Ein Kommentar von ÖSTERREICH-Herausgeber Wolfgang Fellner.
Die kommende Woche hätte das große Comeback von Kanzler Sebastian Kurz in der Wählergunst bringen sollen.
- Die Corona-Pandemie scheint überwunden. Die Neuinfektionen sinken – wir sind schon fast wieder Europa-Spitze, was unsere Inzidenzzahlen anbelangt.
- Die Öffnungsansage des Kanzlers war völlig richtig. Die Gastronomie öffnet. Die Schüler bekommen ihr normales Leben zurück. Sogar die Kultur sperrt wieder auf. Endlich.
- Österreich bekommt wieder Freiheit, das heißt wohl auch: Wirtschaft und Tourismus springen wieder an. Und zur allgemeinen Freude kommt endlich auch die Impfoffensive ins Rollen.
Überall auf der Welt hat dieser Zwischensieg über Corona zum großen Imagegewinn für die jeweiligen Regierungschefs geführt. US-Präsident Joe Biden ist das beste Beispiel.
In Österreich gehen die Uhren anders. Hier ist Kanzler Kurz just in der Woche, in der er die „neue Freiheit“ feiern wollte, schwer unter Druck gekommen. Die Opposition hat den „Öffnungskanzler“ ans Kreuz des Untersuchungsausschusses genagelt. Und das tut weh.
Kurz hat das getan, was die meisten Wähler heute zu Recht ihren Politikern nicht mehr verzeihen: Er hat nicht die Wahrheit gesagt. Seine Aussage vor dem U-Ausschuss, er hätte von der Besetzung der ÖBAG-Spitze keine Ahnung gehabt, hat ihm sowieso von Beginn an keiner geglaubt. Aber dass ihn SMS-Chats der falschen Aussage überführen – das sollte einem Kanzler nicht passieren.
Die Folgen sind klar: Die rot-grüne Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft wird den Kanzler anklagen. Das riecht zwar stark nach einer politischen Hetzjagd – denn wenn’s um wahrheitswidrige Aussagen vor U-Ausschüssen geht, hätte man schon die halbe politische Elite des Landes (von SPÖ über FPÖ bis Neos) vor Gericht stellen müssen –, aber es entspricht dem Wählerwillen: Die Wähler wollen mehr Transparenz und Ehrlichkeit in der Politik. Sie wollen ein Ende der Korruption.
Durch die drohende Anklage kommen Kurz und sein Team so stark unter Druck, dass von offensivem Regieren keine Rede mehr sein kann. Genau das braucht Österreich aber derzeit – wir brauchen den Neustart nach Corona mit einem starken Kanzler.
Kurz kann theoretisch weiterarbeiten, bis in etwa einem Jahr das Gerichtsurteil zu seiner Falschaussage kommt, bei dem er gute Chancen auf einen Freispruch – wegen „fehlenden Vorsatzes“ – hat. Aber das würde seine Arbeit lähmen. Das würde vor allem die Regierung extrem belasten, weil sich ÖVP-Spitzen und Grüne nach diesen von den Grünen befeuerten Justiz-Attacken hassen.
Kurz hat auch die Option, bis zur Anklage im Herbst zu warten und sich dann dem Wählervotum zu stellen. Vielleicht sogar in der Hoffnung, dass ihm die Grünen – die ja hundertfach betont haben, dass ein Regierungsmitglied nach einer Anklage nicht weiter im Amt sein darf – die Arbeit abnehmen, selbst die Regierung sprengen und damit Neuwahlen provozieren würden.
Viel klüger, offensiver und vor allem ehrlicher wäre es, wenn Kurz noch vor dem Sommer die Entscheidung trifft, sich einem Wählervotum zu stellen.
Der Kanzler hat Österreich – trotz mancher Fehler – im Großen und Ganzen richtig durch die Coronakrise gesteuert. Er hat spät, aber doch den Impfturbo aufgedreht. Er hat als einer der Ersten in Europa das Land wieder geöffnet.
Jetzt braucht es ohnehin ein neues Regierungsprogramm mit einer großen Wirtschafts- und Arbeitsoffensive – und dafür wohl auch einen neuen Regierungspartner.
Vor allem aber kann und darf nur der Wähler entscheiden, ob Sebastian Kurz trotz seiner Falschaussage im U-Ausschuss weiter Kanzler bleiben soll. Letztlich wird Kurz den Wählern eine klare Ansage machen müssen, wie er in einer nächsten Amtszeit für mehr Sauberkeit, Transparenz und ein Ende der Korruption sorgen will.
In Wahrheit können nur die Österreicher selbst entscheiden, ob sie den Neustart nach Corona lieber mit Kurz oder lieber mit Rendi-Wagner beginnen wollen. Niemand braucht Angst vor Neuwahlen zu haben (auch Deutschland wählt im Herbst) – denn ich bin mir sicher: Niemand will in diesem entscheidenden Jahr 2022 eine gelähmte Republik.