"Trifft oft Frauen"

Antimuslimischer Rassismus: Zahl der Fälle laut Dokustelle gesunken

Frauen dreimal so oft betroffen. Wahlkampf und Fußball-EM heizen das Online-Klima auf.

Die Dokumentationsstelle antimuslimischer Rassismus registrierte im Vorjahr 1.336 Fälle von rassistischen Übergriffen gegen Muslime oder als solche Wahrgenommene. Das sind etwas weniger als im "Rekordjahr" 2023 (1.522). Drei Viertel der Übergriffe fanden online statt. Im August und September wurden deutlich mehr Fälle gemeldet als sonst, was die Dokustelle auf den Wahlkampf zurückführt. Auch im Zusammenhang mit dem Nahost-Konflikt kam es zu Diskriminierungen.

Bereits in den vergangenen Jahren hätten Wahlkämpfe Auswirkungen auf den Alltag von Muslimen gehabt, hieß es in dem am Dienstag veröffentlichten Report. Dieser setzt sich aus bei der Stelle direkt gemeldeten "Offline-Fällen" sowie aus Online-Vorfällen zusammen, die im Rahmen eines systematischen Monitorings erfasst wurden. Allerdings ist von einer erheblichen Dunkelziffer auszugehen. "Ziel unserer Dokumentation ist es, Tendenzen sichtbar zu machen – denn jeder einzelne Fall ist einer zu viel", so die Dokustelle.

Offline überwiegen Ungleichbehandlungen und Beleidigungen

Die Analyse der Offline-Fälle zeigt: Am häufigsten wurde über Beleidigungen (19,9 Prozent) und Ungleichbehandlung (19,4 Prozent) berichtet. Besonders muslimische Frauen schilderten diskriminierende Erfahrungen im Gesundheitssystem - etwa, dass sie auf ihr Äußeres reduziert, abgewertet oder nicht ernst genommen wurden. Auch muslimische Ärzte und Ärztinnen berichteten von struktureller Ungleichbehandlung und mangelnder Anerkennung ihrer beruflichen Expertise.

13,3 Prozent der Fälle entfielen auf die Kategorie Verbreitung von Hass. Dazu zählen etwa Hassbotschaften, die gezielt an muslimische Organisationen gerichtet wurden, aber auch Hassnachrichten direkt an die Dokustelle - beide nahmen zu. "Je sichtbarer die Arbeit zu antimuslimischem Rassismus wird, desto massiver werden die Angriffe", hieß es von der Dokustelle.

Weitere Gründe für Beschwerden waren Polizeigewalt (9,3 Prozent), Gefährliche Drohung (8,8 Prozent) und Beschmierungen und Vandalismus (je 7,7 Prozent). Knapp drei Prozent waren auf physische Übergriffe zurückzuführen. Ein knappes Drittel (31,8 Prozent) der dokumentierten Vorfälle ereignete sich im öffentlichen Raum, weitere häufige Tatorte waren Arbeitsplätze (11,8 Prozent) und Bildungseinrichtungen (10 Prozent).

Frauen dreimal so oft betroffen

Besonders auffallend: Über drei Viertel der Betroffenen waren weiblich. "Dieser Trend zeigt sich durchgängig in allen Erhebungsjahren der Dokustelle Österreich und verdeutlicht: Antimuslimischer Rassismus betrifft besonders häufig jene, die an mehreren Schnittstellen von Diskriminierung betroffen sind", so das Fazit.

Bei den Tätern handelte es sich zum größten Teil um Einzelpersonen (63,2 Prozent), für 10 Prozent der gemeldeten Diskriminierungen war die Polizei verantwortlich, gefolgt von anderen Organisationen (7,4), Journalisten (7,1) und Politikern (5,6). "Muslimische Communitys stehen unter Mehrfachdruck: Neben strukturell verankertem alltäglichen Rassismus sind Menschen zusätzlich mit rassistischen Narrativen im Zusammenhang globaler Gewalteskalationen, Genozide, Kriege und Entwicklungen dahingehend konfrontiert. Medien sind häufig Teil der Konstruktion von Feindbildern, die muslimische Menschen pauschal verdächtigen sowie kriminalisieren und ausgrenzen", betonte Obfrau Rumeysa Dür-Kwieder laut Unterlage bei einer Pressekonferenz am Dienstag.

Diskriminierung von "Pro-Palästina"-Aktivisten

Weitere erfasste Tathandlungen betrafen laut Dokustelle den Zusammenhang von Polizeigewalt und Demonstrationen in Solidarität mit Palästinensern und Palästinenserinnen. Zahlreiche Betroffene berichteten von unbegründeten Verboten oder Auflösungen von Versammlungen - selbst wenn diese rechtmäßig angemeldet waren. Teilnehmende seien teils mit überhöhten und rechtswidrigen Strafen belegt worden.

"Antimuslimischer Rassismus zeigte sich dabei sowohl auf individueller Ebene – etwa durch diskriminierendes Verhalten von Beamten und Beamtinnen – als auch strukturell, etwa durch die systematische Einschränkung der Versammlungsfreiheit", hieß es in dem Bericht. Besonders Muslime und Musliminnen, die sich sichtbar etwa durch das Tragen religiöser Kleidung als solche zu erkennen geben, berichteten, oft als potenzielles Sicherheitsrisiko wahrgenommen und pauschal kriminalisiert worden zu sein.

Wahlkampf und Fußball-EM beeinflussten Online-Klima

Von den 996 antimuslimischen Vorfällen im Online-Bereich ereigneten sich mehr als ein Drittel in den beiden Monaten August und September. Das begründete die Dokustelle einerseits durch die EU-Wahl Mitte Juni und die Nationalratswahl im September. "Wahlkampfthemen wie 'Überfremdung' oder 'Islamisierung' dominierten die öffentliche Debatte und befeuerten rassistische Ressentiments."

Aber auch die Fußball-Europameisterschaft in Deutschland hätte Einfluss gehabt: Besonders in Zusammenhang mit Spielen gegen die Türkei oder Teams aus Südosteuropa sei es vermehrt zu rassistischen Parolen, Symbolen und Kommentaren gekommen - online wie offline. Die Berichterstattung darüber habe antimuslimische Stereotype zusätzlich verstärkt.

Auch im Kontext des Krieges in Gaza seien Muslime und Musliminnen vermehrt mit Gewalt und Extremismus assoziiert worden. "Die hohe Zahl dokumentierter Fälle im Spätsommer und Frühherbst lässt sich daher auch als Reaktion auf die zunehmend feindliche mediale und politische Stimmung verstehen." Besonders betroffen seien auch hier vor allem Frauen mit sichtbarem religiösen Ausdruck ebenso wie geflüchtete Personen und Menschen mit arabisch-palästinensischem Hintergrund.

Dokustelle: "Tief verankertes, strukturelles Problem"

Die Dokustelle sieht sich selbst an einem "Wendepunkt". 2024 sei geprägt gewesen von einem gesellschaftlichen und politischen Backlash, weniger Raum für freie Meinungsäußerung und verstärkter Kriminalisierung muslimischer Selbstorganisationen. "Die Dokustelle dokumentiert seit zehn Jahren kontinuierlich antimuslimischen Rassismus. Es braucht keine weiteren Beweise dafür, dass wir es mit einem tief verankerten, strukturellen Problem zu tun haben", betonte die Leiterin der Rechtsberatung Dunia Khalil.

Aus den Ergebnissen der Reports leitet die Dokustelle mehrere politische Forderungen ab. Unter anderem sollen Lehrkräfte verpflichtend in Zusammenarbeit mit Community-basierten Organisationen kontinuierlich fortgebildet werden. Polizeigewalt müsse unabhängig aufgeklärt und Betroffene müssten entschädigt werden. Außerdem solle das Justizministerium bei rassistisch motivierten Straftaten "systematisch evaluieren, Schwachstellen offenlegen und Verbesserungen umsetzen." Der vollständige Bericht ist unter https://dokustelle.at/ abrufbar.

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