Missbrauch in Kirche

80.000 Menschen könnten heuer austreten

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Die dreitägige Bischofskonferenz in Mariazell steht im Schatten der Missbrauchs-Skandale und einer riesigen Welle von Kirchenaustritten.

Selten war die Stimmung bei einer Sommerversammlung der österreichischen Bischöfe angespannter als dieses Jahr. Seit Montag beraten Österreichs Bischöfe in Mariazell die Zukunft der katholischen Kirche. Doch angesichts der zahlreichen Missbrauchs-Skandale, die seit Mitte März das ganze Land erschüttern, und der daraus resultierenden riesigen Welle an Kirchenaustritten ist das Routine-Treffen der Bischöfe eher eine Krisenkonferenz.

Kirche entgehen durch die Austritte 8,3 Millionen Euro
Denn die Lage der katholischen Kirche ist sehr ernst: Der Wirbel um den sexuellen Missbrauch durch Priester und Pater geht den Menschen emotional und persönlich sehr nahe. Und diese negative Stimmung gegenüber der Kirche schlägt sich auch in Zahlen nieder. Wie Josef Weiss, Leiter der Kirchenbeitragsstelle der Erzdiözese Wien bestätigt, drohen der Kirche heuer bis zu 80.000 Kirchenaustritte – ÖSTERREICH berichtete bereits im März 2010 darüber.

Das sorgt nicht nur für einen enormen Imageschaden, der schwer korrigierbar ist. Vor allem verliert die Kirche mit den Austritten sehr viel Geld. Rechnet man mit einem durchschnittlichen Kirchenbeitrag von 104 Euro/Jahr, entgehen der Kirche rund 8,3 Millionen Euro Cash.

Fakt ist: Es besteht Handlungsbedarf. Der bekannte Theologe Paul Zulehner fordert im ÖSTERREICH-Interview (siehe Story rechts): „Es muss etwas passieren in der katholischen Kirche. Ich erwarte mir jetzt klare Neuerungen.“

Mit neuen Maßnahmen will Kirche aus Krise steuern
Die Offiziellen hüllten sich am Montag in einen Mantel des Schweigens. Die Bischofsvertreter wollten zu den geplanten Reformen noch nichts sagen.

Hinter den Kulissen sickerte jedoch durch, dass ein Reformpapier existiert, das Kardinal Christoph Schönborn am Mittwoch öffentlich präsentieren will. Denn seit Wochen bastelten Theologen unter der Führung des Wiener Generalvikars Schuster an einem neuen Maßnahmenkatalog, der die Kirche aus der Krise führen sollte.

Opfer: Scharfe Kritik an der Klasnic-Kommission
Konkret sollen die Richtlinien für neu eintretende Priester verschärft werden – etwa durch die Einbeziehung von Psychologen, die die neuen Priester auf ihre Eignung prüfen. Zudem soll eine Anzeigepflicht für Kirchenmitarbeiter bei Verdacht des Missbrauchs beschlossen werden.

Neben den Bischöfen ist die offizielle Opferschutzbeauftragte Waltraud Klasnic in Mariazell anwesend. Sie präsentierte einen Zwischenbericht. Ihre Arbeit wird zumindest aus der Sicht der Opfer scharf kritisiert. Opfer-Anwalt Werner Schostal sagt: „Wir fordern, dass die Klasnic-Kommission den Titel unabhängig zurücklegt.“

Theologe Paul Zulehner fordert:
"Muss was passieren"


ÖSTERREICH: Wie schafft die Kirche den Weg aus der Krise?
Paul Zulehner: Zuerst muss die Kirche die Missbrauchs-Skandale konsequent aufarbeiten. Das geht nur, wenn neue Richtlinien eingeführt werden und sich die Kirche wieder auf die Stärken konzentriert.

ÖSTERREICH: An welche Maßnahmen denken Sie?
Zulehner: Neue Priester müssen psychologisch geprüft werden. Es muss ein Screening durch Psychologen geben, ob jemand überhaupt geeignet für diesen Job ist. Es geht hier auch um die psychosexuelle Reifung, die von Experten festgestellt werden muss. Zudem müssen die Ombudsstellen der Kirche vereinheitlicht und viel stärker miteinander verzahnt werden. Man muss Opfern anbieten können, ihren Fall innerhalb von 24 Stunden bearbeiten zu können.

ÖSTERREICH: Gerade findet die Bischofskonferenz statt. Welche Antworten erwarten Sie?
Zulehner: Klar ist, es muss was passieren in der katholischen Kirche. Ich erwarte mir, dass Kardinal Schönborn am Mittwoch erste Neuigkeiten präsentiert. Das erwartet die Öffentlichkeit jetzt von der Kirche.

ÖSTERREICH: Heuer wird es 80.000 Austritte geben. Verstehen Sie den Frust dieser Menschen?
Zulehner: Teilweise. Durch den Austritt verlieren sie mehr als sie durch die Kirche behalten.

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