Nach dem tödlichen Amoklauf an einer Grazer Schule fragen sich Angehörige, Pädagoginnen und Jugendliche, wie sie je wieder in den Alltag zurückfinden sollen. In der ZiB2“ spricht Notfallpsychologin Barbara Juen über die Aufarbeitung, Angst, Ohnmacht und darüber, was es jetzt braucht.
Nach dem Amoklauf an einer Schule in Graz mit zehn Todesopfern steht alles still. Barbara Juen, Notfallpsychologin und fachliche Leiterin der Psychosozialen Dienste vom Österreichischen Roten Kreuz, begleitet mit ihrem Team die Aufarbeitung vor Ort. In der ZiB2 schildert sie, wie groß die seelischen Erschütterungen sind und was Betroffene jetzt brauchen, um weiterleben zu können.
"Am Anfang muss man überhaupt verstehen, was passiert ist", sagt Juen. Jugendliche versuchen, sich abzulenken. Eltern und Lehrkräfte suchen nach einem ersten Begreifen. Für direkt Betroffene beginnt der Trauerprozess. Abschied, Rituale, Beerdigungen. Nichts davon geschieht von allein.
Die Rückkehr in den Schulalltag
Besonders schwierig ist der Weg zurück in die Schule. Juen betont, wie viel Angst dieser Schritt auslöst. "Man muss sich das Gebäude wieder zurückholen", erklärt sie. Begleitet, behutsam, in kleinen Schritten. Rituale helfen. Auch die Lehrkräfte bräuchten intensive Unterstützung. Sie haben selbst Schülerinnen und Kolleginnen verloren und sind dennoch zentrale Bezugspersonen für die Kinder.
Ein Hilfesystem mit großen Lücken
Barbara Juen kritisiert die aktuelle Versorgung an Österreichs Schulen als völlig unzureichend. Sie verweist auf Deutschland, wo nach dem Amoklauf in Winnenden massiv aufgestockt wurde. In Österreich sei das nicht passiert. Sie fordert mehr Schulpsychologen, Schulsozialarbeit und Schulärzte. "Nur im Team kann man etwas bewirken", betont sie.
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Mehr Verständnis für seelische Not
Juen sieht auch Fortschritte. Psychische Erkrankungen seien nicht mehr so stigmatisiert wie früher. Dennoch brauche es mehr Aufklärung, mehr Frühwarnzeichen, mehr Handlungskompetenz beim Lehrpersonal und unter Jugendlichen. Erste-Hilfe-Kurse für die Seele seien ein guter Anfang, doch längst nicht genug.
Wie sicher sind psychologische Waffentests
Zum Thema Waffengesetze wird Juen noch deutlicher. Sie hält die psychologischen Tests für völlig unzureichend. "Einmal testen reicht nicht", sagt sie. Die derzeitige Praxis lasse zu viele Lücken. Explorationsgespräche seien nicht verpflichtend, die Tests oft veraltet. Sie fordert mehrere Testzeitpunkte und modernere Methoden. Außerdem müssten auch mehr Personen und Waffentypen überprüft werden.
Zweifel am System
Die Pläne der Regierung, strengere Waffengesetze umzusetzen, begrüßt sie grundsätzlich. Aber sie warnt vor falscher Hoffnung. "Schnelle Änderungen bringen nicht automatisch mehr Sicherheit", sagt Juen. Die Ursachen seien tief und vielschichtig.
Ein besonders irritierender Punkt: Der Täter fiel beim Bundesheer durch den psychologischen Test, bekam aber später eine Waffenbesitzkarte. Für Juen ist das kein Widerspruch. Die Tests verfolgen völlig unterschiedliche Ziele und sind nicht vergleichbar.