Aus dem Nachlass

Sebastian Haffners „Abschied“ von der Wiener Liebe

Mit seinem Jugendwerk Abschied aus dem Schreibtischnachlass offenbart er sich als einfühlsamer Romanautor und zeigt sich neu. 

Sebastian Haffner ist vieles: Er war Deutscher und wurde Engländer; promovierte als Jurist und wurde dann Journalist. Jetzt lernen wir Haffner, der mit bürgerlichem Namen Raimund Pretzel hieß, von einer neuen Seite kennen. Mit seinem Jugendwerk „Abschied“ aus dem Schreibtischnachlass offenbart sich der Publizist und Schriftsteller als einfühlsamer Romanautor.

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Von Paris ins Exil

Haffner verbrachte den großen Teil seiner jungen Jahre in Berlin, wo er auf väterlichen Wunsch eine juristische Laufbahn einschlug. Um seine Promotion zu Papier zu bringen, ging er Anfang der 1930er Jahre für einige Monate nach Paris. Nach Deutschland unter Hitler wollte er erst nicht zurück und dann nicht bleiben. Noch vor Ausbruch des Zweiten Weltkrieges emigrierte er nach England, wurde eingebürgert und erklärte den Briten Hitler und die Deutschen – nach seiner Rückkehr nach dem Zweiten Weltkrieg tat er dieses in der alten Heimat für die Deutschen.

Eine betörende Wiener Studentin

Mit dem Buch Germany. Jekyll and Hyde entstand der Name Haffner, er hatte ihn als Pseudonym aus Angst vor dem langen Arm der Gestapo gewählt. Bis zu seinem Lebensende sollte er an diesem Alias festhalten. 26 Jahre nach seinem Tod scheint der eigentliche Haffner, Raimund Pretzel, nun wieder auf. In Abschied verliebt sich der Mittzwanziger in die Femme fatale Teddy, eine betörende Wiener Studentin, die in Paris Tag, Nacht und Leben sucht. Raimund reist im Spätsommer 1931 von Berlin für zwei Wochen zu der ersehnten Liebe, um hoffen zu dürfen. Aufregende Freunde, eine Ablenkung, die so nur Paris kennt, und Raimunds wie Teddys Jugend verunmöglichen eine Liebe in zwei Herzen.

Verliebt ins Gelingen

Haffner bewältigt in Abschied prosaisch sein eigenes jugendliches Ich – das er in seinen 1939 angefangenen und posthum erschienenen Erinnerungen Geschichte eines Deutschen schon einmal darlegte. Er vollzieht seinen Abschied von der jungen, unerfüllten Liebe nach; verarbeitet die verzweifelte Ratlosigkeit eines Suchenden, der nicht gefunden wird, und den Schmerz dessen, der sich ins Gelingen verliebt hat.

Die Novelle im Roman

Im Stil legt sich der junge Haffner auf den 192 Seiten Abschied nicht fest. Lange, füllende Dialoge schaffen über weite Strecken eine Alltagsprosa, die dem Werk einen romanhaften Charakter gibt. Der Novellen-Teil, die Gegensätzlichkeit von Raimund und Teddy – ihre scheiternde Liebesgeschichte -, hat ein anderes, mitreißend emotionales Tempo, das auf das Roman-Füllwerk nicht angewiesen ist. Haffner rührt darin mit seinen szenischen Beschreibungen einfühlsam an – wenn sich Raimund und Teddy im ausgehenden Tag aufmachen, allein zu sein und Paris zu erkunden – in der Hoffnung, dass etwas bleibt. Es ist bisweilen ein berauschendes Tempo, in dem Haffner den Leser mit spürbarem Abstand an der Hand nimmt und führt: „Ich lebte hier in Paris mit ihr in einem Netz von kurzfristigen Verabredungen, und den größten Teil der Zeit verbrachte ich damit, mich über die vertane vorige zu ärgern und mich auf die nächste zu freuen – dies, obwohl ich wusste, dass es auch wieder nichts Rechtes werden würde.“ Haffner nimmt in der Novelle sich und den Leser ernst: kein Zweifel an der Bedeutung von Hoffnung, Enttäuschung und Trauer kommt auf, wo der Autor schweigt oder die Erzählung nur schwebt. Raimund will Liebe und dass es Teddy ist, lässt Haffner an mancher Stelle wie einen austauschbaren Zufall erscheinen.

„Ich höre es noch“

„Man kann hier glücklich sein“, legt Haffner seinem Raimund über Paris in den Mund. Und wenn er die Brücken der Seine, die Bouquinisten und den Kuss am Eiffelturm mit Blick auf das Champ de Mars beschreibt, schildert Haffner nicht nur seine eigene Ausweglosigkeit, sondern vielleicht die eines jeden. Dass ein Abschied, wie Haffner ihn geschrieben hat, immer ein langer ist, sagt er jedem, der es bis jetzt nicht wusste: „Ich höre es noch“, sind seine letzten Worte.

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