ORF-Kameramann Joachim Puchner im großen ÖSTERREICH-Talk vor dem WM-Start.
Seit dieser Saison liefert uns Ex-Profi Joachim Puchner als ORF-Kameramann die spektakulärsten Bilder ins Wohnzimmer, so auch bei der morgen beginnenden Ski-WM in Cortina. Vorher nahm er sich noch Zeit für ÖSTERREICH, plauderte über seinen Job, die WM, seine Schwester Mirjam und die Herren-Abfahrt in Cortina.
ÖSTERREICH: Joachim, wie groß ist bei dir die Vorfreude auf die WM?
JOACHIM PUCHNER: Ich freue mich riesig drauf, weil eine WM ist immer etwas besonderes - egal ob als Rennfahrer oder Kameraläufer. Bei einer Weltmeisterschaft muss man seine Leistung am Tag X perfekt auf den Punkt bringen. Es zählen nur die ersten drei Plätze, da gibt es es nur alles oder nichts. Jeder Skifahrer will gerne eine WM-Medaille daheim hängen haben, aber es gibt nur alle zwei Jahre die Chance. Dazu ist die gesellschaftliche und öffentliche Wahrnehmung noch einmal über ein normales Weltcup-Rennen zu stellen, da steht man schon sehr im Mittelpunkt.
ÖSTERREICH: Du bist zum dritten Mal bei einer WM, dieses Mal ganz ohne Quali-Druck …
Puchner: (lacht) Bei den beiden WMs , die ich gefahren bin, war immer eine Quali, dieses Mal habe ich meinen fixen Startplatz. Für mich ist es meine dritte WM, 2011 bin ich in der Kombi gefahren und 2015 war ich auch dabei, habe aber wegen einer Verletzung dann leider kein Rennen bestritten.
ÖSTERREICH: Für die Herren ist Cortina absolutes Neuland - was weißt du schon von der WM-Strecke?
Puchner: Ich weiß grundsätzlich über die Abfahrt absolut gar nichts (lacht). Vor zwei Jahren war ich mit meiner Schwester unten als Bruder und Betreuer, da hat mir Cortina landschaftlich und schneetechnisch extrem gut gefallen. Aber die Abfahrt der Herren ist auch für mich absolutes Neuland. Nur von den italienischen Meisterschaften habe ich ein paar Videos gesehen, da gibt es sicher extrem lässige Passagen mit Schrägfahrten und Sprüngen - es wird also sicher eine richtig coole Abfahrt. Da rügt das Feld der Medaillenanwärter, das ohnehin schon wahnsinnig eng ist, noch enger zusammen. Diese jahrelangen Erfahrungen, die die routinierten Läufer beispielsweise in Kitzbühel oder Wengen haben, können sie in Cortina nicht ausspielen. Deswegen ist in der Abfahrt eigentlich alles auf Null gestellt.
ÖSTERREICH: Wer ist dein Gold-Favorit in der Abfahrt?
Puchner: Favoriten sind die, die die ganze Saison schon vorne dabei sind. Da zählen Vincent Kriechmayr und Matthias Mayer natürlich absolut dazu. Auch Beat Feuz und die Italiener sind heiß. Wie schon gesagt: Das Feld um eine Medaille ist heuer wahnsinnig groß. Jetzt gilt es zuerst, das Streckenprofil und die Schneebedingungen abzuwarten, dann werden wir sehen, wem das ganze entgegenkommt.
ÖSTERREICH: Für dich ist es deine erste Saison als Kameramann - wie fällt deine bisherige Bilanz aus?
Puchner: Für mich ist es eine Aufgabe, die mir enorme Freude bereitet, ich habe einen großen Spaß dabei. Aber es ist natürlich eine große Herausforderung, die Fußstapfen von Hans Knauss sind groß. Ich hoffe, ich erfülle die Erwartungen der Zuschauer und kann das Gefühl und meine Eindrücke authentisch rüberbringen. Das Abfahren habe ich nach wie vor im Blut. Jetzt gilt es halt, das richtige Mittel zwischen Gas geben und Dosieren zu finden. Beispielsweise in Kitzbühel, vor 1,5 Millionen TV-Zuschauern, darf ich mir keinen Fehler leisten, da mag ich mich nicht auf die Brezeln legen oder irgendeinen Blödsinn daher reden. In diesen zwei Minuten hast du sehr, sehr viele Eindrücke. Die dann auch authentisch, natürlich und verständlich rüberzubringen während du mit bis zu 145 km/h da runterfetzt, ist die große Herausforderung. Ich möchte spektakuläre Bilder ins Wohnzimmer liefern, das ist mein Anspruch.
ÖSTERREICH: Hand aufs Herz: Wie oft erwischt du dich dabei, wieder auf Zeit fahren zu wollen?
Puchner: Puh, schon oft (lacht). Aber ich muss sagen, den Job den ich jetzt habe, schätze ich über alles. Mehr würde gesundheitlich auch nicht mehr gehen. Ich habe bei meinem Fuß eine Invalidität von über 27 Prozent, mit Nervenschädigung - das wissen nur die Wenigsten. Das merke ich im Skischuh drinnen, dass es für das letzte Rennfahren einfach nicht mehr reicht. Das war auch der Grund, warum ich zurücktreten bin. Ich habe von 10 Rennen im Jahr vielleicht eines gehabt, wo es von der Fitness her hätte funktionieren können. Jetzt bewege ich mich nicht mehr am absoluten Limit, deswegen bin ich aktuell schmerzfrei. Ich mache meine Therapie, bin fünf bis sechs Mal in der Woche im Fitnesscenter - also ich bin bereit für die WM.
ÖSTERREICH: Bist du nach der Fahrt der erste ÖSV-Informant, der deinen Ex-Kollegen noch letzte Infos durchfunkt?
Puchner: Da halte ich mich eigentlich ziemlich raus. Ich bin von der Geschwindigkeit her mit meinem Übergewand schon deutlich langsamer als die Top-Läufer, das macht dann in gewissen Passagen einen großen Unterschied. Ich möchte da keine kompletten Fehleinschätzungen nach oben geben. Die Läufer schauen sich meine Fahrten aber am Monitor an, was sie daraus für sich ablesen, bleibt ihnen überlassen.
ÖSTERREICH: Wie sehr bist du bei der WM in der Doppelrolle als ORF-Kameramann und Bruder von der Mirjam im Einsatz?
Puchner: So viel Einfluss werde ich in Cortina nicht auf sie haben, auch ich muss mich an alle Corona-Vorgaben halten. Wir sind wie gesagt froh, dass die WM überhaupt stattfinden kann - da sollte es keine Extra-Würste geben, nur weil ich zufällig auch vor Ort bin. Wenn dann ist es für sie mehr eine mentale Unterstützung, dass der Bruder in der Nähe ist.
ÖSTERREICH: Wie zufrieden bist du als Bruder mit ihrer aktuellen Saison?
Puchner: Es ist ein bisschen ein zweischneidiges Schwert. Auf der einen Seite ist sie wie jeder Rennläufer dabei, um ganz vorne mitzufahren. Aber auf der anderen Seite hat die Mirjam in den letzten vier, fünf Jahren extrem schwere Verletzungen und viele Operationen gehabt. Auch heuer im Frühjahr wieder, mit Knochen durchsägen und Platte rein. Die Verletzung war ein Wahnsinn, da hat der Fuß in die andere Richtung geschaut und das Schien- und Wadenbein war komplett ab. Von dem Aspekt her bin ich sehr zufrieden, wie sie sich wieder nach oben tastet. Aber es fehlt in gewissen Passagen einfach noch diese letzte Überzeugung. Sie hat teilweise tolle Teilzeiten und Ansätze, aber sie braucht noch Zeit - solche Verletzungen fahren im Hinterkopf mit.
ÖSTERREICH: Wie schaut deine WM-Prognose aus, wie viele Medaillen holen wir?
Puchner: Die WM hat eigene Regeln, solche Prognosen sind immer schwierig. Aber wir haben bei den Herren beispielsweise in allen Disziplinen außer im Riesentorlauf sehr, sehr gute Chancen. Auch die Damen sind sicher für die ein oder andere Medaille gut. Peter Schröcksnadel sagt immer sechs bis acht Medaillen. Er ist ein Experte also halte ich mich da an ihn (lacht). Dass ist eine realistische Einschätzung, mehr geht für die Skination Nummer 1 natürlich immer.
ÖSTERREICH: Heuer werden so viele Bewerbe wie noch nie gefahren - wie stehst du dazu?
Puchner: Das Programm ist schon brutal dicht. Man sollte sich ganz genau anschauen, wie hoch die Wertigkeit einzelner Bewerbe ist. Beispielsweise die Kombi: Im Weltcup gibt es heuer kein Rennen, trotzdem wird sie bei der WM gefahren. Ich muss ehrlich sagen: Manchmal ist weniger doch mehr.
ÖSTERREICH: Wie bitter ist es, dass die WM ohne Zuschauer stattfinden muss?
Puchner: Mittlerweile haben wir uns leider daran gewöhnt. Was den Spirit, die Emotionen angeht, ist das sehr schade. Aber es ist ein absoluter Segen, dass wir überhaupt eine WM fahren können. Wir haben sehr strikte Maßnahmen, die Gott sei Dank funktionieren. Bei jedem ist die Dankbarkeit größer als die Trauer über die fehlenden Zuschauer. Ich hoffe, die Zeiten ändern sich bald wieder und es herrscht in naher Zukunft wieder eine Normalität - danach sehnen sich alle.
Interview: Philipp Scheichl