Ungarischer Premier in Wien

Orbán und Kurz: Einigkeit bei Migration

Teilen

Bundeskanzler: Österreich will in der EU 'Brückenfunktion' übernehmen.

Bei ihrem ersten Treffen seit dem Amtsantritt von Sebastian Kurz (ÖVP) als Bundeskanzler haben Kurz und der ungarische Premier Viktor Orbán am Dienstag Einigkeit demonstriert - zumindest beim Thema Migration. Uneinigkeit herrschte über den Ausbau des ungarischen AKW Paks und bei der Indexierung der Familienbeihilfe für Kinder, die im EU-Ausland leben. Kritik kam unter anderem von der Opposition.
 
Angesichts der "Spannungen", die "seit der Flüchtlingskrise" 2015 in der Union aufgetreten seien, wolle Österreich eine "Brückenfunktion" in der EU zwischen den Visegrád-Staaten und den westeuropäischen Staaten einnehmen, betonte Kurz vor Journalisten im Bundeskanzleramt in Wien. Orbán begrüßte dieses Ansinnen Österreichs und meinte, dass die Alpenrepublik angesichts seiner Geschichte "beide Seiten versteht".
 

Schutz der EU-Außengrenzen

Erneut betonten beide Politiker die Bedeutung des Schutzes der EU-Außengrenzen gegen die illegale Migration, wobei beide gleichzeitig "den Schengen-Raum stärken" wollen. Orbán sah allerdings "mangelndes Engagement bei manchen EU-Binnenstaaten" für den Schutz des Schengen-Raums. Orbán unterstrich erneut Ungarns Engagement beim Außengrenzschutz und betonte: "In Ungarn gibt es keine illegalen Migranten."
 
Zu den Streitthemen Paks und Familienbeihilfe betonte Orbán, dass dies "keine bilateralen Themen" seien. "Das wird weder in Wien noch in Budapest entschieden, sondern in Brüssel." Er wies darauf hin, dass die EU-Kommission als Hüterin der Verträge Österreich wegen der Senkung der Familienbeihilfe "schon geklagt hat oder bald klagen wird". Beide Seiten plädierten in der Frage für Gerechtigkeit, wobei die Sichtweise darauf freilich diametral entgegengesetzt war: Während Kurz betonte, dass die Indexierung der Familienbeihilfe "mehr Gerechtigkeit schafft", ortete Orbán darin eine "Diskriminierung".
 

Harsche Kritik

Die als Arbeitsbesuch deklarierte Visite ist von großem Medieninteresse und zahlreichen Reaktionen begleitet. NEOS und SPÖ übten im Vorfeld harsche Kritik an dem Empfang Orbáns bei Kurz. NEOS-Parteichef Matthias Strolz erinnerte in einer Pressekonferenz daran, dass Orbán ein "Proponent der illiberalen Demokratie" sei. Auf eine Journalistenfrage zu seiner umstrittenen Formulierung über die "illiberale Demokratie" sagte der rechtsnationale ungarische Premier: "Sobald die Liberalen nicht in der Regierung sind, denken sie, die Demokratie sei vorbei." Er selbst halte "die Demokratie ohne Attribut für die beste Demokratie".
 
Der EU-Abgeordnete und sozialdemokratische Fraktionsvize Josef Weidenholzer bezeichnete Orbáns Besuch als "kein gutes Signal". Kurz und Vizekanzler Heinz-Christian Strache (FPÖ), den Orbán am Abend in der ungarischen Botschaft trifft, würden um die Gunst von Orbán "buhlen". "Ist Ungarn wirklich ein Vorbild für Österreich?", fragte Weidenholzer besorgt. Der Delegationsleiter der Grünen im EU-Parlament, Michel Reimon, befürchtete, dass Kurz die "Orbanisierung Österreichs" weiter vorantreibe. Auch der Klubobmann der Liste Pilz, Peter Kolba, bezeichnete die "Nähe" der Bundesregierung zu den Visegrád-Staaten als "Gefahr für Österreich".
 

"Pro-europäische Botschaft"

FPÖ-Generalsekretär und Delegationsleiter im Europäischen Parlament, Harald Vilimsky, hingegen verteidigte Orbáns Besuch und meinte, die Kritik der SPÖ sei "scheinheilig", da Orbán 2016 von Ex-Kanzler Christian Kern (SPÖ) zum Migrationsgipfel eingeladen wurde. Daran nahmen allerdings alle Länder entlang der "Balkanroute" teil.
 
Kurz vor dem Eintreffen Orbáns auf dem Ballhausplatz versammelten sich Mitglieder diverser pro-europäischer Organisationen, um ihn mit einer "pro-europäischen Botschaft" zu empfangen, wie es auf der Seite des Facebook-Events hieß. Rund 35 Personen schwenkten neben dem Bundeskanzleramt EU-Fahnen und beschallten Orbáns Delegationsfahrzeuge mit einer Synthesizer-Version der Europahymne. Unterstützt wurde die Aktion unter anderem vom European Future Forum (EFF), der Paneuropa Jugend Österreich und der Jungen Europäischen Bewegung (JEB). Auch die NEOS nahmen an dem Protest auf dem Ballhausplatz teil. Strolz kritisierte gegenüber der APA, dass Orbán "das europäische Miteinander unterlaufen will".
 
 

Atompolitik

Die Umweltorganisation Greenpeace protestierte ihrerseits mit einer vier Meter hohen Installation aus Atomfass-Attrappen gegen den Bau des ungarischen Atomkraftwerks Paks II. Österreich hatte in der Vorwoche angekündigt, eine Klage gegen Paks vor dem Gericht der Europäischen Union (EUG) einbringen zu wollen. Sollte Ungarn tatsächlich ab Februar mit dem Bau beginnen, wie von Medien kolportiert, wäre dies ein "diplomatisches Foul gegen Österreich", betonte Adam Pawloff, Anti-Atom-Sprecher bei Greenpeace. Orbán betonte am Dienstag: "Wir werden alles tun, damit die Atompolitik unser Verhältnis (zwischen Österreich und Ungarn, Anm.) nicht trübt."
 
Neben Kurz und Strache wollte Orbán auch Kardinal Christoph Schönborn und die Ex-ÖVP-Politiker Erhard Busek und Wolfgang Schüssel treffen. Laut ungarischen Medienberichten kam er zudem am Montagabend bereits mit dem österreichischen Investor Heinrich Pecina zusammen. Dessen Name war 2016 in die internationalen Medien geraten, als ein von ihm kontrollierter ungarischer Zeitungskonzern das oppositionelle linksliberale Blatt "Népszabadság" von einem Tag auf den anderen einstellte. Der Konzern wurde kurz darauf an ein Unternehmen mit Verbindungen zu einem engen Vertrauten Orbáns verkauft. Die Einstellung der Zeitung sorgte damals in Ungarn wie im Ausland für Protest.
Fehler im Artikel gefunden? Jetzt melden.