Nehammer: ''Die Genfer Flüchtlingskonvention und ihr ursprünglicher Gedanke wird lange nicht mehr gelebt.'' – Abschiebungen auch nach Syrien ''prüfen''.
Wien. Innenminister Karl Nehammer übt im Interview mit der Tageszeitung ÖSTERREICH (Sonntagsausgabe) Kritik am bestehenden Asylsystem: "Das EU-Asylsystem ist völlig falsch aufgesetzt. Die Genfer Flüchtlingskonvention und ihr ursprünglicher Gedanke wird lange nicht mehr gelebt. Denn die Flüchtlingskonvention besagt, dass Menschen Schutz vor Verfolgung bekommen sollen im nächstgelegenen sicheren Land, und nicht dass sich ein Asylwerber das Land, in dem er Leben will, aussuchen kann. Das ist ein grundlegender Fehler unserer EU-Gesetze, die uns dazu zwingen, jeden Asylwerber ins Land zu lassen, egal woher er kommt." Nehammer weiter: "Das EU-Recht blockiert Abschiebungen, bevor das Gericht entschieden hat. Wir sind gezwungen, die Entscheidungen abzuwarten, obwohl es sich um Straftäter handelt."
"Das EU-Asylsystem kann so nicht funktionieren"
Nehammer will sich nun für Änderungen der Asylgesetze auf EU-Ebene einsetzen: "Das EU-Asylsystem kann so nicht funktionieren. Straffällige müssen sofort außer Landes gebracht werden können – sie haben unser Gastrecht missbraucht und hier nichts verloren.
Scharf in die Kritik nimmt der Innenminister beim Thema Asyl auch den Grünen Koalitionspartner: "Die Grünen und die SPÖ haben vor Kurzem noch einen Abschiebestopp nach Afghanistan gefordert. Das wird es mit mir sicher nicht geben." Nehammer möchte nun auch "prüfen", ob Abschiebungen künftig auch nach Syrien möglich seien.
Das ganze Nehammer-Interview
Innenminister Karl Nehammer nimmt Stellung.ÖSTERREICH: Der Fall Leonie schockt das Land. Was sind die aktuellsten Entwicklungen im Kriminalfall?
Karl Nehammer: Eines vorweg: Das menschenverachtende und brutale Vorgehen der Tatverdächtigen hat mich – als Vater von 2 Kindern – zutiefst schockiert. Die Ermittlungen laufen auf Hochtouren, die Polizei informiert laufend.
ÖSTERREICH: Wie konnte es sein, dass die Tatverdächtigen – trotz mehrfacher Vorstrafen – noch im Land waren und nicht abgeschoben wurden?
Nehammer: Ich habe unmittelbar den Asylstatus im Bundesamt für Fremdenwesen prüfen lassen. Dort wurde alles getan, was möglich war, um die Straffälligen aus dem Land zu bekommen. Leider ist es so, dass lange gerichtliche Berufungsverfahren offen sind, daher konnte nicht abgeschoben werden.
ÖSTERREICH: Was läuft in unserem Asyl-System schief?
Nehammer: Das EU-Asylsystem ist völlig falsch aufgesetzt. Die Genfer Flüchtlingskonvention und ihr ursprünglicher Gedanke wird lange nicht mehr gelebt. Denn die Flüchtlingskonvention besagt, dass Menschen Schutz vor Verfolgung bekommen sollen im nächstgelegenen sicheren Land, und nicht dass sich ein Asylwerber das Land, in dem er Leben will, aussuchen kann. Das ist ein grundlegender Fehler unserer EU-Gesetze, die uns dazu zwingen, jeden Asylwerber ins Land zu lassen, egal woher er kommt.
ÖSTERREICH: Wieso dauern Verfahren zur Aberkennung des Asylstatus so lange?
Nehammer: Das Verfahren beim BFA dauert heute im Schnitt gut drei Monate und es wird ein Fokus bei der Aberkennung aufgrund Straffälligkeit gelegt und prioritär abgearbeitet. Wenn Beschwerde eingelegt wird, geht das Verfahren auf das zuständige Gericht über – und das dauert mitunter.
ÖSTERREICH: Wie können straffällige Flüchtlinge rascher abgeschoben werden?
Nehammer: Durch schnellere Gerichtsentscheidungen. Das EU-Recht blockiert Abschiebungen, bevor das Gericht entschieden hat. Wir sind gezwungen, die Entscheidungen abzuwarten, obwohl es sich um Straftäter handelt.
ÖSTERREICH: Sollte man Straffällige nach einem Ersturteil einmal abschieben, auch wenn sie Einspruch einlegen? Auch straffällige Minderjährige?
Nehammer: Genau das meine ich, derzeit gibt es das EU-Recht nicht her. Das EU-Asylsystem kann so nicht funktionieren. Straffällige müssen sofort außer Landes gebracht werden können – sie haben unser Gastrecht missbraucht und hier nichts verloren.
ÖSTERREICH: Fehlt Ihnen das Bekenntnis der Grünen, bei diesen Fällen hart durchzugreifen?
Nehammer: Die Grünen und die SPÖ haben vor Kurzem noch einen Abschiebestopp nach Afghanistan gefordert. Das wird es mit mir sicher nicht geben.
ÖSTERREICH: Sollte neben Afghanistan auch nach Syrien abgeschoben werden?
Nehammer: Wir prüfen das permanent. Derzeit gibt es die Möglichkeit der freiwilligen Ausreise.
ÖSTERREICH: Wieso werden Schulmädchen abgeschoben und Kriminelle nicht?
Nehammer: Es gilt in Österreich die Einzelfallprüfung. Im Fall von Tina lagen mehrere rechtskräftige Entscheidungen von Gerichten vor. Im Fall der Afghanen bisher nicht.
ÖSTERREICH: Warum steigt in diesem Jahr die Zahl der Asylanträge wieder?
Nehammer: Die Pandemie hat die illegale Migration kurzzeitig gebremst. Die Schlepper haben sich an die Situation angepasst und nutzen das Leid der Menschen.
(baa)