Skifliegen

ÖSV-Adler "vom Bett an die Schanze"

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Das Aufgebot der ÖSV-Adler wurde bekanntgegeben. Chefcoach Widhölzl dämpfte im Vorfeld die Erwartungshaltung. 

Stefan Kraft, Gregor Schlierenzauer, Michael Hayböck, Philipp Aschenwald, Clemens Leitner, Timon Kahofer. So lautet das Aufgebot der Österreichischen Skispringer für die am Donnerstag beginnende Skiflug-WM im slowenischen Planica. Weil zuletzt quasi das gesamte Team mit dem Coronavirus infiziert war, fiel eine gute Vorbereitung flach. Die ÖSV-Schanzenstars gehen ohne Wettkampfpraxis auf Weitenjagd.
 

"Vom Bett an die Schanze"

Erst Mittwochvormittag gab es für Kraft Grünes Licht von der medizinischen Abteilung. Bei Schlierenzauer, Aschenwald und Hayböck kam die Gesundschreibung schon früher. Sie alle haben den Wettlauf gegen die Zeit vorerst gewonnen, zu welchen Taten die anerkannten Flieger aber nun imstande sind, ist völlig unklar. Cheftrainer Andreas Widhölzl will seine vier WM-Starter erst nach den zwei Donnerstag-Trainings nominieren.
 
Kraft entschied sich trotz Substanzverlust in der Zwangspause zum Start. "Ich möchte nicht noch länger zuhause sitzen und mir die WM im Fernsehen anschauen, mit dem Wissen, dass ich eigentlich dabei sein könnte. Dafür brenne ich zu sehr für meinen Sport und das Skifliegen ganz besonders", sagte der aktuelle Weltrekordhalter im Skifliegen (253,5 m). Mit nur sieben Wintersprüngen und vielen Fragezeichen geht es für ihn auf die Flugschanze.

 

"Alles ist möglich"

Widhölzl atmete mit Blick auf seine Rückkehrer auf. Der Tiroler fuhr "mit einem positiven Gefühl" nach Slowenien, von Medaillen als Ziel nahm er aber Abstand. "Unsere Herangehensweise ist eher nach dem Motto 'alles ist möglich', aber Favoriten sind sicher andere", erklärte Widhölzl gegenüber der APA - Austria Presse Agentur. "Unsere Vorbereitung war suboptimal. Die Medaillen sind im Hintergrund, der Fokus muss auf den eigenen Stärken liegen."
 
Die schlechten Vorzeichen für den ersten Saison-Höhepunkt sind im Falle der Österreicher auch hausgemacht. Acht ÖSV-Athleten plus Cheftrainer Widhölzl hatten sich seit Ende November mit dem Coronavirus infiziert. Zuletzt in Nischnij Tagil erwischte es auch Daniel Huber, der die bisherigen zwei Einzel-Stockerlplätze für den ÖSV in dieser Weltcup-Saison ersprungen hat. Schon am Wochenende stand für den zuletzt Formstärksten und alle in Russland positiv Getesteten das WM-Out fest.
 

Der ÖSV und das Corona-Problem

Selbst wenn bei der WM sportlich alles gut gehen sollte: Von der Konkurrenz wird Österreichs Team mittlerweile kritisch beäugt. Die meisten anderen Topnationen stehen noch ohne einzigen Coronafall da. Dazu gehören auch die Deutschen, deren Topmann Markus Eisenbichler in Bezug auf das dominierende Thema meinte: "Wenn man die Corona-Maßnahmen nicht so einhält wie wir (...) dann ist es irgendwo auch bissl Selbstverschulden bei den anderen, weil sie zu wenig aufpassen, oder die Hygienekonzepte nicht so einhalten, oder andere Hygienekonzepte haben".
 
Widhölzl wollte derartige Kommentare nicht auf das ÖSV-Team bezogen wissen. "Dass wir unvorsichtig wären oder uns nicht an die Konzepte gehalten hätten, lasse ich nicht auf uns sitzen. Ich kann nur sagen, dass wir sehr dahinter waren, diese Konzepte immer einzuhalten", sagte der frühere Weltklasse-Springer. "Es kann einfach durch die Inkubationszeit sein, dass Leute durchrutschen. Man hat ein Team von 15 Leuten, ich kann ihnen keinen Kontakt mit den Familien verbieten."
 
Um anderen Teams und Gästen zu entgehen, habe man schon beim Sommer-Grand-Prix in Wisla ein eigenes Haus bezogen. "Wir haben das im Winter auch wieder gemacht und hatten einen eigenen Koch mit. Wir hatten ein eigenes Haus für uns, wo sonst niemand drinnen war - ein Haus mit ganz vielen Einzelzimmern", erklärte Widhölzl.
 

"Skifliegen kann man nicht trainieren" 

 
Zum siebenten Mal richtet der slowenische Ort nahe der österreichischen Grenze die Weltmeisterschaften aus. Österreich ist auf der Letalnica-Schanze bisher zu vier Medaillen - je zwei im Einzel und im erst seit 2004 ausgetragenen Teambewerb - geflogen. Nach Gold für Armin Kogler 1979 gewann Gregor Schlierenzauer dort 2010 Silber hinter dem Schweizer Simon Ammann.
 
Zehn Jahre später lässt Ammann die Titelkämpfe wegen eines Formtiefs aus, und auch Schlierenzauer gehört nicht zum engsten Favoritenkreis. Der Weltcup-Rekordsieger im Skifliegen (14 Siege) hat sich nach seiner Erkrankung erholt, brachte die Problematik aber auf den Punkt: "Es geht jetzt mehr oder weniger vom Bett direkt auf eine der größten Schanzen der Welt." Der Routinier hoffte aufgrund seiner Erfahrung, "dass ich da trotzdem ganz gut reinstarten kann."
 
Philipp Aschenwald hat von Österreichs Topleuten die meisten Sprünge in den Beinen. "Ich habe meiner Meinung nach genügend Schneesprünge, Skifliegen kann man sowieso nicht trainieren. Da fangen alle bei null an, da heißt es Herantasten." Er sah seine geringe Erwartungshaltung als Vorteil. "Vielleicht bringt das genau die nötige Lockerheit für uns und es kommen richtig lässige Flüge heraus."
 
Bei den vom Tiroler Alexander Stöckl betreuten Norwegern liegt die Latte um einiges höher. Sie stellen in Halvor Egner Granerud (24) einen dreifachen Saisonsieger. Hinzu kommen Männer mit ausgewiesenen Flugqualitäten: Robert Johansson ist der nationale Rekordhalter (252 m), er stand heuer zweimal auf dem Podest. Mit Daniel-Andre Tande ist auch der Weltmeister von Oberstdorf 2018 dabei.
 
Im deutschen Team ruhen die Hoffnungen vor allem auf Eisenbichler. Hätte der zweifache Saisonsieger zuletzt keine heftige Windböe erwischt, wäre er wohl als Weltcup-Führender zu den Titelkämpfen gereist. Der Bayer will einfach Sprünge wie zuletzt zeigen. "Dann haben es die anderen schon schwer". Schanzenrekordhalter ist der japanische Überflieger Ryoyu Kobayashi, der 2019 nach 252 Metern landete.
 
Ob solche Weiten auf der Letalnica wieder möglich sind? Die Dezember-Ansetzung nach der Absage im vergangenen März ist ungewohnt für Planica und dürfte sich auf die Thermik auswirken. Rückenwind ist wahrscheinlich. Norwegens Cheftrainer ist daher skeptisch: "Die Temperaturen sind niedriger und die Luft um einiges dichter als im Frühjahr. Außerdem haben die Leute noch nicht viele Großschanzensprünge absolviert", sagte Stöckl.
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