Inmitten schwerer Spannungen im Ukraine-Konflikt haben Russland und Belarus am Donnerstag gemeinsame Militärmanöver begonnen.
Bei der Übung solle etwa "die Abwehr äußerer Aggression" trainiert werden, teilte das Verteidigungsministerium in Moskau mit. Im Westen wird befürchtet, dass Russland im Zuge des Manövers einen Einmarsch in die Ukraine vorbereitet. In Berlin riefen Deutschland Bundeskanzler Olaf Scholz und baltische Staats- und Regierungschefs zu Geschlossenheit auf.
Der britische Premierminister Boris Johnson warnte Donnerstag bei einem NATO-Besuch vor einem "Krieg" in der Ukraine. "Ein Krieg wäre katastrophal und auch sinnlos, tragisch und würde sehr schnell wirtschaftlich teuer für Russland", sagte Johnson bei einem Termin mit NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg in Brüssel. Das müsse auch der Kreml einsehen. Stoltenberg sprach von einem "gefährlichen Moment für die europäische Sicherheit".
Johnson warnt vor Krieg
Johnson sprach von der "größten Sicherheitskrise für Europa seit Jahrzehnten". Noch sei aber Gelegenheit, die Spannungen abzubauen und zum Dialog zurückzukehren. Stoltenberg rief Russland erneut auf, das Gesprächsforum des NATO-Russland-Rats zu nutzen. Das habe er am Donnerstag auch in einem Brief an den russischen Außenminister Sergej Lawrow deutlich gemacht, sagte er. Ab dem kommenden Mittwoch wollen die NATO-Verteidigungsminister in Brüssel nach seinen Angaben über eine Verstärkung der sogenannten Battle Groups in südöstlichen Mitgliedsländern beraten.
Im Anschluss wollte Johnson nach Warschau weiterreisen. Dort war ein Treffen mit Regierungschef Mateusz Morawiecki geplant. Die britische Regierung hatte zuvor angekündigt, weitere 350 Soldaten in die polnische Grenzregion mit Belarus zu entsenden. Bisher sind dort rund hundert britische Militärangehörige im Einsatz. Mit diesen wollte Johnson dem Vernehmen nach ebenfalls zusammentreffen.
Die britische Außenministerin Liz Truss warf Moskau eine "Kalter-Krieg-Rhetorik" vor und rief zu ernsthaften Verhandlungen auf. "Frieden und Stabilität" in Europa seien gefährdet, warnte Truss in Moskau bei einer Pressekonferenz mit ihrem Kollegen Sergej Lawrow. "Noch ist Zeit für Russland, seine Aggression gegen die Ukraine zu beenden und den Pfad der Diplomatie einzuschlagen." Lawrow zeigte sich sichtlich verärgert von dem Auftreten seiner Kollegin. So kritisierte er etwa die britische Forderung, Russland solle Truppen von seinem eigenen Gebiet an der Grenze zur Ukraine abziehen.
"Nukleare Übung"
Russland plant nach Angaben des britischen Verteidigungsministers Ben Wallace in Kürze eine "nukleare strategische Übung". Details nannte er am Freitag nicht, ergänzte aber im Radiosender BBC unter Berufung auf Geheimdiensterkenntnisse, dass Russland neben Cyberangriffen und anderen destabilisierenden Aktivitäten auch Täuschungsmanöver plane, um einen Vorwand für eine Invasion der Ukraine zu schaffen.
Sechs russische Kriegsschiffe sind Medienberichten zufolge unterdessen in der Nähe der Halbinsel Krim eingetroffen. Vorgesehen seien Militärübungen im Schwarzen Meer, meldete am Freitag die russische Nachrichtenagentur Interfax.
Ungeachtet der Kritik des Westens hat in Belarus ein groß angelegtes Militärmanöver mit Russland inmitten schwerer Spannungen im Ukraine-Konflikt begonnen. Das teilten die Verteidigungsministerien beider Länder am Donnerstag mit. Als Reaktion auf die russischen Militärübungen in Belarus will das ukrainische Militär diesen Donnerstag mit einem eigenen zehntägigen Manöver beginnen.
Die russische Übung im Süden der Ex-Sowjetrepublik unweit zur Ukraine und im Westen an der EU-Außengrenze soll zehn Tage dauern. Auf fünf Truppenübungsplätzen solle etwa "die Unterdrückung und Abwehr äußerer Aggression" trainiert werden, teilte das Ministerium in Moskau mit.
Angesichts Militärmanövers telefonierte US-Generalstabschef Mark Milley mit seinem belarussischen Kollegen Viktor Gulewitsch. Die beiden Generäle hätten über regionale Sicherheitsthemen gesprochen, erklärte am Donnerstag das US-Verteidigungsministerium. Das Telefonat habe die Kommunikation zwischen den beiden Generalstabschefs erleichtert, um die Gefahr von "Fehleinschätzungen" zu verringern.
Die belarussische Regierung bestätigte das Telefonat. Die Initiative dazu sei von Milley ausgegangen, hieß es in Minsk. Es sei um Sicherheitsfragen gegangen. Nähere Angaben zu dem Gespräch machte die belarussische Regierung nicht.
Belarus und Russland hatten am Donnerstag begleitet von scharfer Kritik der Ukraine und des Westens ihr gemeinsames Militärmanöver begonnen. Die Übungen finden schwerpunktmäßig in der nahe der ukrainischen Grenze gelegenen Region Brest statt.
"Eskalierende Aktion"
Seitens der Ukraine soll unter anderem der Umgang mit Drohnen geprobt werden sowie mit Raketen und Panzerabwehrwaffen, die von ausländischen Partnern geliefert wurden, wie Verteidigungsminister Oleksij Resnikow vor wenigen Tagen mitteilte. Wie viele Soldaten beteiligt sind, ist nicht bekannt. Die aktive Phase von russischen Militärübungen ist bis zum 20. Februar angesetzt.
Die US-Regierung kritisierte diese Übungen nördlich der Ukraine am Mittwoch als "eskalierende Aktion". Die Regierung in Kiew und der Westen sehen einen Zusammenhang mit dem massiven russischen Truppenaufmarsch in der Nähe der Ostgrenze der Ukraine. Sie befürchten, dass Russland eine Invasion der Ukraine vorbereiten könnte. Moskau dementiert solche Absichten und fordert im Gegenzug Sicherheitsgarantien. Dabei geht es unter anderem um die Zusage, dass die Ukraine nicht dem westlichen Militärbündnis beitreten darf. Dies lehnt die NATO ab. Der Konflikt hat sich in den vergangenen Wochen erheblich zugespitzt, weshalb derzeit diplomatische Bemühungen um eine Entschärfung auf Hochtouren laufen.
Frankreichs Außenminister Jean-Yves Le Drian bezeichnete die "extrem massiven" Manöver inmitten der Ukraine-Krise bei dem Sender France Inter als "Geste großer Gewalt", die die französische Regierung beunruhige. "Jedes Land hat natürlich das Recht, Militärmanöver zu organisieren, aber hier gibt es eine sehr bedeutende Anhäufung von Übungen an der Grenze zur Ukraine", sagte der Minister.
Diplomatische Bemühungen
In Berlin sollten am Nachmittag die Vermittlungsbemühungen fortgesetzt werden. Die politischen Berater Russlands und der Ukraine wollten sich zum zweiten Mal innerhalb kurzer Zeit unter Vermittlung Deutschlands und Frankreichs wieder an einen Tisch setzen.
Die baltischen Staaten Estland, Lettland und Litauen riefen zu Geschlossenheit auf. Bei einem Treffen mit Deutschlands Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) am Donnerstag in Berlin forderten die Spitzen der drei EU- und NATO-Länder zudem eine Stärkung der NATO-Ostflanke und eine stärkere Rolle Deutschlands bei der Lösung des Konflikts. Scholz warnte Russland davor, die Einigkeit von EU und NATO zu unterschätzen.
"Es ist von entscheidender Bedeutung, dass wir die östliche Flanke der NATO stärken", sagte der litauische Staatspräsident Gitanas Nauseda. "Unser Bündnis muss in der Lage sein, rasch zu reagieren und entschlossen zu reagieren in der Region". Estlands Ministerpräsidentin Kaja Kallas rief EU und NATO zu "Geschlossenheit, Entschlossenheit und strategischer Geduld" auf. Jedes Zeichen der Uneinigkeit und mangelnder Entschlossenheit könnte ein falsches Signal an Russland senden, sagte sie.
Lettlands Regierungschef Krisjanis Karins betonte, die EU und NATO müssten "aus einer Position der Stärke heraus argumentieren". Die Rolle Deutschlands sei dabei von "grundsätzlicher Bedeutung". Es sei "sehr notwendig", dass Deutschland eine führende Rolle übernehme, um die Mitgliedstaaten der EU und NATO durch diese schwierigen Zeiten hindurchzuführen, sagte Karins.
Alle drei baltischen Staaten grenzen an Russland, Lettland und Litauen auch an Russlands Verbündeten Belarus. Scholz versicherte den baltischen NATO-Partnern den Beistand Deutschlands. Das Baltikum sei unmittelbar betroffen von besorgniserregenden Militäraktivitäten, die Russland entfalte, sagte Scholz. Die gemeinsame Haltung sei eindeutig: "Wir sind geschlossen und entschlossen", sagte Scholz.
Von Russland würden Schritte zur Entschärfung der Lage erwartet. "Deeskalation ist das Gebot der Stunde", sagte Scholz. Russland solle dabei Einigkeit und Entschlossenheit der NATO-Verbündeten nicht unterschätzen. "Wir nehmen die Sorgen unserer Verbündeten sehr ernst", sagte Scholz. "Wir stehen an Eurer Seite. Das ist mir ganz wichtig."
Nauseda hatte sich zuvo enttäuscht über die ablehnende Haltung Berlins zu Waffenlieferungen im Ukraine-Konflikt geäußert. "Um ehrlich zu sein haben wir mehr erwartet", sagte der litauische Präsident dem TV-Sender "Welt" am Donnerstag. "Aber wir verstehen natürlich die Gründe." Ein großer Teil der Bevölkerung in Deutschland sei gegen Waffenlieferungen.