Ex-Kanzler im Interview

Vranitzky:
 "Müssen um Euro kämpfen"

Teilen

Warum die nächsten Tage über den Euro entscheiden: Was uns drohen kann.

Seit Tagen telefonieren Deutschlands Kanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Nicolas Sarkozy öfter miteinander als ein durchschnittliches österreichisches Ehepaar: Das Power-Duo der EU will morgen ein Rettungspaket für die Eurozone aus der Tasche ziehen.

Einen Tag später treffen sich die EU-Außenminister zur Krisensitzung. Ziel: Einen Rettungsplan finalisieren, der dann am 8. und 9. Dezember beim entscheidenden EU-Regierungschef-Gipfel in Brüssel paktiert werden soll. „Vor uns liegen entscheidende Tage“, sagt denn auch Ex-SPÖ-Bundeskanzler Franz Vranitzky im ÖSTERREICH-Interview. EU-Kommissar Olli Rehn hat es noch drastischer ausgedrückt: „Wir müssen die Eurozone tiefer integrieren – oder sie schrittweise auflösen.“

Sollten sich die Euro-Länder bei ihrem Gipfel nicht auf ein straffes Paket einigen, könnte dies tatsächlich das Ende der Eurozone bedeuten. „Wir müssen jetzt kämpfen“, sagt Ex-Regierungschef Vranitzky.

Neuer EU-Vertrag
Die 17 Euroländer wollen – zumindest derzeit – keine Teilung der Eurozone in starke und schwache Länder zulassen und endlich Zähne zeigen. Beim EU-Gipfel sollen Vertragsänderungen beschlossen werden:

  • Demnach soll die EU künftig einen Eingriff in die Sparpläne der einzelnen Regierungen erhalten. Die betroffenen Krisenländer – Griechenland, Spanien, Italien, Portugal, Irland – müssen klare und regelmäßige Sparerfolge melden und offenlegen.
  • Eurobonds – gemeinsame europäische Staatsanleihen – soll es hingegen weiter nicht geben.
  • Die Notenbanken in Europa, USA und Asien haben bereits in den vergangenen Tagen Geld in den Markt gepumpt, um die Wirtschaft auf Trab zu bringen. Diese Banken sollen in Hinkunft eine noch zentralere Rolle einnehmen – auch direkt Staatsanleihen kaufen. Der Internationale Währungsfonds (IWF) soll noch stärker als bisher eingebunden und als „Retter in der Not“ für marode Staaten einspringen.

Sollten sich die EU-Staaten freilich nicht auf strenge – und kontrollierbare – Sparpläne aller Euroländer einigen, würden auch Notenbank und IWF nicht mehr mitspielen. Dann würde die Eurozone kippen und die Welt in die Rezession stürzen ...
 

Ex-Kanzler: "Müssen sparen, sonst stürzt das EU-Haus ein"

ÖSTERREICH: EU-Kommissar Rehn meint, die nächsten Tage entscheiden über das Schicksal der Eurozone. Wie ernst ist die Lage wirklich?
Franz Vranitzky: Vor uns liegen entscheidende Tage: Jetzt sind nüchterne Analysen und Schritte nötig. Die Zeit für blauäugigen Optimismus oder überstürzten Pessimismus ist vorbei.

ÖSTERREICH: Kommende Woche findet wieder ein EU-Gipfel statt. In den vergangenen Monaten gab es immer wieder Treffen und danach ist nicht viel passiert.
Vranitzky: Da haben Sie recht. Für Kleingeistigkeit und Versäumnisse haben wir keine Zeit mehr. Eineinhalb Jahre, in denen es viel Kleinkariertheit gegeben hat, sind bereits verloren gegangen. Es hat keinen Sinn, jetzt noch Tränen darüber zu vergießen. Die Milch ist verschüttet. Jetzt muss man agieren.

ÖSTERREICH: Was konkret muss jetzt passieren, um die Krise zu entschärfen?
Vranitzky: Es muss allen klar sein, dass wir durch die gravierende Schuldensituation einzelner Länder ein gemeinsames Problem haben. Es besteht auch die Furcht einer Ansteckungsgefahr von den bereits kranken Ländern auf starke Länder. Wir sind an einem Fluss angekommen, den wir jetzt überqueren müssen. Und wir müssen ihn alle gemeinsam überqueren, auch wenn man Angst vor Sümpfen hat. Das heißt, nicht nur die EU, auch die einzelnen Länder müssen bei sich jetzt sparen.

ÖSTERREICH: Das heißt, auch Österreich muss jetzt sparen, um nicht auch in eine Krise zu schlittern?
Vranitzky: Alle EU-Länder, auch Österreich. Wenn in einem Hochhaus die obersten Stockwerke brennen, muss man auch den zweiten und dritten Stock, der noch nicht brennt, absichern. Sonst droht alles einzustürzen. Aber es muss auch allen klar sein, dass das kein einfacher Weg wird. Die Gesundungsmaßnahmen in allen Ländern – auch in Österreich – werden teilweise gravierend sein und damit auch auf Widerstand stoßen. Man muss sie aber durchziehen.

ÖSTERREICH: Hat die heimische Regierung mit der Schuldenbremse richtig gehandelt? Oder lässt sie sich mit dem Sparen zu viel Zeit?
Vranitzky: Die Schuldenbremse ist eine richtige Maßnahme. Und ich finde, unsere Bundesregierung hat in letzter Zeit absolut verstanden, worum es geht, und auch eine deutliche Haltung eingenommen.

ÖSTERREICH: Was würde passieren, wenn wir jetzt doch nicht sparen?
Vranitzky: Wir Österreicher haben das Glück, dass wir im Vergleich zu anderen Ländern eine sehr geringe Arbeitslosigkeit haben. Wir haben eine hohe soziale Versorgung und relativ starke Kaufkraft. Aber sollten wir die Sparpläne nicht konsequent umsetzen, könnten wir das verlieren.

ÖSTERREICH: Was droht, falls beim EU-Gipfel keine Beschlüsse fallen?
Vranitzky: Die Taktik des Hinausschiebens muss zu Ende sein. Jetzt geht es um die Glaubwürdigkeit der EU und um Geschlossenheit. Wir müssen jetzt Maßnahmen ergreifen für den Schutz unserer Länder und unserer Bevölkerungen. Beim Gipfel muss das Signal gesetzt werden, dass Europa kein Verein der Schwachmatiker ist, sondern dass wir in Europa entschlossene Kämpfer gegen die Krise sind. Die Staatshaushalte müssen jetzt in Ordnung gebracht werden, aber wir brauchen trotzdem auch Programme für ein Wirtschaftswachstum.

ÖSTERREICH:  Investitionen, um die Menschen nicht auf dem Weg zu verlieren? 
Vranitzky: Genau so ist es. Die EU-Spitze erweckt leider manchmal den Eindruck der Abgehobenheit. Die EU-Bevölkerungen haben das Recht, zu sagen: Kommt zu uns herunter.

ÖSTERREICH: In der EU gibt es eine Debatte, ob sich die Kerneurozone – die starken Euroländer – abspalten sollte. Wäre das vernünftig?
Vranitzky: Ich bin dafür, dass die starken Euroländer die schwachen mitnehmen. Erstens, weil es dem Gedanken der Solidarität entspricht. Aber zweitens auch, weil wir ja auch mit diesen Ländern stark wirtschaftlich verbunden sind. Vergessen Sie nicht die Importe und Exporte, auch wir würden verlieren, wenn man versuchen würde, sich abzuspalten. Aber wir müssen von diesen Ländern verlangen, dass sie nun den Sparkurs einhalten. Und das muss auch kontrolliert werden.

ÖSTERREICH: Genau diese Kontrolle soll nun in veränderten EU-Verträgen verankert werden. Brauchen wir einen neuen EU-Vertrag?
Vranitzky: Ich teile die Einstellung, dass wir ein „Mehr an Europa“ brauchen. Aber die Entscheidungen sind so wichtig, dass man sich mit einem neuen Vertragswerk Zeit nehmen muss. Das kann zwei bis drei Jahre dauern. Denn kein Volk wird sich einen neuen EU-Vertrag einfach aufzwingen lassen. Wir sind 500 Millionen in der EU, und für einen neuen Vertrag braucht man einen breiten Dialog und muss die Menschen einbeziehen.

ÖSTERREICH: Schlittert die EU in eine Rezession?
Vranitzky: Es sind keine guten Konjunkturaussichten: China und Indien zeigen Schwächezeichen, die USA sind viel schwächer, als sie uns glauben lassen wollen. Daher braucht es ein starkes Europa.

ÖSTERREICH: Brauchen wir eine EU-Wirtschaftsregierung?
Vranitzky: Den Briten stellt es bei dieser Bezeichnung die Nackenhaare auf. Aber natürlich brauchen wir eine Vergemeinschaftung bei der Sozial-, Wirtschafts- und Steuerpolitik. Jedes Land, das der EU beigetreten ist, hat die Römer Verträge unterschrieben, in denen klargelegt wird, dass wir als Endpunkt eine politische Union wollen. Und wir brauchen eine politische Union.

ÖSTERREICH: Haben die Ratingagenturen zu viel Macht?
Vranitzky: Ratingagenturen sind wie Schiedsrichter, über die man sich ärgert, aber es gibt kein Spiel ohne Schiedsrichter. Ich teile viele Vorbehalte gegen Ratingagenturen – dass sie bei den US-Ramschpapieren zu spät reagiert haben und manchmal Öl ins Feuer gießen –, aber sie warnen internationale Anleger vor risikoreichen Veranlagungen. Die Politik muss mit ihnen auskommen. Ratingagenturen sollen künftig darlegen, warum sie ein Land so oder so beurteilen. Dann holt man sie vom Elfenbeinturm.

ÖSTERREICH: Könnte es sein, dass wir bald wieder mit dem Schilling zahlen?
Vranitzky: Jenen, die das wollen, sei gesagt: Eine Rückführung zum Schilling würde einen monatelangen Stillstand bedeuten. Wir müssten neue Banknoten drucken und alle unsere Betriebe wieder komplett umstellen. Die Gefahr einer Rezession und Arbeitsplatzgefährdung wäre sehr hoch. Daher mein warnendes Wort: Unternehmen wir alles, um das zu verhindern.

ÖSTERREICH: Es wirkt, als würden nur noch Frankreich und Deutschland den EU-Kurs bestimmen, oder?
Vranitzky: Die Achse Deutschland/Frankreich ist unverzichtbar. Aber das Pärchen Sarkozy/Merkel wäre gut beraten, ihre Kollegen früher als bisher einzubinden, damit auch kleinere Länder wie wir ihre Vorstellungen einbringen können. Der Eindruck des Diktats muss überwunden werden.

Fehler im Artikel gefunden? Jetzt melden.

Faymann trifft Kanzlerin Merkel