Günther Weiss

Coronavirus

Infektiologe: ''Lockdowns bringen nicht mehr viel''

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Infektiologe Günter Weiss, der dem Beraterstab des Gesundheitsministeriums angehört, richtet sich jetzt gegen die Lockdown-Strategie der Regierung und sagt: "Man muss den Leuten ihr Leben leben lassen".

Der Innsbrucker Infektiologe und Direktor der Uni-Klinik für Innere Medizin, Günter Weiss, hält die Lockdown-Maßnahmen, wie sie etwa in Wien und Niederösterreich noch vorerst bis 2. Mai gelten, für nicht mehr zielführend. "Die Effizienz dieser Lockdowns hat sich abgenutzt. Die Maßnahme ist stumpf geworden, Lockdowns bringen nicht mehr viel hinsichtlich der Kontrolle des Infektionsgeschehens", sagte Weiss im APA-Interview. Der Experte plädierte für Öffnungsschritte im Mai.

Warum die Lockdowns kaum noch wirken

Der Lockdown habe zu Beginn der Pandemie im vergangenen Jahr noch gut funktioniert, weil damals in der Bevölkerung eine "Schockstarre" vorgeherrscht habe. Auch beim zweiten Lockdown im November habe er noch eine Wirkung gezeitigt. Beim dritten Lockdown nach Weihnachten sei die Wirkung dann schon bescheiden gewesen: "Da hat sich beim Infektionsgeschehen schon nicht mehr viel bewegt, sondern ist fast gleich geblieben".

Es habe sich ganz einfach das Verhalten der Menschen geändert, sowie der Wille, diese Lockdowns einzuhalten, erklärte der renommierte Mediziner, der auch dem Beraterstab im Gesundheitsministerium angehört: "Das zeigen auch die Bewegungsdaten, die beim ersten Lockdown noch ein total reduziertes Bewegungsverhalten offenbarten. Beim zweiten war es schon nur mehr gering und beim dritten hat man fast überhaupt nicht gesehen, dass sich die Leute anders verhalten". Daher werde auch die weitere Verlängerung des Lockdowns in Wien und Niederösterreich "leider nicht mehr viel bringen". Dies würden auch die Inzidenzzahlen zeigen, aus denen keine großen Unterschiede zwischen Bundesländern mit und ohne Lockdown ersichtlich seien. Dasselbe gelte für die effektive Reproduktionszahl.

Kontrollierte Lockerungen

Weiss plädierte ganz klar für Lockerungen bzw. schrittweise, kontrollierte Öffnungen - vor allem in Bundesländern, "wo man es sich von der Krankenhauskapazitäten her leisten kann", wie etwa im Westen Österreichs. Aber vielleicht könne man auch in Wien oder Niederösterreich vereinzelte Öffnungen versuchen - um aus dieser "Abwärtsspirale", die Lockdowns und Pandemie bei den Menschen hervorrufen, herauszukommen. Die Grundstoßrichtung müsse geändert, der "schmale Grat" beschritten werden, auf dem man den Menschen Perspektiven und Freiheiten ermögliche - bei gleichzeitiger Mahnung, dass sämtliche Vorsichtsmaßnahmen beachten werden sollten, weil sich die Situation sonst schnell wieder ändern könne.

"Den Leuten ihr Leben lassen"

"Wir müssen es schaffen, dass man die Menschen überzeugt, dass sie durch ihr Verhalten Teil der Lösung sind und nicht Teil des Problems". Dies gelinge besser durch einen Weg abseits von Lockdowns. "Man muss den Leuten ihr Leben leben lassen, aber ihnen gleichzeitig auch sagen: 'Seid vorsichtig'. Das ist der Mittelweg, den man gehen muss. Den Leuten unter kontrollierten Bedingungen einen Teil ihres Lebens zurückgeben. Eine positive Message an die Bevölkerung, die lautet: Wir probieren das jetzt mal".

Mit "kontrollierten Öffnungen mit eingebauten Sicherheitsnetzen" im öffentlichen Raum könne wahrscheinlich einen positiverer Beitrag zur Eindämmung des Infektionsgeschehens geleistet werden, als wenn man "dauernd auf Verbote setzt", die letztendlich wenig bringen. Denn derzeit passiere es doch andauernd, dass es private Treffen gebe, sich Cluster bilden, betonte der Infektiologe. Auch Öffnungen in den Innenräumen von Lokalen könne er sich durchaus vorstellen - schrittweise und mit Vorsicht - so wie im Mai vergangenen Jahres.

Unterschiede in der Spitalsauslastungen

Überraschend sei für ihn die Diskrepanz hinsichtlich der Auslastung der Spitäler und Intensivstationen im Osten und Westen Österreichs - obwohl die Neuinzidenzen nicht großartig abweichen. "In Tirol liegen wir bei der Krankenhausauslastung ungefähr bei einem Drittel von dem, was Ende November der Fall war", erklärte Weiss. Man beobachte, dass sich unter den Neuaufnahmen im Krankenhaus "ganz viel weniger ältere Patienten" befinden. Eine Erklärung könne darin liegen, dass in den westlichen Bundesländern bei späterem Ankommen der britischen Mutation bereits mehr ältere Personen geimpft waren bzw. einen Impfschutz aufgebaut haben.

Weiss zeigte sich optimistisch, dass - trotz Verzugs - zumindest über den Sommer alle Risikogruppen geschützt bzw. alle die sich impfen lassen wollen, geimpft sind. Dann könne man der Pandemie Herr werden. Die Pandemie werde hoffentlich gehen, das Virus hingegen bleiben. Es werde wohl "jährliche Adaptionen des Impfstoffes geben - wie bei der Grippe". Wesentlich werde sein, ein gute Impfstrategie für den Herbst auf die Füße zu stellen - mit einer vielleicht einmaligen "Follow Up-Impfung" bzw. adaptierten Impfstoffen über den Winter. Er halte es für "durchaus realistisch" dass Masken - bei entsprechender Planung - im Herbst nur mehr in gewissen vulnerablen Bereichen vorgeschrieben werden müssen, aber nicht mehr etwa für Schüler oder beim Lokalbesuch.

Impf-Eile

In Sachen Einsatz des Sputnik-Impfstoffes plädierte der Experte, auf eine Zulassung durch die Europäische Arzneimittelbehörde (EMA) "hinzuwirken". Das Gremium verfüge über die entsprechende Erfahrung, Probleme könnten sich besser verfolgen lassen: "Ich glaube, es braucht hieb- und stichfeste Safety-Daten".

Generell drängte Weiss aber zur Impf-Eile: "Jede Woche, die wir verschenken, ist ein Problem für unsere Bevölkerung, für die psychische und physische Gesundheit". Das wesentlich schnellere Impftempo anderswo zeige, dass zu viel Bürokratie in Europa offensichtlich ein "Hemmschuh" ist. "Offenbar geht es einfacher, wenn man allein ist. Eine Institution wie die EU sollte es eigentlich schaffen, ähnlich flexibel zu agieren wie Israel, Großbritannien oder die USA. Denn das ist der Schlüssel zur Normalität".
 

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