Am 1. Oktober hat die finnische Kulturmanagerin die Leitung der Bregenzer Festspiele übernommen. Jetzt freut sie sich auf ihre erste Saison und gibt im Interview einen Ausblick auf die kommenden Jahre.
Aus dem hohen Norden, genau genommen aus Helsinki, ist Lilli Paasikivi (59) nach Vorarlberg gekommen. Dort steht die Opernsängerin und Kulturmanagerin seit 1. Oktober 2024 als künstlerische Leiterin an der Spitze der Bregenzer Festspiele. Am 16. Juli steht mit George Enescus „Oedipe“ die erste Premiere an, für die Paasikivi den finnischen Dirigenten Hannu Lintu nach Österreich holte.
Nordischen Künstler:innen wird das Publikum in Bregenz dieses Jahr öfters begegnen. In ihrer ersten Saison stellt die neue Intendantin, die von 2013 bis 2023 die Finnische Nationaloper in Helsinki geleitet hat, Werke und Künstler:innen aus ihrer Heimat vor, „die man in Zentraleuropa oder bei den Bregenzer Festspielen selten hört“, kündigt sie im MADONNA-Interview an.
Es ist Ihre erste Saison in Bregenz. Woran wird man Ihre Handschrift erkennen?
Lilli Paasikivi: Mein erstes Sommerprogramm ist, abgesehen vom „Freischütz“, ganz und gar von mir selbst. Natürlich wollte ich im ersten Jahr finnische und nordische Künstler und Werke präsentieren. Ich bin aus dem Norden und es gibt viele wunderbare Werke und Künstler:innen, die man in Zentraleuropa oder bei den Bregenzer Festspielen selten hört. Dazu gehören Jean Sibelius, Kaija Saariaho, einige gute Sänger und Dirigenten und mit Tero Saarinen ein Choreograf mit einer modernen Tanzgruppe. Wir haben auch einen tollen Männerchor aus Finnland eingeladen, und wir machen ein bisschen Tango. Ich glaube, jede:r kann in diesem Sommer etwas Schönes finden.
Die Seebühne ist eine unglaubliche Kulisse. Welche Herausforderungen bringt sie mit sich?
Paasikivi: Es gibt viele Dinge, die wir kontrollieren können und einige, die wir leider nicht kontrollieren können. Dazu gehört natürlich auch das Wetter. Aber dieses riesige Planungsprojekt mit seinem ganz besonderen Bühnenbild ist einer der spannendsten Prozesse meines Lebens. Wir stecken bereits intensiv im Prozess für 2026. Die Planung dauert mindestens drei Jahre. Als ich nominiert wurde, war meine erste Entscheidung, welche Oper wir 2026 und 2027 auf der Seebühne spielen werden. Es war eine einfache und schöne Entscheidung, da „La Traviata“ vorher noch nie in Bregenz gespielt worden ist.
Könnten Sie Ihre langfristigen Ziele zusammenfassen?
Paasikivi: Bregenz ist ein außergewöhnliches Festival und einige Dinge, die sehr gut funktionieren, muss ich nicht ändern. Auf der Seebühne werden auch in Zukunft populäre Titel zu sehen sein. Dann haben wir die interessante Werkstattbühne. Dort möchte ich neue, zeitgenössische Werke in Auftrag geben. Die Oper im Festspielhaus sollte hingegen immer ein Gegenwicht zu Werken auf der Seebühne sein. Ich sehe Bregenz als ein Fest für Vokalmusik, vielleicht in einer etwas breiteren Form, mit Chormusik und Cross-Genremusik. Die Leute sollen sich willkommen fühlen und einen einfachen Zugang finden. Es ist ein Festival für alle.
Wir leben in schnellen Zeiten, die Leute sind von Social Media kurze Inhalte gewohnt. Macht es das schwieriger, mit der Oper ein breites Publikum zu erreichen?
Paasikivi: Der Komponist Richard Wagner hat einmal gesagt: „Zum Raum wird hier die Zeit.“ Ich habe großes Vertrauen, dass die Kunst ein Ruheplatz und eine schöne Pause vom Alltag sein kann. Die Musik und das Geschehen auf der Bühne kann ein Zufluchtsort sein. Gleichzeitig ist Social Media ein schönes Werkzeug. Wir haben dadurch neue Möglichkeiten, mit den Menschen in Kontakt zu treten. Sie wollen sich vor der Vorstellung informieren, sie sind neugierig auf die Produktionsprozesse. Das ist eine interessante Welt, die dem Publikum oft nicht zugänglich ist. Mit Social Media können wir sie für die Menschen öffnen.
Sie sind eine von wenigen Frauen an der Spitze eines Opernfestivals. Sehen Sie sich als Vorbild?
Paasikivi: Hoffentlich. Es gab in 100 Jahren nie eine künstlerische Leiterin an der Finnischen Nationaloper. Ja, ich war ein Vorbild und ich hoffe, was ich mache, kann inspirieren. Es gibt immer mehr Frauen in leitenden Positionen, auch in Kunst und Kultur. Also, go for it!
Ist Ihnen Ausgewogenheit bei der Besetzung Ihres Teams wichtig?
Paasikivi: Ich will andere Frauen generell unterstützen. Aber das Geschlecht ist nicht das Wichtigste. Das Mindset, die Chemie und die Kompetenz sind die wichtigsten Kriterien. Ich bin trotzdem sehr froh, wenn ich viele kompetente, ehrgeizige Frauen finde. Ich will in meinem Team Spaß und eine gute Stimmung haben. Es muss nicht nur eine Genderfrage sein.
Sie haben lange in Finnland gearbeitet. Ist das Publikum in Österreich anders?Paasikivi: Mir ist sehr bewusst, was für ein unglaubliches Kulturland mit starken Traditionen Österreich ist. Aber Finnland ist auch ein Kulturland. Kultur ist für Finnland sehr wichtig. Das hat mit unserer Identität und unserer Selbständigkeit zu tun. In nordischen Ländern ist die Hierarchie in Unternehmen vielleicht ein bisschen flacher. Wir reden sehr viel miteinander. Aber die Mentalität ist sehr familiär. Die Leute, die bei den Festspielen arbeiten, sind unkompliziert und engagiert. Ich hatte keine Schwierigkeiten und fühle mich sehr zu Hause.