Mercedes gewann seit 2014 drei Viertel aller Rennen, hat aber schlechte Erinnerung an Spielberg.
Die anfänglichen Hoffnungen der Formel-1-Fans auf eine heiße Saison haben sich nicht erfüllt. Drei Monate nach einer Testphase, in der Ferrari wie der Titelkandidat Nummer eins wirkte, ist Mercedes überlegen wie nie. In Spielberg jagen die "Silberpfeile" am Sonntag den elften Sieg in Folge. Das ist erst einmal einem Rennstall gelungen: McLaren-Honda dominierte in der Saison 1988 nach Belieben.
Nicht nur die Rundenzeiten bei den Barcelona-Testfahrten im Februar gaben Anlass zu Spekulationen, Ferrari könnte Mercedes an der Spitze ablösen, auch die Aussagen der Protagonisten gaben dem Nahrung. Mercedes sei "von der Favoritenrolle in die Challenger-Rolle gerückt", erklärte Teamchef Toto Wolff vor dem Auftakt in Melbourne. Red-Bull-Berater Helmut Marko rechnete mit einem Dreikampf um den Titel zwischen Ferrari, Mercedes und dem Austro-Rennstall, wähnte Red Bull schon vor Mercedes.
Mittlerweile hat sich all das erledigt. Lewis Hamilton scheint auf dem Weg zu seiner sechsten Weltmeisterschaft so unaufhaltsam, dass viele den Fokus schon auf 2020 gerichtet haben. Doch auch kommende Saison wird mit jenem komplexen Hybrid-Turbomotor gefahren, den die Ingenieure der "Sternenflotte" am besten hinbekommen haben. Es ist im Wesentlichen die gleiche Formel, die seit 2014 in Kraft ist. Seit damals hat Mercedes 82 von 108 Grands Prix gewonnen, das ergibt fast aberwitzige 76 Prozent. Ferrari heimste 14 Siege ein, Red Bull 12.
"Was sollten wir anderes tun?"
Wird Spielberg der Ort der ersten Mercedes-Niederlage 2019? Das Team hat saisonübergreifend die jüngsten zehn Rennen gewonnen, wobei Hamilton in den jüngsten vier den Sieg davontrug. In Le Castellet dominierte Mercedes zuletzt jede Trainingssession und jede Qualifying-Phase, bevor man im Rennen jede Runde anführte. Eines der "langweiligsten Rennen der Geschichte" will ein langjähriger Formel-1-Journalist erkannt haben. Die Motorsport-Königsklasse drohe, in einem Sumpf der Langeweile zu versinken.
"Was sollten wir anderes tun?", entgegnete Wolff zuletzt. "Jeder an unserer Stelle würde kontinuierlich versuchen, die Leistung weiter zu verbessern. Das ist es, was wir in allen Bereichen tun. Aber gleichzeitig sieht der Fan in mir auch Rennen, die weniger interessant sind." Der Konkurrenz machte der Wiener kurzfristig Hoffnung: "Österreich ist ein neues Spiel, neues Glück." Es sei nicht zu erwarten, dass Mercedes ähnlich dominiert wie in Frankreich. "Weil es so heiß ist und eine Powerstrecke", verwies er auf zwei angebliche Schwachpunkte im diesjährigen Paket: Kühlung und Geraden-Speed.
Eine Stärke ist offenbar der Umgang mit den Reifen. Die Pirelli-Fabrikate für 2019 haben u.a. eine dünnere Lauffläche als die alten. Vor dem Kanada-Rennen regte Red Bull an, zu den Vorgängermodellen zurückzukehren, was mehr Spannung bringen würde. Für Wolff wäre das jedoch plumper Aktionismus, der nicht zum freien Wettbewerb in der Formel 1 passen würde. Schließlich würde damit die gute Arbeit des Entwicklungsteams bestraft. "Irgendwie wäre es ein Tiefschlag für die Formel 1."
Mercedes mit schlechten Erinnerungen
2019 ist übrigens nicht das erste Jahr, in dem Mercedes zehn Siege aneinanderreihte. Zwischen Japan 2015 und Russland 2016 sowie Monaco und Singapur 2016 gelang das mit der Fahrerpaarung Hamilton und Nico Rosberg ebenfalls. Es folgten 2017 und 2018 zwei Saisonen, die bis in den Sommer ausgeglichen und spannender waren. Dann stellte sich heuer wieder das gewohnte Bild ein.
Alles Roger also, wäre da nicht das nächste Rennen in Spielberg. Ein Doppelausfall war im Vorjahr der Tiefpunkt der Saison gewesen. "Das Rennen war eine grausame Erinnerung daran, wie schnell die Dinge in unserem Sport falsch laufen können und dass Zuverlässigkeit sowie Performance in der Formel 1 Hand in Hand gehen", betonte Wolff im Rückblick.
Seine Vorausschau auf das Hitze-Heimrennen mit seiner extrem kurzen Streckenlänge und einer durch die Höhenlage geringeren Luftdichte war deshalb von Vorsicht geprägt. "Bisher war unsere Zielankunftsquote gut. Aber es wäre selbstgefällig, die Tatsache zu ignorieren, dass unsere Mechaniker nun an zwei Rennwochenenden hintereinander das Pendant zu einer 'Operation am offenen Herzen' an unseren Autos durchführen mussten", machte der Wiener klar, dass im Hintergrund bei weitem nicht alles perfekt ist. "Wir hatten eine Reihe an verschiedenen Schwierigkeiten an unterschiedlichen Komponenten, von denen jede leicht einen Ausfall hätte verursachen können", gestand Wolff. "Wir müssen diesmal bessere Arbeit abliefern als vor zwölf Monaten."