Beamte taten Blutspuren als "Nasenbluten" ab und übersahen Beweismaterial.
Die noch nicht rechtskräftige Anklageschrift im Fall des unter Doppelmord-Verdacht stehenden Wiener Polizisten zeigt nicht nur die rigorose Tatplanung des 24-Jährigen, sondern auch, wie oft der Beamte in aller Seelenruhe seine Tat vertuschen konnte. Obwohl es zahlreiche Hinweise wie etwa die Blutspuren des Opfers im Stiegenhaus gab, griffen seine Kollegen zunächst nicht ein.
Staatsanwältin Karina Fehringer hält in ihrer 20-seitigen Anklageschrift mehrmals fest, wie einfach der Polizist die Spuren verwischen konnte. Nachdem der 24-Jährige am 2. Oktober 2016 seine schwangere Freundin Claudia K. im Bett erschossen und einen Tag später den 22 Monate alten Sohn Noah erwürgt hatte, geriet er zunehmend unter Druck, da sich die Mutter und die Freundin der 25-Jährigen Sorgen machten. Mehrmals versuchten sie, die schwangere Frau über Handy zu erreichen. Daniel L. schnappte sich das Mobiltelefon seiner Lebensgefährtin und schrieb in ihrem Namen SMS-Nachrichten wie "Mir geht es nicht gut, ich will meine Ruhe", um die Angehörigen zu beschwichtigen.
Blutspuren als "Nasenbluten"
Auf Bitte der Mutter fuhr die Freundin am 3. Oktober 2016 zur Wohnung, in der Claudia K. und der Polizist lebten. Als sie niemanden antraf, hinterließ sie am Telefon der 25-Jährigen, die zu diesem Zeitpunkt bereits tot in der Badewanne lag, erneut eine Nachricht, in der sie ankündigte, dass sie die Polizei rufen werde. Der Polizist las die Nachricht und geriet laut Staatsanwaltschaft in Panik. Er hatte zwar die blutige Kleidung seiner Lebensgefährtin und die Patronenhülse entsorgt, jedoch befanden sich die Leichen noch in der Wohnung und auch blutige Matratze hatte er lediglich umgedreht. Da er annahm, dass die Freundin seiner Lebensgefährtin mit der Polizei wiederkommen würde, packte er die Toten in Plastiksäcke und schleppte sie ins Kellerabteil des Hauses. Dabei hinterließ er am Gang und im Aufzug Blutspuren.
Seinen Sohn legte er im Kellerabteil in ein Regal, die Frau auf den Boden, wobei eine größere Blutspur entstand, wie Staatsanwältin Fehringer ausführte. Kurze Zeit später traf die Freundin von Claudia K. gemeinsam mit Polizisten erneut bei der Wohnung ein. Dabei bemerkte die Frau auch die Blutspuren am Gang und machte die Beamten darauf aufmerksam. Die Polizisten "bagatellisierten diese jedoch als 'Nasenbluten'", wie aus der Anklageschrift zu entnehmen ist. Dennoch wurde die Wohnung durch die Feuerwehr geöffnet, während der Beamte zu diesem Zeitpunkt mit den Leichen im Keller verharrte. Die Beamten schauten in der Wohnung nach, "konnten jedoch keine Verdachtsmomente feststellen" (Anklage). Die blutige Matratze, die immer noch am Bett lag, fiel den Polizisten scheinbar nicht auf. Auch im Keller sahen die Beamten nicht nach.
Lügengeschichte aufgetischt
Als er noch im Keller wartete, überlegte sich Daniel L., wie er das Verschwinden seiner Lebensgefährtin und seines Kindes glaubhaft erklären könne. Er erzählte der Polizei, die noch zuvor in seiner Wohnung war, und den Angehörigen, dass er sich von ihr getrennt hätte, und Claudia K. "in einem emotional aufgebrachten Zustand" verschwunden sei. Er bat sogar noch einmal seine Vorgesetzte, mit ihm in die Wohnung zu fahren und Nachschau zu halten. Auch dieser Beamtin fielen die Blutspuren auf der Matratze nicht auf, auch eine "ungewöhnliche Beschädigung des Kastens" - dort dürfte das Projektil abgeprallt sein - entging der Beamtin.
Deshalb fanden es die Polizisten, die von der Freundin von Claudia K. alarmiert wurden, nicht mehr notwendig, neuerlich in der Wohnung nachzusehen. Sie begnügten sich mit den Aussagen des Polizisten und seiner Vorgesetzten. Diese schlug dem 24-Jährigen sogar vor, sich krank zu melden. Die freie Zeit nutzte der Polizist, um im Baumarkt Müllsäcke zu kaufen, um die Leichen, die sich immer noch im Keller befanden, zu entsorgen. Zudem brachte er die Tatwaffe, bei der es sich um seine Dienstwaffe handelte, seelenruhig zurück in seine Dienststelle.
Ungereimtheiten spät festgestellt
Zwei Tage später plante der Polizist, zu seinen Eltern in die Steiermark zu fahren, und holte sich dafür das Okay von seiner Vorgesetzten. "Diese riet ihm, das nicht an die 'große Glocke zu hängen'", führt die Staatsanwaltschaft dazu in der Anklage aus. Der Angeklagte kaufte sich einen großen Koffer, besorgte eine Reisetasche und brachte damit die Leichen aus der Stadt, um sie in der Steiermark zu entsorgen.
Erst als die Mutter von Claudia K. am 6. Oktober 2016 erneut zur Polizei in Margareten ging, fand sie bei einem Beamten Gehör. Dem Revierinspektor kam die emotionslose Reaktion des jungen Mannes komisch vor, deshalb informierte er seinen Vorgesetzten. Der Gruppeninspektor studierte die Ermittlungsergebnisse erneut und stieß auf Ungereimtheiten. Erst jetzt wurden die Blutspuren im Haus untersucht und auch festgestellt, dass zwei Schuss Munition aus der Dienstwaffe des 24-Jährigen fehlten. Einen Tag später durchsuchten Beamte erneut die Wohnung und fanden nun die blutige Matratze, zudem Blutspuren am Lattenrost und im Badezimmer, die mit Luminol sichtbar gemacht werden konnten.
Probleme bei psychiatrischem Gutachten
Daraufhin übernahmen Beamte des Landeskriminalamtes Wien die Ermittlungen und informierten ihre Kollegen in der Steiermark. Diese holten den 24-Jährigen zunächst von seinem Elternhaus ab. Da die Ankunft der Ermittler aus Wien noch auf sich warten ließ, schickten sie den Verdächtigen wieder zu seinen Eltern. Der 24-Jährige nutzte die Zeit, um die Leichen, die immer noch in seinem Auto lagen, zu einem Erdwall auf einem verwilderten Grundstück zu bringen. Anschließend fuhr er zurück zur steirischen Polizeiinspektion, wo die Wiener Beamten bereits auf ihn warteten. Konfrontiert mit den Beweisen, die in der Wohnung sichergestellt wurden, legte der 24-Jährige ein Geständnis ab.
Der gerichtliche Sachverständige Karl Dantendorfer dürfte beim Erstellen seines psychiatrischen Gutachtens auch einige Probleme gehabt haben. Um den Geisteszustand des Beschuldigten beleuchten zu können, hatte er den Eignungstest, den der 24-Jährige bei der Polizei machen musste, nicht erhalten. "Einer angeordneten Beischaffung der zugrunde liegenden psychologischen Aufnahmeunterlagen konnte jedoch mit der Begründung, dass diese Art des Tests nicht mehr aktuell und das Computerprogramm nicht mehr aktiv ist, nicht entsprochen werden", hielt Staatsanwältin Fehringer fest.
Die Wiener Polizei hielt am Mittwoch auf Anfrage der APA fest, dass zu einem gerichtsanhängigen Akt keine Stellungnahme abgegeben werde. "Sollte die Staatsanwaltschaft Ermittlungspannen feststellen, wird das überprüft", sagte Manfred Reinthaler, Vorstand der Pressestelle der Landespolizeidirektion.
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