Fünf Jahre lang saß Maria Kolesnikowa in Haft – nachdem sie Massenproteste gegen die manipulierte Präsidentenwahl in Belarus 2020 angeführt hatte. Nun kam die 43-Jährige überraschend frei. Brechen konnte sie Machthaber Alexander Lukaschenko nicht.
Als Maria Kolesnikowa (43) nach Jahren der Haft erstmals wieder öffentlich spricht, klingt ihre Stimme ruhig. Keine Pathosformeln, kein Triumph. „Ich bereue nichts“, sagt sie. Es ist ein Satz, der viel über diese Frau erzählt – und über einen Weg, der sie von der Konzertbühne in die Gefängniszelle und nun in ein neues, freies Leben geführt hat.
2020 sorgte Maria Kolesnikowa für internationale Aufmerksamkeit als Gesicht der Protestbewegung in Belarus. Sie wurde zu 11 Jahren Haft verurteilt.
Von der Musikerin zur Symbolfigur des Protests
Maria Kolesnikowa wurde 1982 in Minsk geboren. Musik prägte sie von klein auf: Querflöte, Dirigieren, später ein Studium und viele Jahre Arbeit in Deutschland, unter anderem in Stuttgart. Ihr Leben schien klar umrissen – Kunst, Kultur, internationale Projekte. Politik spielte lange keine Rolle. Bis 2020. Als in Belarus die Präsidentschaftswahlen anstanden und oppositionelle Kandidaten systematisch ausgeschaltet wurden, schloss sich Kolesnikowa dem Team des Bankers Wiktar Babariko an. Nach seiner Verhaftung blieb sie – zusammen mit Swjatlana Zichanouskaja und Weranika Zepkala – sichtbar. Drei Frauen wurden zum Gesicht einer Protestbewegung, die Hunderttausende auf die Straßen brachte. Das Foto der drei mit ihren Handzeichen ging um die Welt. Kolesnikowa, zuvor im Hintergrund, wurde zur Rednerin, zur Hoffnungsträgerin.
Maria blieb. Nach der umstrittenen Wahl von Alexander Lukaschenko und der brutalen Niederschlagung der Proteste verließen viele das Land. Kolesnikowa blieb. Sie habe nicht anders gekonnt, sagt sie später. Im September 2020 wurde die Frau von Sicherheitskräften verschleppt und an die Grenze gebracht, offenbar mit dem Ziel, sie außer Landes zu schaffen. Dort zerriss Kolesnikowa jedoch ihren Pass – ein Akt des Widerstands, der sie endgültig zur Symbolfigur machte. Kurz darauf kam sie in Haft.
Maria Kolesnikowa kurz nach ihrer Freilassung.
Die Jahre im Gefängnis waren hart. Entgegen jeglicher Gesetze hatten die Inhaftierten weder Anspruch auf eine Matratze noch auf eine Decke, Pölster oder Leintücher. Lange Phasen der Isolation, kaum Kontakt zur Familie, gesundheitliche Probleme und eine schwere Operation machten Maria Kolesnikowa zu schaffen. Berichte über die grausamen Zustände im belarussischen Gefängnis machten international die Runde. Doch Hoffnung auf eine Freilassung gab es kaum. 2021 wurde Kolesnikowa zu elf Jahren Haft verurteilt. Immer wieder gab es Monate, in denen niemand wusste, wie es ihr ging. Auch ihre Eltern hatten fast zwei Jahre lang keinen Kontakt zu ihr – bis sie 2024 ihr Vater endlich im Gefängniskrankenhaus besuchen durfte. Auch der damalige österreichische Außenminister Alexander Schallenberg hatte damals Kontakt zu Kolesnikowas Familie und traf Marias Schwester im Rahmen einer Theateraufführung zu Ehren der politischen Gefangenen in Wien. Für viele wurde sie zum Sinnbild all jener, die in Belarus wegen ihrer Überzeugungen verschwunden sind.
Kolesnikowa wird zunächst in Deutschland bleiben.
Überraschung vor Weihnachten
Mitte Dezember dann die überraschende Nachricht: Maria Kolesnikowa ist frei! Im Rahmen einer größeren Freilassung politischer Gefangener durfte sie das Land verlassen. Ihr erster öffentlicher Auftritt nach der Entlassung wirkt leise, fast zart. Sie spricht nicht von Hass, sondern von schwierigen Entscheidungen. Davon, dass Freiheit Verantwortung bedeutet. Und davon, was sie sich jetzt wünscht: Zeit. Für Musik, für Kunst, für Theater. Für Gespräche mit Menschen, die sie liebt. Für Reisen – etwas so Alltägliches und nach Jahren der Haft doch so kostbar. Über die Zeit im Gefängnis sagt sie: „Es war eine sehr schwierige Zeit für mich und meine Gesundheit. Aber nicht für meine psychische Gesundheit. Denn im Innern war ich immer frei.“ Wie es für sie nun weitergeht, zeichnet sich langsam ab. Kolesnikowa wird zunächst in Deutschland leben, einem Land, das sie kennt und das ihr Sicherheit, medizinische Betreuung und Raum zum Ankommen bietet. Politisch will sie wach bleiben, aber nicht sofort wieder an vorderster Front stehen. Ihre Freiheit, erklärt sie, solle auch denen dienen, die noch nicht frei sind.
Der belarussische Friedensnobelpreisträger Ales Bjaljazki, der 2023 wegen angeblicher Finanzdelikte zu zehn Jahren Haft verurteilt worden war.
"Es war eine sehr schwierige Zeit... Aber im Inneren war ich immer frei.“
Über Marias Privatleben weiß man indes wenig – bewusst. Bekannt ist vor allem die enge Beziehung zu ihrer Familie, insbesondere zu ihrer Schwester, die während der Haft unermüdlich für sie kämpfte. Vielleicht ist genau das ihr größter Schutz: ein innerer Kreis, der nichts mit Macht oder Symbolik zu tun hat. Denn die 43-Jährige will nicht als Heldin gelten, sondern als Mensch, der „an alle denkt, die immer noch im Gefängnis sitzen.“ Fest steht: Maria Kolesnikowas Geschichte ist noch lange nicht zu Ende – sie beginnt gerade neu. Leiser vielleicht. Aber mit einer Kraft, die hoffentlich bleibt.