90 Prozent der Risikofaktoren lassen sich reduzieren
90 Prozent der Risikofaktoren für Schlaganfälle lassen sich theoretisch durch gesundheits- und gesellschaftspolitische Maßnahmen reduzieren. Darauf wiesen Experten am Dienstag bei einer Pressekonferenz in Wien hin. In Österreich ereignen sich jedes Jahr 24.000 Schlaganfälle, jeder sechste Betroffene stirbt daran.
So gut wie alle Risikofaktoren haben zugenommen
Die größten Risikofaktoren sind einer internationalen Studie zufolge Bluthochdruck, eine Ernährung mit wenig Obst und Gemüse, Übergewicht, zu hoher Salzkonsum und Rauchen, dazu auch Luftverschmutzung. Weltweit betrachtet hätten zwischen 1990 und 2013 so gut wie alle wichtigen Risikofaktoren zugenommen, warnte der Präsident der Österreichischen Schlaganfall-Gesellschaft (ÖGSF), der Innsbrucker Neurologe Stefan Kiechl. Beim BMI, dem "Maß" für Übergewicht, betrug die Steigerung 46 Prozent, bei Bluthochdruck und Bewegungsarmut jeweils knapp 40 Prozent.
Positive Entwicklung in der Schlaganfallforschung
Eine Steigerung im positiven Sinn gab es bei der Schlaganfallforschung. "Ein Schlaganfall ist potenziell sehr gut behandelbar", erklärte Kiechl. In Österreich werden mittlerweile sechs von zehn Patienten wieder ganz gesund. Verantwortlich dafür sind mehrere Faktoren, unter anderem die Einrichtung von 38 sogenannten Stroke Units - Spezialeinrichtungen, die für 90 Prozent der Menschen in Österreich binnen 45 Minuten erreichbar sind, und die Etablierung der Thromboektomie, die "Bergung" massiver Gerinnsel, die große Arterien verstopfen, mit Hilfe eines Stent, wie der Wiener Neurologe Wilfried Lang erläuterte.
Allerdings ist diese Behandlungsmethode noch nicht in allen Stroke Units rund um die Uhr verfügbar, da sie ein ganzes Ärzteteam erfordert: neben dem Neurologen einen interventionellen Radiologen und einen Anästhesisten, da ein solcher Eingriff nur in Narkose durchgeführt werden kann. Im laufenden Jahr werden schätzungsweise mehr als 600 solche Interventionen durchgeführt, für die Zukunft rechne man mit jährlich 200 Patienten pro einer Million Einwohner, sagte Lang. Die Methode sollte möglichst bald in allen Versorgungsregionen Österreichs rund um die Uhr verfügbar sein, sagte der Neurologe. In Wien steht die Umsetzung bevor.
Elisabeth Fertl, die Präsidentin der Österreichischen Gesellschaft für Neurologie (ÖGN), sieht einen Teil der Fortschritte in Gefahr: Die Neurologin befürchtet eine Verschlechterung in der fachgerechten Therapie nach der Akutversorgung. Denn im Entwurf zum Strukturplan Gesundheit ist vorgesehen, die sogenannte Früh-Rehabilitation bzw. die Betten dafür aus Akut-Stationen in reine Reha-Einrichtungen zu verlagern - "eher auf die 'grüne Wiese', ohne die Infrastruktur eines großen Krankenhauses", sagte die Neurologin. Für Untersuchungen oder im Fall von Komplikationen müssten Patienten "pendeln".
Kritik: Keine verpflichtende Neurologie-Praxis für Ärzte
Kritik übte Fertl auch an der neun Monate dauernden Basisausbildung für Ärzte, in der keine verpflichtende Neurologie-Praxis mehr vorgesehen ist. Derartige Ausbildungsinhalte würden zwar angeführt, in der Praxis habe sich gezeigt, dass Jungärzte kaum neurologischen Abteilungen zugewiesen würden. "Die Ärzte sollen die Schlaganfall-Akutversorgung in der Basisausbildung lernen. Wir wissen aber nicht wo und wie", sagte Fertl.