Wegen Polizeigewalt

Weißrussland: EU gibt grünes Licht für Sanktionen

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EU-Außenminister machen Weg frei für Sanktionen gegen Weißrussland.

Minsk/Brüssel. Die EU leitet wegen der Polizeigewalt in Weißrussland (Belarus) neue Sanktionen gegen Unterstützer des Staatschefs Alexander Lukaschenko in die Wege. Zudem soll es Strafmaßnahmen gegen Personen geben, die für eine Fälschung der Präsidentenwahl verantwortlich gemacht werden.

Dabei soll es um Einreisesperren und die Beschlagnahme von Konten geben. Zudem wolle die EU einen Fonds einrichten, der die weißrussische Zivilgesellschaft unterstützen soll, hieß es nach Angaben von Diplomaten. Der Europäische Auswärtige Dienst (EAD) soll nun eine Liste mit Personen zusammenstellen, gegen wen sich die Sanktionen richten.
 
Das außerplanmäßige virtuelle Treffen der 27 Außenminister war angesichts der Entwicklungen nach der umstrittenen Präsidentenwahl kurzfristig anberaumt worden. Dabei zeigten sich die Außenminister der EU27 "extrem besorgt über die Gewalteskalation nach den Präsidentenwahlen", wie das österreichische Außenministerium gegenüber der APA erklärte. "Es wurde vereinbart, mit der Vorbereitung gezielter Sanktionen gegen die für die Wahlfälschungen und Gewalt gegen friedliche Demonstranten verantwortlichen Personen zu beginnen."
 
Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP) hatte bereits am Donnerstag Sanktionen in den Raum gestellt, sollte Weißrussland zentrale Forderungen nicht erfüllen. Er forderte von den weißrussischen Behörden konkret ein Ende der Gewalt sowie die Freilassung der willkürlich festgenommenen Demonstranten und Journalisten, die Aufhebung der Internetblockade und einen umfassenden innerstaatlichen Dialog.

Konsequenzen gefordert

Sowohl die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel, Deutschlands Außenminister Heiko Maas als auch EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hatten vor den Beratungen und nach der Niederschlagung von Protesten in Weißrussland Konsequenzen gefordert. "Wir brauchen zusätzliche Sanktionen gegen die, die demokratische Werte und Menschenrechte in Belarus verletzt haben", twitterte von der Leyen.
 
In Weißrussland selbst weiteten sich am Freitag ungeachtet der Freilassung von mehr als 2.000 Demonstranten die Proteste gegen Gewalt und Polizeiwillkür noch einmal aus. Aus Unmut über Lukaschenko wurde in immer mehr Staatsbetrieben gestreikt. In vielen Städten bildeten Demonstranten lange Menschenketten. Der Präsident selbst reagierte auf Spekulationen, er habe das Land bereits verlassen: "Fürs Erste: Ich bin noch am Leben und nicht im Ausland." Zudem warnte er vor Arbeitsniederlegungen. "Wenn wir aufhören zu arbeiten, werden wir die Produktion nie wiederherstellen können", sagte er.
 
In der ehemaligen Sowjetrepublik hatte sich der oft als "letzter Diktator Europas" bezeichnete Präsident am Sonntag zum sechsten Mal in Folge als Wahlsieger ausrufen lassen. Die Wahlkommission sprach ihm am Freitag offiziell 80,1 Prozent der Stimmen zu. Daran gibt es erhebliche Zweifel - nicht nur in Weißrussland.
 
Nach ihrer Freilassung berichteten viele von schwersten Misshandlungen im Gefängnis. Fast 7.000 Menschen sind in den vergangenen Tagen festgenommen worden. "Wir tun alles nur Mögliche, um die Situation zu lösen", behauptete das Innenministerium. Es sollten weitere inhaftierte Demonstranten freigelassen werden. Viele schilderten unmenschliche Bedingungen in überfüllten Gefängnissen.

Wahlkommission: Lukaschenko-Gegnerin bekam nur 10 Prozent

In Weißrussland hält ein großer Teil der Bevölkerung die Lukaschenko-Gegnerin Swetlana Tichanowskaja für die eigentliche Siegerin der Wahl. Die Wahlkommission sprach ihr aber nur zehn Prozent der Stimmen zu. Ihre Unterstützer gehen von einem Sieg mit 60 bis 70 Prozent aus. Aus Angst um ihre Sicherheit und die ihrer Kinder ist die 37-Jährige ins benachbarte EU-Land Litauen geflüchtet.
 
In einer Videobotschaft rief sie zu neuen Protesten auf. "Lasst uns zusammen unsere Stimmen verteidigen." Am Wochenende sollten sich die Menschen in allen Städten zu friedlichen Massenversammlungen zusammenfinden. Sie schlug zudem die Gründung eines Koordinierungsrates vor, "um damit eine Machtübertragung sicherzustellen". Sie sei zum Dialog mit den Behörden bereit.
 
Auch in Wien demonstrierten am Freitagnachmittag rund 300 Personen beim Museumsquartier gegen die Missstände in Weißrussland. Auch Politiker der Grünen, ÖVP und NEOS nahmen daran teil.
 
Nach Einschätzung von Beobachtern könnte ein flächendeckender Streik in den Betrieben Lukaschenko zu Fall bringen. Es mehren sich Stimmen von Experten, die meinen, dass seine Tage im Amt gezählt sein könnten. Innenminister Juri Karajew hatte sich im Staatsfernsehen bei den Bürgern für die Festnahme vieler Unschuldiger entschuldigt - auch das gilt in dem autoritär geführten Land als ungewöhnlich.
 
Lukaschenko machte indes erneut das Ausland für die Massenproteste verantwortlich. Sie seien aus den Niederlanden, Polen und der Ukraine gekommen, sagte der Präsident am Freitagabend der Staatsagentur Belta zufolge in Minsk. Wen er damit genau meinte, sagte Lukaschenko jedoch nicht. Konkret erwähnte er den russischen Oppositionspolitiker Alexej Nawalny, der auf seiner Internetseite groß über die Ereignisse im Nachbarland berichtet. Dessen Leute seien nach Weißrussland gekommen.

Russland wirtschaftlich eng mit Weißrussland verbunden

In Russland, das wirtschaftlich eng mit Weißrussland verbunden ist, wurden erste Rufe nach einer Vermittlerrolle Moskaus laut. Der russisch-weißrussische Handelsrat forderte ein Ende des "sinnlosen Blutvergießens und der Gewalt gegen friedliche Bürger". Es müsse ein Komitee zur nationalen Rettung aus Intellektuellen und Wirtschaft gebildet werden.
 
Der russische Generalstaatsanwalt teilte mit, dass die in Weißrussland vor der Wahl verhafteten 32 Russen freigelassen und in ihr Land zurückgekehrt seien. Weißrussische Behörden hatten ihnen vorgeworfen, der sogenannten Wagner-Söldnertruppe anzugehören und vor der Präsidentschaftswahl für Unruhe in dem Land sorgen zu wollen. Die russische Regierung hatte die Vorwürfe zurückgewiesen.
 
Ob auch Lukaschenko persönlich mit Sanktionen rechnen muss, blieb zunächst offen. Die Entscheidung über den betroffenen Personenkreis werde der Rat treffen, sagte der deutsche Außenminister Heiko Maas. Den Personen müssten "nachweisbar Verfehlungen zur Last gelegt werden können". Wichtig sei, dass es zu einem Dialog komme, das Wahlergebnis überprüft werde und alle Festgenommenen wieder freikämen.
 
Die EU hatte zuletzt im Februar 2016 ungeachtet der Kritik von Menschenrechtlern zahlreiche Sanktionen gegen den Machtapparat von Lukaschenko auslaufen lassen. Lediglich ein bestehendes Waffenembargo sowie Strafmaßnahmen gegen vier Weißrussen, die am Verschwinden von Regime-Gegnern beteiligt sein sollen, wurden zuletzt noch aufrechterhalten.
 
Für Lukaschenko, 169 Gefolgsleute sowie drei Unternehmen bedeutete die EU-Entscheidung damals, dass von ihnen vorhandene Vermögen in der EU nicht mehr gesperrt werden konnten. Zudem wurden für sie sämtliche Reise- und Geschäftsbeschränkungen aufgehoben. Als einen Grund für die Lockerung der Sanktionen nannte die EU damals die Freilassung politischer Gefangener sowie die gewaltfrei verlaufene Präsidentenwahl im Jahr 2015.
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