traf nur die Stange. "Gottseidank habe ich danach mein Ding durchgezogen, wovon ich geträumt habe. Ich bin ruhig geblieben", sagte Martinez, der zum besten Goalie des Turniers gewählt wurde.
Der Tormann hatte bereits im Viertelfinale gegen die Niederlande mit zwei gehaltenen Elfern eine entscheidende Rolle gespielt. Und auch damals war Argentinien nach 2:0-Führung und zweier später Gegentore erst im "Nachsitzen" weitergekommen. Dass Frankreichs Trainer Didier Deschamps ohnehin nicht glaubt, dass man Elferschießen im Training üben kann und sein Tormann Hugo Lloris nicht unbedingt als Elferspezialist gilt, ließ freilich schon zu Beginn der Elferserien nichts Gutes für die "Equipe Tricolore" erahnen.
Messi nun endgültig mit Maradona gleichgezogen
Messi netzte ebenso ein wie Paulo Dybala, Leandro Paredes und Gonzalo Montiel, der Titel gehörte zum dritten Mal nach 1978 und 1986 den "Gauchos". Damals jubelte die Legende Diego Maradona, zu der Messi dank des Triumphs in Katar nun endgültig aufschloss. "Er ist unter uns", sagte Trainer Lionel Scaloni über den 2020 verstorbenen Maradona. "Es hätte ihm so sehr gefallen, er wäre mit als Erster auf den Platz gekommen, um mit uns zu feiern."
Begeistert war Scaloni vom Zusammenhalt und Herz seiner Truppe. "Unglaublich, aber dieses Team findet auf alles eine Antwort. Ich bin stolz auf die Arbeit, die sie geleistet haben", erklärte der 44-Jährige, der sich zum jüngsten Weltmeister-Trainer seit 1978 machte, als sein Landsmann Cesar Luis Menotti 39-jährig Argentinien zum Titel führte. "Mit den Schlägen, die wir heute einstecken mussten, mit dem zweimaligen Ausgleich, das macht dich emotional", erklärte er unter Tränen.
Lobeshymnen von argentinischen Medien
Die flossen wohl hektoliterweise in der argentinischen Heimat, die nicht zuletzt von hoher Inflation und einer wirtschaftlichen Krise geplagt wird. "Das ist ein historischer Moment für unser Land. Die Leute sollen das genießen", meinte Scaloni. "Messis Argentinien berührt den Himmel in Katar", schrieb die argentinische Zeitung "La Nacion", "Ole" schwärmte gar von "Ewiger Herrlichkeit, Messi" und war überzeugt: "Die Welt ist heute ein gerechterer Ort. Ehre sei Gott, Ehre sei Messi." Sogar Maradona habe Messi nun in den Schatten gestellt: "Heute wird Messi der beste Spieler der Geschichte - sorry Diego."
Die Revanche für das 3:4-Achtelfinalaus gegen Frankreich 2018 ist Argentinien jedenfalls gelungen. Auch damals kam Mbappe mit einem Doppelpack eine tragende Rolle aufseiten der Franzosen zu, diesmal sollte ein Triple zu wenig sein. Als viertes Land nach Brasilien (5), Italien und Deutschland (je 4) holten die "Himmelblauen" den WM-Pokal zum dritten Mal.
Am meisten von allen strahlte im Stadion von Lusail aber Messi, der auch zum besten Spieler des Turniers gekürt wurde. Nicht einmal, dass er von Katars Emir Tamim bin Hamad Al Thani bei den Feierlichkeiten in einen Bischt, ein traditionelles Kleidungsstück der Region, gehüllt wurde, vermochte daran etwas zu ändern. "Das ist der Kindheitstraum eines jeden. Ich kann mich glücklich schätzen, in meiner Karriere alles erreicht zu haben", gab der 35-Jährige an, der mit seinem 26. WM-Spiel den bisherigen Rekordhalter Lothar Matthäus überholte. "Danke Gott, er hat mir alles gegeben."
Sein Ende in der Auswahl sei aber noch nicht gekommen, betonte er zugleich. "Ich möchte noch ein paar Spiele als Weltmeister erleben. Ich liebe den Fußball, was ich tue. Ich genieße es, in der Nationalmannschaft zu sein", gab der Clubkollege von Mbappe bei Paris Saint-Germain an. Scaloni würde das begrüßen. "Wenn er weitermachen will, wird er bei uns sein. Es liegt bei ihm." Der Wert Messis für seine Truppe könne gar nicht hoch genug eingeschätzt werden: "Alles, was er weitergibt, das ist surreal, so etwas habe ich noch nie gesehen, dass jemand so viel gibt."