Vorerst keine Abstimmung über Brexit-Deal

May ebnet Weg für ein zweites Referendum

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Die Premierministerin erklärte, dass sie weiter nicht genug Unterstützung für das Abkommen im Parlament hat.

Die britische Premierministerin Theresa May will das Unterhaus vorerst nicht erneut über das Vertragspaket zum EU-Austritt ihres Landes abstimmen lassen. Das sagte May am Montag im Parlament in London. Zwei Mal war May mit dem Deal im Parlament bereits gescheitert. Eine weitere Niederlage zeichnete sich ab.

"Nach jetzigem Stand gibt es noch immer keine ausreichende Unterstützung im Unterhaus, um das Abkommen für eine dritte Abstimmung vorzulegen", sagte May. Zuvor war spekuliert worden, das Parlament könnte bereits an diesem Dienstag erneut über den Deal abstimmen. Sie arbeite aber daran, eine Abstimmung noch in dieser Woche zu ermöglichen, fuhr May fort. Man befinde sich im Brexit-Prozess nun am Scheideweg. Die von Abgeordneten geforderten Testabstimmungen im Parlament über alternative Ausstiegsszenarien sehe sie "skeptisch".
 

Engere Anbindung an EU oder zweites Referendum?

Es schien möglich, dass das Parlament die Kontrolle zumindest zeitweise an sich reißt und bereits am Mittwoch eine Abstimmung über Alternativen zum Brexit-Deal anberaumt. Als Optionen wurden eine engere Anbindung an die EU oder auch ein zweites Referendum gehandelt. Über einen entsprechenden Antrag einer überparteilichen Gruppe von Abgeordneten sollte noch am Montagabend abgestimmt werden.

May kündigte an, die Initiative vorerst nicht zu unterstützen. Sie stellte aber in Aussicht, Zeit im Parlamentskalender dafür einzuräumen, sollte ihr Deal später in dieser Woche scheitern. Die Regierung sei aber nicht gebunden, sollten sich die Abgeordneten auf eine Alternative zum Brexit-Abkommen festlegen, stellte May klar. Die automatische Folge einer Ablehnung ihres Deals sei immer noch ein Austreten ohne Abkommen. Zugleich beschwichtigte sie aber: "Ein No Deal wird nicht passieren, solange das Unterhaus dem nicht zustimmt."

London will sich noch diese Woche entscheiden

Ursprünglich sollte Großbritannien die EU am 29. März verlassen. Die EU bot London in der vergangenen Woche eine Verschiebung des Brexits bis zum 22. Mai an. Bedingung dafür ist allerdings, dass das Unterhaus in dieser Woche dem Austrittsvertrag zustimmt. Andernfalls gilt die Verlängerung nur bis zum 12. April. In dem Fall soll London vor diesem Termin sagen, wie es weitergehen soll.

Die Regierung in London will sich noch diese Woche vom Parlament den Segen für eine Rechtsverordnung geben lassen, mit der das bisherige Austrittsdatum 29. März auch im nationalen Recht verschoben werden soll. Sollte die Verordnung nicht gebilligt werden, entstehe zwar Verwirrung und schädigende Unsicherheit, an der Verschiebung des Brexit-Datums ändere sich aber nichts, sagte May.

Britische Medien beschwörten Mays Ende herauf

Britische Medien hatten am Wochenende berichtet, May könnte von ihrem Kabinett zu einem baldigen Rücktritt gezwungen werden. Am Montagmorgen traf sich die Premierministerin mit ihrem Kabinett zu einer Sondersitzung.

Unterstützung erhielt May vor der Sondersitzung von Handelsminister Liam Fox. Die Premierministerin genieße den Respekt der Bevölkerung, die es überrasche, wie May mit all dem Druck umgehe, sagte Fox am Morgen dem Radiosender BBC Radio 4. Er höre häufig von Wählern, dass die Regierungschefin eine großartige Staatsdienerin mit einer beeindruckenden Widerstandsfähigkeit sei. Er vermutete, dass die Aussicht auf eine womöglich nötige Beteiligung an der Europawahl Ende Mai im Fall eines längeren Brexit-Aufschubs viele Abgeordnete davon überzeugen könnte, das Brexit-Abkommen doch noch zu unterstützen.

Die britische Arbeitsministerin Amber Rudd stärkte May den Rücken. May solle nicht zurücktreten, sagte Rudd. Auf die Frage, ob das Parlament eine Lösung finden werde, ergänzte sie, es bestehe die Verpflichtung, Mays Brexit-Deal zu verabschieden.

Wenig Gutes lässt die Labour-Opposition an Mays Strategie. "Die Herangehensweise der Regierung an den Brexit ist jetzt zu einer nationalen Schande geworden", sagte Labour-Chef Jeremy Corbyn. May kämpft angesichts des völlig unklaren weiteren Vorgehens beim Brexit zunehmend um ihr politisches Überleben. Sie habe auch in ihrem eigenen Lager der Konservativen keinen Rückhalt mehr, sagte der konservative Abgeordnete Andrew Bridgen dem Sender "Sky News". "Sie hat eindeutig nicht mehr das Vertrauen des Kabinetts und sicher nicht mehr das Vertrauen unserer (Partei-)Mitglieder im Land."

Übernimmt Parlament die Kontrolle über Brexit?

Am Sonntag hatte die Regierungschefin auf dem Landsitz in Chequers aufgebrachte Brexit-Verfechter aus der eigenen Partei beruhigen müssen. Dazu gehörten vor allem Ex-Außenminister Boris Johnson, der einflussreiche Abgeordnete Jacob Rees-Mogg und die Minister David Lidington and Michael Gove. Ein Medienbericht, wonach sie May stürzen wollten, wurde dementiert. In London berieten die Minister am Montag über eine Reaktion auf den Versuch des Parlaments, die Kontrolle über den Brexit zu übernehmen.

Am Abend wird Parlamentspräsident John Bercow bekanntgeben, ob er Abstimmungen über Ergänzungsanträge zulässt. Von denen liegen insgesamt sieben vor. Einer der wichtigsten kommt vom Abgeordneten Oliver Letwin und soll für Mittwoch Testabstimmungen über eine Reihe von alternativen Brexit-Vorgehensweisen ermöglichen. Damit soll ausgelotet werden, welcher Plan eine Mehrheit finden kann. Die Voten wären unverbindlich, hätten aber trotzdem politisches Gewicht und wären für May nur schwer zu ignorieren. Bei einem Erfolg würde im Endeffekt das Parlament von der Premierministerin die Kontrolle über den festgefahrenen Ausstiegsprozess übernehmen.

Über eine Million demonstrierten gegen Brexit

In der Bevölkerung wächst gleichzeitig der Unmut über die Brexit-Politik der Regierung. Hunderttausende Briten demonstrierten am Wochenende in London gegen einen Austritt aus der EU und forderten ein zweites Brexit-Referendum.

Die EU treibt unterdessen die Vorbereitungen auf einen "chaotischen Brexit" weiter voran. Die EU-Kommission veröffentlichte am Montag dazu neues Informationsmaterial für Bürger. Darin ist beispielsweise beschrieben, was im Fall der Fälle bei Reisen ins Vereinigte Königreich beachtet werden muss. Es werde immer wahrscheinlicher, dass es zu einem Brexit ohne Austrittsabkommen komme, sagte eine hohe EU-Beamtin am Montag zu den Vorbereitungen.

Nach Aussagen eines EU-Vertreters sind die übrigen 27 Länder der Staatengemeinschaft auf einen abrupten Brexit vorbereitet. Große Konzerne seien ebenfalls gewappnet, doch fehle kleinen Firmen häufig die Erfahrung mit Zollkontrollen. Der deutsche Zoll ist der deutsche Finanzminister Olaf Scholz zufolge gut auf den Brexit vorbereitet - wann auch immer er kommt. "Wir wissen, dass er jetzt nicht am Ende dieser Woche stattfindet, sondern dass es sich noch etwas hinzieht", sagte Scholz in Berlin. Wegen des Brexit hat die deutsche Bundesregierung 900 zusätzliche Stellen beim Zoll geschaffen.

Für Großbritannien-Reisen wird in dem Informationsmaterial darauf hingewiesen, dass die Europäische Krankenversicherungskarte nicht mehr gelten würde und dass wieder Zusatzkosten für die Handynutzung anfallen könnten. Zudem müssten EU-Bürger bei der Rückreise mit Zollkontrollen rechnen. Ein Visum soll jedoch nach derzeitigem Stand nur für Aufenthalte nötig werden, die länger als drei Monate dauern.

Sollte Großbritannien tatsächlich ohne Austrittsvertrag aus der EU ausscheiden, wird mit dramatischen Folgen für die Wirtschaft und viele andere Lebensbereiche gerechnet. Millionen EU-Bürger in Großbritannien und Briten in der EU würden in große Unsicherheit gestürzt.
 

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