Jeder fünfte jugendliche Amerikaner hat schon Nacktfotos von sich per Handy verschickt. Minderjährigen drohen jetzt wegen Verbreitung von Kinderpornographie bis zu sieben Jahre Haft. Der liberale Teil der US-Bevölkerung ist entsetzt.
Das Foto, das unlängst auf den Bildschirmen von Mobiltelefonen in Tunkhannock im US-Staat Pennsylvania kursierte, zeigt zwei zwölfjährige Mädchen. Sie liegen nebeneinander auf einem Bett und lachen. Die eine, Marissa Miller, telefoniert mit dem Handy, ihre Freundin spreizt die Finger zum Peace-Zeichen. Zu sehen sind die Oberkörper, beide tragen nur einen BH. Gegen die Mädchen ermittelt nun ein Staatsanwalt - wegen Verbreitung von Kinderpornografie. Ihnen droht im Fall einer Anklage eine mehrjährige Haftstrafe und der Eintrag ins "Sextäter-Register".
Aufgenommen hat das Foto eine gleichaltrige Freundin bei einer gemeinsamen Übernachtung. Nach Marissas eigener Darstellung war es einfach ein Schnappschuss, ein Jux übermütiger Mädchen. Doch ohne das Wissen der beiden zog der Spaß Kreise: Als vor wenigen Monaten die Handys einiger Kids in der Schule von Tunkhannock eingesammelt wurden, entdeckten Lehrer das Bild. Die Polizei wurde eingeschaltet und der Schnappschuss damit zum Justizfall.
Erziehungskurs oder Gefängnis
Der für Tunkhannock zuständige
Staatsanwalt George Skumanick befand, die Pose sei "provokativ". Er stellte
die Mädchen vor die Wahl: entweder Erziehungskurs und Bewährungsstrafe
oder Gefängnis. Marissas Antwort: "Ich finde nicht, dass ich etwas Falsches
gemacht habe." Daraufhin eröffnete der Republikaner das Verfahren.
Erhitzte Debatten
Seitdem schlägt der Fall auch über Tunkhannock
hinaus Wellen. Es gibt erhitzte Debatten im Internet und Fluten von
Leserkommentaren. Auf der Webseite des "Wyoming County Press Examiner"
meinte ein Leser, Marissas Mutter habe versagt: "Nur Gott weiß, was das
Mädchen zu Hause alles darf." Ein Leser der Onlineausgabe der "New York
Times" ärgert sich dagegen über den Staatsanwalt: "Der Anti-Sex-Wahnsinn in
diesem Land kennt keine Grenzen."
Die Kommentare offenbaren den Gegensatz, der Amerika in Fragen der Sexualität immer wieder spaltet. Religiöse Rechte stemmen sich gegen jede Form sexueller Freizügigkeit und prägen so das Image des prüden Amerikaners. Liberale US-Bürger können es nicht fassen.
Wenig Probleme mit Nacktheit
Viele Jugendliche wie Marissa haben
mit Nacktheit und Sexualität anscheinend wenig Probleme: Seit Jahren
kursieren im Internet und auf Schülerhandys Bilder von Minderjährigen, die
spärlich oder gar nicht bekleidet vor der eigenen Kamera posieren. "Sexting"
wird dieses Phänomen genannt, abgeleitet vom amerikanischen Wort "texting"
für "eine SMS schreiben".
Einer Studie der privaten Organisation "National Campaign to Prevent Teen and Unplanned Pregnancy" von 2008 zufolge haben sich 20 Prozent der befragten US-Teenies nach eigenen Angaben schon einmal so abgelichtet und die Bilder oder Videos verschickt. "Sexting" ist demnach längst ein Massenphänomen geworden.
Unreif aber nicht kriminell
In zehn Bundesstaaten laufen derzeit
Ermittlungen wegen dieser Praktiken. "Schlimm" findet das John Burkoff,
Professor für Strafrecht an der Universität Pittsburgh. Er fordert
Straffreiheit für die Kids: "Was diese Kinder getan haben, war unreif, aber
nicht kriminell." Die Geschworenen eines Gerichts in Florida waren anderer
Meinung: Im Februar 2008 verurteilten sie einen 18-Jährigen zu fünf Jahren
Haft auf Bewährung und veranlassten seine Aufnahme in das öffentlich
einsehbare "Sextäter-Register". Er hatte ein Nacktbild seiner 16-jährigen
Ex-Freundin, das sie ihm geschenkt hatte, per Email an über 70 Bekannte
verschickt.
Marissa Miller drohen im schlimmsten Fall sieben Jahre hinter Gittern. Gemeinsam mit ihrer Mutter, zwei anderen Angeklagten und der US-Bürgerrechtsorganisation American Civil Liberties Union (ACLU) kämpft sie gegen eine Prozesseröffnung und verklagte den Staatsanwalt wegen Amtsmissbrauchs - mit Erfolg. Ein Bundesrichter entschied Ende März, das Verfahren gegen sie bis Juni auszusetzen. In der Zwischenzeit will er prüfen, ob Marissa tatsächlich angeklagt werden soll.