Am Grazer LKH

Patientin gab bei eigener Gehirn-OP Flötenkonzert

Teilen

Testung der feinmotorischen Fähigkeiten und des Sehsinns erfolgten im aktiven Wachzustand.

Es war nicht das größte Konzert der Querflötistin, aber wohl das bemerkenswerteste: Vor einem Jahr hat sich eine junge Musikerin an der Grazer Uniklinik für Neurochirurgie ihren Gehirntumor entfernen lassen - teils bei vollem Bewusstsein und musizierend, wie die behandelnden Ärzte der Frau am Mittwoch im Pressegespräch in Graz zurückblickten.

Nach einem Sturz mit dem Fahrrad in Graz im Jahr 2015 wurde bei der damals 25-jährigen Musikstudentin bei der MRT-Untersuchung im Krankenhaus ein niedriggradiges Gliom, ein Tumor, der sich aus den Stützzellen des Hirnes bildet, entdeckt. "Das sind Tumore, die eine jährliche Wachstumsrate von vier Millimetern haben und mit der Zeit entarten. Daher ist es unerlässlich, so viel Gewebe wie möglich zu entfernen", erklärte Michael Mokry, Vorstand der Uniklink für Neurochirurgie.

Patientin bei Operation wach und ansprechbar

Damit der Tumor "im maximalen möglichen Ausmaß, aber unter optimaler Schonung der bisherigen Funktionen" entfernt werden konnte, schlugen die Grazer Mediziner eine Wachoperation vor. Das bedeutet, dass der Patient in einer Phase der Operation wach und ansprechbar ist, damit das eigentliche Operationsgebiet durch Live-Funktionstest auf das Minimum eingegrenzt werden kann. Getestet wird mit kurzen elektrischen Impulsen, die wichtige individuelle Funktionen stören. Möglich wird diese Methode, weil das Gehirn selbst schmerzunempfindlich ist. Die Patienten haben also keine Schmerzen.
 
"Wir versuchen, bei solchen Operationen den Patienten in Situationen zu versetzen, die seinem täglichen und beruflichen Leben nahe kommt", schilderte der Leiter des Wach-OP-Teams, Gord von Campe. Bei der Grazer Flötistin sei es das klare Ziel gewesen, ihre feinmotorischen Fähigkeiten und ihren Sehsinn in vollem Umfang zu erhalten, statt diese zugunsten einer Komplettentfernung des Glioms aufzugeben. Deshalb hat die Patientin am OP-Tisch auf der Flöte die "Kleine Nachtmusik" von Mozart, Stücke von Bach und Prokofjew gespielt. "Ein russischer Komponist musste dabei sein", erzählte die gebürtige Russin augenzwinkernd.

"Alle vom Operationsteam waren nervöser als ich"

Ein Jahr nach der Operation kann sie sowohl ihrem Beruf als Musiklehrerin nachgehen und weiterhin als Fotografin tätig sein. Angst vor dem Eingriff habe sie zu keinem Zeitpunkt gehabt, erzählte die Musikerin. "Alle um mich herum - ausgenommen das Operationsteam - waren nervöser als ich", sagte die Patientin.
 
Insgesamt habe die Operation laut Gord von Campe rund sechs Stunden gedauert. Zuerst wurde der Patientin unter Narkose der Schädel geöffnet, darauf folgte die rund eineinhalbstündige Testung bei vollem Bewusstsein und dann die eigentliche Tumor-Resektion. Schließlich wurde der Frau rund die Hälfte des Glioms entfernt. Nun werde beobachtet, wie sich der verbliebene Tumor entwickelt. "Dadurch, dass wir die Hälfte der Masse entfernt haben, haben wir enorm viel Zeit gewonnen", hob Mokry hervor.
 
In Graz werden Wach-Operationen am Gehirn seit rund sechs Jahren durchgeführt. Bisher halte man bei rund 100 solcher Eingriffe, alleine in diesem Jahr seien es bereits 18 gewesen. "Wir machen das österreichweit sicher am häufigsten", so der Vorstand der Uniklinik.
Fehler im Artikel gefunden? Jetzt melden.