Multioptionsfamilien

Die große Patchwork-Lüge

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Melanie Mühl blickt in ihrem Buch „Die Patchwork-Lüge“ hinter die Fassade und erkennt die traurigen Verlierer der Scheidungsgesellschaft: die Kinder.

Ich habe als Kind lange Zeit gedacht, dass mein Vater uns verlassen hat, weil ich sein Schachbrett kaputt gemacht habe.“ Dieser Satz trifft den Kern. Denn die meisten Kinder fühlen sich bei der Trennung der Eltern schuldig. Auch Melanie Mühl (35) ist ein Scheidungskind. Auch sie hat „sehr darunter gelitten“. Diese Erfahrung und der mittlerweile euphemistische Umgang mit dem Wort „Patchwork“, das ins Deutsche übersetzt nichts anderes als „Flickwerk“ bedeutet, haben die Journalistin und Autorin dazu bewogen, das ­aktuelle Buch Die Patchwork-Lüge – Eine Streitschrift zu verfassen. In ihrem Werk geht sie akribisch dem stetigen Anwachsen dieser neuen Familienkonstellation auf den Grund und kommt zu einem eindeutigen Ergebnis: Man könne den Verlust durch Trennung der Eltern für die Kinder nicht länger als bunte Vielfalt schönreden. Mühl ist es leid, dass all die zusammengewürfelten Beziehungen von Eltern und ihren Kindern, die sich nach Splits und Scheidungen neu arrangieren, mehr und mehr idealisiert werden. Nämlich als bunte Multifunktions - und Optionsfamilie mit Kindern, die hin und her gereicht werden.

Die große Patchwork-Lüge
© oe24

„Die Patchwork-Lüge – Eine Streitschrift“, Hanser Verlag, 17,40 Euro.

Kinder-Lobby
„Das ist für die Kinderseelen ganz schrecklich und traumatisch. Denn Kinder sind sehr konservative Wesen und möchten, dass die Dinge so bleiben, wie sie sind. Nichts soll sich verändern. Sie mögen die Übersichtlichkeit, in die sie hineingeboren wurden, und wollen nicht einen Haufen neuer Verwandter haben“, behauptet Mühl im MADONNA-Interview. Zahlreiche seriöse und internationale Studien belegen leider ihre traurige These. Denn die Zerstörung der Familie als kleinste (und bis dato auch intakteste) Zelle der Gesellschaft habe fast immer verheerende Folgen für die, die eben keine Lobby haben: die Kinder. Die Auswirkung von Trennung und Scheidung der Eltern wird auf dem Rücken der Kinder ausgetragen. Scheidungskinder – auch das ist eine traurige Tatsache – werden später doppelt so häufig geschieden wie Nicht-Scheidungskinder, sie neigen häufiger zu Depressionen und Suchtverhalten und haben größere Schwierigkeiten in der Schule. Warum? „Scheidungskinder wachsen mit der Gewissheit auf, dass nichts von Bestand ist“, erklärt Mühl in ihrer Patchwork-Streitschrift. „In jedem Augenblick kann alles auf den Kopf gestellt werden. Die Familie, die ihnen Halt gab, Geborgenheit, Sicherheit, Zuflucht, existiert plötzlich nicht mehr, die Kontinuität reißt ab.“ Noch schärfer formuliert Mühl es so: „Wenn alles ersetzbar ist, ist alles wertlos.“

Opfer
Fakt ist, dass mittlerweile fast jede dritte Ehe geschieden wird. Ein Umstand, der die Zahl der „Flickwerk“-Arrangements stetig steigen lässt. Als Grundlage für die ­hohe Scheidungsrate sieht Melanie Mühl, die als Journalistin bei der FAZ arbeitet, die Eva­luierungsgesellschaft, in der ständig alles neu auf den Prüfstand gestellt wird mit der Frage, ob es nicht etwas Besseres gäbe. „Das fängt beim Handyanbieter an und hört beim Partner auf“, so Mühl. Sie fordert den Wert der Verbindlichkeit in unseren Beziehungen. „Wir müssen ein neues Bewusstsein für Beziehungen entwickeln, eine neue Idee von Dauerhaftigkeit bekommen.“

Und: „Ich bin ein sehr romantischer Mensch und deshalb absolut gegen die Vernunftehe. Allerdings ist man es den Kindern wenigstens schuldig, es noch ein Mal mehr zu versuchen, als man es ohne Kinder tun würde.“

Den ganzen Artikel plus das Interview mit Melanie Mühl lesen Sie in Ihrer aktuellen MADONNA. Heute in Ihrer Trafik!

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