Trotz der beispiellosen Krise der weltweiten Autoindustrie ist es einfach, führende Branchenvertreter zum Lächeln zu bringen: mit einer Frage nach den Absatzchancen in China. Automanager schwärmen dann vom gigantischen Reservoir an potenziellen Käufern und der Massenmobilisierung des Milliardenvolks. Bei aller Euphorie gerät dabei aber oft aus dem Blick, dass der unaufhaltsame Aufstieg Chinas zum weltgrößten Automarkt für die Hersteller gewaltige Herausforderungen und auch Gefahren mit sich bringt.
Die Hackordnung der gesamten Branche dürfte auf den Kopf gestellt werden. "Es ist wichtig, zwischen der Größe des Marktes und der Wichtigkeit des Marktes zu unterscheiden", warnt Analyst Christoph Stürmer von IHS Global Insight. Angesichts von 1,3 Mrd. Chinesen, von denen Studien zufolge 97 Prozent kein Auto haben, ist in den nächsten Jahren zweifellos ein enormes Wachstum zu erwarten. Wie stark internationale Hersteller davon profitieren könnten, steht aber auf einem anderen Blatt.
Regulierung als Problem
Ein zentrales Problem ist die Regulierung des chinesischen Marktes. Das Reich der Mitte will zunächst die Mobilität der Gesellschaft sicherstellen, dann zusammen mit ausländischen Herstellern eine Industriebasis aufbauen und im dritten Schritt ein leistungsfähiger Autoexporteur werden. "Für deutsche Hersteller ist das Engagement in China deshalb ein Tanz auf der Rasierklinge", sagt Stürmer. "Die Tür fällt langfristig zu."
Da viele ausländische Hersteller ihre Gewinne nicht einfach aus China abziehen dürfen, verdienen sie vor allem dadurch Geld, Karosserien und Komponenten aus heimischen Werken an ihre Joint-Ventures zu verkaufen. Langfristig könnte die Produktion vieler Fahrzeuge ganz in die Volksrepublik verlagert werden, glaubt Stürmer. "Das ist ein Szenario, dass die Konzerne den Arbeitnehmern bei ihrer Expansionsstrategie gerne verschweigen."
Andere Experten sehen die Branche eher wegen der zunehmenden Konkurrenz durch chinesische Hersteller unter Druck. Da die Chinesen bei Benzin- und Diesel-Motoren weit hinterherhinken, investieren sie derzeit stark in elektronische Antriebe. "So könnten sie Europäer und Nordamerikaner links überholen", sagt Willi Diez, Leiter des Institut für Automobilwirtschaft in Nürtingen. "Dabei hilft, dass Chinesen traditionell eher am langfristigen Erfolg orientiert sind."
Konzerne müssen wirklich global werden
Die Aufstieg Chinas hat somit das Potenzial, die Hierarchie der weltweiten Autobranche auf den Kopf zu stellen. Auch die jüngst arg gebeutelten US-Hersteller GM und Chrysler, deren Ruf in China nicht derart beschädigt ist wie in Amerika und Europa, setzen darauf große Hoffnungen. "Die steigende Bedeutung Chinas verstärkt den Druck auf Konzerne, wirklich global zu werden", sagt IHS-Analyst Aaron Bragman. Jeremy Anwyl hält besonders die Nutzung bestehender Plattformen zur Steigerung der Effizienz für entscheidend. "Volkswagen ist dafür ein Paradebeispiel", erklärt der Chef von "Edmonds.com".
Derzeit ist Oberklasse-Segment in China fest in deutscher Hand - Audi, BMW und Daimler bauten ihren Absatz zuletzt deutlich aus. Im Volumengeschäft verkaufte Volkswagen im ersten Halbjahr in China erstmals mehr Autos als in Deutschland, insgesamt geben hier aber japanische, koreanische und immer stärker auch chinesische Hersteller den Ton an. Besonders gefragt sind sogenannte "Vollfunktionsautos" - billig, mit großem Kofferraum und robust genug, um auf den oft noch holprigen Straßen des Riesenreichs zu bestehen.
In der Volksrepublik werden in diesem Jahr voraussichtlich über 11 Mio. Fahrzeuge verkauft, in den USA wohl nur 10 Mio. Allerdings sind in der Statistik des Verbandes der chinesischen Autohersteller auch Lkws enthalten. Die endgültig Wachablösung von Amerika als weltgrößtem Automarkt ist aber nur eine Frage der Zeit. "Das wird zwischen 2012 und 2015 passieren", sagt Automobil-Forscher Diez. "Die Weltmarktführerschaft entscheidet sich in China."