Das zweite Kapitel der Hexensaga bringt die Seifenblase zum Platzen - Ab 19. November im Kino
"Wicked"-Connaisseure behaupten gerne, der zweite Akt der Broadwayshow sei nicht so stark wie der erste, da ihm ein absoluter Kracher wie "Defying Gravity" fehle. Da ist etwas Wahres dran. Es ist auch das Ende einer Illusion von Amerika. Trotzdem weiß Jon M. Chus zweiter Teil der "Wicked"-Saga bildgewaltig zu verzaubern: Mit dabei sind diesmal auch Dorothy & Co aus dem Klassiker "Der Zauberer von Oz". Ab Mittwoch im Kino.
"Wicked: Teil 2"
Eines der bekanntesten Lieder von Elton John aus den 70ern handelt von einer gelben Backsteinstraße, von der sich der Sänger "verabschiedete". Mit "Goodbye Yellow Brick Road" zitierte John den legendären Weg nach Oz, auf dem Judy Garland einst im 1939er Filmklassiker spazierte. Es ist eines der ikonischsten amerikanischen Bilder, das für das Erreichen der eigenen Träume steht - oder im Song von Elton John für das Loslassen eben dieser.
Märchen platzt in Trumps Realität
"Wicked: Teil 2"
Mit genau diesem Bild eröffnet Jon M. Chu nun das zweite Kapitel seiner Musicalverfilmung, ein bonbonfarbenes Märchen über die ultimative Frauenfreundschaft, das gleichzeitig von einer brutalen Migrationspolitik handelt, die der Abschiebepolitik in Donald Trumps Amerika nicht unähnlich ist.
Das erste, äußerst erfolgreiche Kapitel endete damit, dass die grüne Hexe Elphaba triumphierend auf ihrem Feger davonsauste - ein zweischneidiger Besen, wie sich herausstellte, denn die Außenseiterin lebt jetzt im Waldexil, weil sie sich für die Freiheit der sprechenden Tiere in Oz eingesetzt und den Zauberer (verschmitzt wie immer: Jeff Goldblum) als Lügner entlarvt hat.
"Wicked: Teil 2"
Weniger Straßenfeger
Es gibt auch in der Fortsetzung wieder viel zu bestaunen: die einnehmenden Stimmen der beiden Heldinnen, das Produktions- und Kostümdesign. Es gibt einige tolle Songs, insbesondere die emotionale Abschiedsballade "For Good", aber keines der Lieder im zweiten Akt hat je den Kultstatus von "Defying Gravity" und "Popular" erreicht.
"Wicked: Teil 2"
Der Scharlatan von Oz und seine rechte Hand Madame Akaber (Michelle Yeoh) haben jedenfalls die Propagandamaschine angeworfen und Elphaba zur "Bösen Hexe des Westens" stilisiert. Ihre beste Freundin Glinda (stiehlt wieder die Show: Ariana Grande) inszeniert sich unterdessen als Symbol des Guten und schwelgt in ihrem neuen Fortbewegungsmittel: eine rosa Seifenblase.
Kollision mit "Der Zauberer von Oz"
Als eine Aussöhnung zwischen den beiden scheitert - nicht zuletzt weil Jonathan Bailey als fescher, gutherziger Prinz reingrätscht - verkompliziert sich die Lage. Da taucht plötzlich ein Mädchen aus Kansas auf, das sich mit einer Vogelscheuche, einem Blechmann und einem Löwen auf den Weg begibt, um den Besen der vermeintlich bösen Hexe zu stehlen. Die Moral der Geschichte von "Der Zauberer von Oz" war schlicht: Zu Hause ist es am Schönsten.
"Wicked: Teil 2"
Die Welt ist weitaus finsterer als die im Vorgängerfilm. Menschen werden gefoltert und in Blech oder Stroh verwandelt, Tiere werden gequält, Herzen werden gebrochen, Männer ausgespannt und Frauen von fliegenden Häusern erschlagen. Insofern ist "Wicked: Teil 2" die große Desillusionierung. Das Ende der Illusion eines freien, demokratischen Amerika - und der Abschied von alten Träumen, die auf der gelben Backsteinstraße liegen geblieben sind. Was, wenn es zu Hause doch nicht am schönsten ist?