Nach dem Europacup-Coup ist Hartberg-Präsidentin Brigitte Annerl (50) überglücklich.
Mit dem kleinsten Budget der Bundesliga ist Hartberg heuer über sich herausgewachsen! Die Sensation-Elf ist nicht nur die Nummer 1 der Steiermark, sondern qualifizierte sich zum ersten Mal in der Vereinsgeschichte für den Europacup. Im großen Sonntags-Interview spricht Präsidentin Brigitte Annerl (50), seit 2017 im Amt, über den wahr gewordenen Traum, das Hartberger Erfolgsrezept, die Vorfreude auf die Europa League und die Vertragsverlängerung von Erfolgstrainer Markus Schopp.
ÖSTERREICH: Frau Annerl, haben sie das Erreichte schon realisiert?
Brigitte Annerl: Wir haben Unglaubliches erreicht: 2017 sind wir aus der Regionalliga aufgestiegen, 2020 spielen wir in Europa - es ist ein Traum wahr geworden, das habe ich noch nicht ganz realisiert. Ich muss oft an das Schiedsgericht, beim Lizenzverfahren 2018 zurückdenken. Da hat mein Anwalt zu mir gesagt: Ganz ehrlich, ich wusste vorher nicht einmal dass es einen TSV Hartberg gibt. (lacht) Ich denke, das hat sich in Fußball-Österreich mittlerweile massiv geändert. Und hoffentlich kennen uns bald auch Klubs in Europa.
ÖSTERREICH: Wie wurde der sensationelle Erfolg gefeiert?
Annerl: Direkt nach dem Spiel hat es im Stadion eine Feier gegeben, am Tag darauf gab es einen Empfang beim Bürgermeister. Er hat uns seine Anerkennung ausgedrückt und wir sind stolz durch unsere Leistungen etwas zurückgeben zu können. Ohne die Unterstützung durch unsere Stadtgemeinde und dem Land Steiermark wären wir nicht da, wo wir heute sind. Danach haben wir in der Sky Bar in Graz gefeiert, jetzt geht jeder in den wohlverdienten Urlaub.
ÖSTERREICH: Im Vorjahr ging es für die gesamte Mannschaft nach Mallorca, ist heuer auch so etwas geplant?
Annerl: Grundsätzlich wollte ich mit den Spielern heuer zum Saisonabschluss nach Bangkok fliegen, da hat uns Corona leider einen Strich durch die Rechnung gemacht. Als Alternative habe ich in Österreich Velden gewählt, aber die Situation in Kärnten ist auch nicht gerade einladend, deswegen haben wir es heuer bei einer Party belassen.
ÖSTERREICH: Wie beurteilen Sie die Saison 2020 rückblickend?
Annerl: Wir haben einen sensationellen Herbst gespielt, der Einzug in die Meisterrunde und der damit verbundene Klassenerhalt war die Krönung. Dann war unser Ziel, in der Meistergruppe nicht nur Punkte zu liefern - das ist uns mit 13 Punkten mehr als gelungen. Da haben wir gezeigt, dass wir auch gegen die Großen bestehen können und dass es manchmal nicht nur ums Geld geht. Dass wir am Ende die Nummer 1 der Steiermark sind und uns für Europa qualifiziert haben, ist ein Traum - wir haben unsere Ziele heuer vier Mal selbst übertroffen.
ÖSTERREICH: Was macht Hartberg so stark?
Annerl: In Hartberg stimmt das Gesamtpaket, das ist ein großes Puzzle mit vielen wichtigen kleinen Teilen. Im gesamten Vorstand sind fast nur Ehrenamtliche, wir haben nur zwei Mitarbeiter im Büro. Der gesamte Vorstand geht nach einem langen Tag in den Berufen ins Stadion, schraubt Sessel an, räumt die Tribünen um - das färbt ab! Unser Erich Korherr leitet ehrenamtlich einen Bundesligaverein - wo gibt es sowas sonst? Wenn ich unsere Spieler hernehme: Wir haben viele regionale Spieler, manche Spieler kennen sich seit der Schule. Das ist mehr als ein Fußballteam, das sind Freunde. Und dann haben wir natürlich einen Trainer, der menschlich und fachlich große Kompetenzen hat. Er hat es geschafft, aus sehr geringen Mitteln sehr viel zu machen.
ÖSTERREICH: Wie glücklich sind Sie, dass Markus Schopp in Hartberg bleibt?
Annerl: Wir freuen uns über seine Entscheidung und sind überglücklich den Weg mit unserem Sensationstrainer weiter gehen zu können. Markus hat es mit geringsten Mittel geschafft den TSV Hartberg in der Bundesliga zu etablieren, ein Ticket für die Europaleague Qualifikation zu erreichen und damit alle Ziele weit übertroffen. Wir freuen uns auf eine weitere gemeinsame Saison.
ÖSTERREICH: Wie kann Hartberg so eine Saison wie diese toppen?
Annerl: Ganz ehrlich? Ich kann es Ihnen nicht sagen. Beim Aufstieg in die Zweite Liga hat es geheißen, wir steigen sofort wieder ab. Beim Aufstieg in die Bundesliga hat es geheißen, wir sind der Dorfklub und Punktelieferant. Jetzt spielen wir Europa-League-Qualifikation. Wir haben bewiesen, dass wir mit Wille, Herzblut, Engagement und wirklich harter Arbeit viel erreichen können. Die Ziele nach oben hin sind offen.
ÖSTERREICH: Was hätten Sie gesagt, wenn ich Ihnen 2017 gesagt hätte, in drei Jahren spielt Hartberg Europa-League?
Annerl: Es tut mir leid, aber ich hätte Sie wie alle anderen auch für verrückt erklärt. Als ich damals gekommen bin, habe ich so viele Menschen mit Herzblut und Leidenschaft erlebt. Das war für mich damals unterstützenswürdig und es war für mich nicht relevant, in welcher Spielklasse wir sind. Ich bin richtig stolz, ein kleiner Teil dieser tollen Entwicklung zu sein.
ÖSTERREICH: Wie groß ist bei Ihnen jetzt schon die Vorfreude auf den Europacup? Schon in der 2. Quali-Runde könnten Teams wie Wolfsburg, Glasgow Rangers oder Arsenal warten …
Annerl: Unfassbar (lacht) Ich glaube diese Vereine müssten mal schauen wo Hartberg liegt und wer wir sind. Wir wollen in Europa nicht nur dabei sein, sondern einen Fußabdruck hinterlassen - so wie es auch in der Meisterrunde unser Ziel war und wir es dort geschafft haben. Und ganz ehrlich? Ich glaube daran! Wir werden auch in der Europa League überraschen - sonst wären wir nicht Hartberg. Unser Vorteil wird sein, dass wir in keinem Spiel der Favorit sind. Wir können frisch, willig und offen ins Spiel gehen. Nicht zu müssen, ist einer der größten Vorteile im Leben.
ÖSTERREICH: Wie läuft die Kaderplanung für die kommende Saison?
Annerl: Die Entscheidung von unserem Trainer war die erste ganz wichtige Personalentscheidung. Jetzt wird der Kader gemeinsam mit ihm und Erich Korherr zusammengestellt und geplant. Es ist richtig, dass unsere Spieler immer mehr in der Auslage stehen, das ist auch etwas, was uns sehr stolz macht. Aber: Unsere Spieler wissen ganz genau, was sie an Hartberg haben. Wenn ein Spieler geht, ändert der nicht einfach seinen Job sondern geht raus aus einer Freundesgruppe. Die Spieler fühlen sich bei uns extrem wohl, dürfen sich hier entwickeln und bekommen sehr hohe Wertschätzung.
ÖSTERREICH: Wie kann sich der Verein abseits vom Sport weiterentwickeln?
Annerl: Es gibt vorliegende Pläne, unser Stadion mit Fixtribünen auszubauen. Es gibt auch Pläne für Analysetools für das Trainerteam und neue technische Möglichkeiten für unsere Spieler - das sind die Weiterentwicklungen, die auch unser Trainer gerne sieht. Die Covid-19-Pandemie war dafür nicht gerade hilfreich. Aber wir haben jetzt sehr viele Ziele erreicht, dadurch werden wir wieder mehr Sponsoren dazugewinnen und das wird uns ermöglichen, einige Weiterentwicklungen zu finanzieren. Aber immer Step für Step, eins nach dem anderen - so wie es in Hartberg üblich ist.
Interview: Philipp Scheichl