Nach Anschlag

Proteste in Ägypten weiten sich aus

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Es gab gewaltsame Zusammenstöße von Demonstranten und der Polizei.

Nach dem tödlichen Bombenanschlag auf eine koptische Kirche in Alexandria in der Silvesternacht haben die Ausschreitungen endgültig auf die ägyptische Hauptstadt Kairo übergegriffen. Im nördlichen Stadtteil Shubra gab es am Montag gewaltsame Zusammenstöße zwischen Hunderten Demonstranten und Sicherheitskräften. Nach Angaben eines Fotografen der Nachrichtenagentur AP wurden mindestens fünf Menschen verletzt, darunter zwei, die schwere Kopfverletzungen erlitten. Kopten-Papst Shenouda III. rief die Gläubigen zur Ruhe auf und appellierte zugleich an die ägyptische Regierung, auf die Klagen von Christen wegen Diskriminierung zu reagieren. Nach dem international verurteilten blutigen Anschlag in Alexandria wächst auch in Deutschland, Österreich und Frankreich die Sorge vor islamistischen Attacken auf Kopten.

Probleme sehen und lösen
Der Staat "muss die Probleme der Kopten sehen und versuchen, sie zu lösen", sagte Shenouda in einem Interview des staatlichen Fernsehens. "Probleme werden mit Ruhe und Kommunikation gelöst und nicht mit Ärger und Emotionen", betonte das Kirchenoberhaupt. Die koptischen Christen fühlten sich den Gesetzen verpflichtet, aber ungerechte Gesetze müssten geändert werden. Der ägyptische Außenminister Ahmed Abul Gheit sprach von einem "Anschlag auf das gesamte ägyptische Volk".

Im Kairoer Stadtteil Shubra wurden mehrere Hundert Demonstranten vor einer Kirche von Sicherheitskräften eingekreist, um eine Ausweitung der Proteste zu verhindern. Ein Priester überzeugte die Beamten schließlich davon, die Menschen gehen zu lassen. Auf einer nahe gelegenen Autobahn warfen Demonstranten Steine auf Autos und versuchten die Straße mit brennenden Reifen zu blockieren. Am Sonntagabend hatten Demonstranten vor der Kathedrale in Kairo Flaschen und Steine auf Polizisten geworfen, 45 Beamte wurden verletzt. In Alexandria riegelte die Polizei am Montag das Gebiet um die in der Silvesternacht angegriffene Kirche ab, um weitere Proteste zu verhindern.

21 Tote
Bei dem Bombenanschlag in Alexandria waren in der Silvesternacht 21 Menschen getötet worden, 97 wurden verletzt. 20 Opfer seien bereits identifiziert, teilten Sicherheitskräfte am Montag mit. Die Ermittlungen zur Identität des Attentäters konzentrierten sich nun auf die verbliebenen sterblichen Überreste. Die Ermittler gehen von einem Selbstmordanschlag aus. Bisher hat sich niemand dazu bekannt, die Tat wird aber Islamisten zugeschrieben. Nach Augenzeugenberichten handelte es sich laut neuen Ermittlungsergebnissen bei dem Attentäter um einen etwa 40 Jahre alten Mann ohne Bart. Er habe gegenüber der Kirche zusammen mit zwei anderen Männern in einem Auto gesessen. Aus dem Innenministerium hieß es, der Täter habe zunächst versucht, in die Kirche zu gelangen. Nachdem er die vor dem Gotteshaus postierten Polizisten sah, habe er seine Bombe jedoch davor gezündet.

Unklar ist, ob es eine Verbindung zu dem Blutbad in einer Kirche in der irakischen Hauptstadt Bagdad vom 31. Oktober 2010 gibt. Die damaligen Attentäter, die dem irakischen Ableger des Terrornetzwerks Al-Kaida zugerechnet werden, hatten erklärt, sie wollten "muslimische Schwestern" rächen, die von der koptischen Kirche in Ägypten "gefangen gehalten" würden.

Rund zehn Prozent der 80 Millionen Ägypten sind koptische Christen. Sie werden immer wieder Opfer von Anschlägen. Regelmäßig kommt es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen mit Muslimen.

Gewalttätige Proteste
Bei den gewalttätigen Protesten am Wochenende entlud sich nach Auffassung von Beobachtern auch eine lang angestaute Frustration der Kopten. Sie fühlten sich von der muslimischen Bevölkerungsmehrheit benachteiligt. "Ihr wollt, dass ich Ägypten verlasse. Ich werde Ägypten nicht verlassen. Ägypten ist koptisch und wird koptisch bleiben", rief eine Frau am Samstag vor einer Kirche. "Ich habe mein ganzes Leben Diskriminierung erlebt. Ich werde es nicht länger hinnehmen. Genug!" Auch Parolen gegen Langzeit-Staatschef Hosni Mubarak wurden gerufen.

 Die französische Anti-Terror-Polizei hat unterdessen Vorermittlungen wegen Terrordrohungen im Internet gegen koptische Kirchen in Frankreich aufgenommen. Ein Priester in Chatenay-Malabry bei Paris machte die Polizei auf die Online-Botschaften aufmerksam. Die Drohungen hätten sich gegen mehrere koptische Kirchen in Europa gerichtet, darunter eine in Chatenay-Malabry, erklärte die Polizei. Die Sicherheitsvorkehrungen für koptische Kirchen in Paris und dem Umland seien verstärkt worden. In Frankreich leben mehrere Zehntausend koptische Christen. In Frankreich leben etwa 45.000 Kopten.

Todesliste
Auf einer schon vor dem Anschlag veröffentlichten "Todesliste" auf einer Internetseite der mit der Al-Kaida in Verbindung gebrachten Terrororganisation "Islamischer Staat Irak" mit insgesamt 150 Namen von Kopten aus verschiedenen Ländern befanden sich auch 15 Namen von in Österreich lebenden Kopten . Diese stehen seit einigen Tagen unter besonderem Schutz; auch in Österreich wird ermittelt. In Österreich leben nach Schätzungen mehr als 5.000 Kopten.

Auch in Deutschland (circa 6.000 koptische Christen) hatte das Bundeskriminalamt die zuständigen Behörden über eine "allgemeine Anschlagsdrohung" gegen Kopten informiert. Ihr Bischof Anba Damian berichtete von mehreren Warnungen. Im Bayerischen Rundfunk berichtete Damian von einem Plan, der im Internet im Umlauf sei. Demzufolge könnten Kopten in der Nacht zum 7. Jänner, wenn sie den Höhepunkt ihrer Weihnachtsfeiern begehen, Zielscheibe für neue terroristische Aktivitäten werden. Deutschland hat Kairo aufgefordert, die Kopten in Ägypten zu schützen.

Verbrechen, das nichts mit dem Islam zu tun hat

Der ranghöchste islamische Religionsgelehrte von Saudi-Arabien bezeichnete die Tat von Alexandria als Verbrechen, das nichts mit dem Islam zu tun habe. Die saudische Zeitung "Okaz" zitierte Scheich Abdulaziz bin Abdullah al-Sheikh mit den Worten: "Der Islam ist nicht die Religion der Explosionen, und er erlaubt es auch nicht, die Gebetsräume von Nicht-Muslimen anzugreifen." Der Mufti von Syrien, Scheich Ahmed Badr al-Din Hassun, sagte der Nachrichtenagentur dpa: "Wer diesen Anschlag verübt hat, der kennt keine Religion und keinen Gott." Der frühere libanesische Präsident Amin Gemayel, ein Christ, sprach von einem "Völkermord" extremistischer Gruppen gegen Christen im Nahen Osten. Es gebe grundlose und nicht zu rechtfertigende Massaker gegen sie, sagte Gemayel mit Blick auf die jüngste Gewalt in Ägypten und im Irak. "Was den Christen geschieht, ist ein Völkermord."

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