Rapid-Keeper Paul Gartler spricht im ÖSTERREICH-Interview über seine Gedanken zu den Vorfällen in Wien, seine neue Rolle als Nummer 1 und das heutige Finalspiel.
Nach zwei Niederlagen steht Rapid in der Europa League heute (18.55 Uhr) schon gewaltig unter Zugzwang: Nur mit einem Heimsieg im leeren Weststadion gegen den irischen Meister Dundalk bleibt der Traum vom Aufstieg am Leben. Die Partie steht ganz im Zeichen der tragischen Terror-Anschläge in Wien: Vor dem Stadion hängt eine schwarze Fahne, Grün-Weiß läuft mit Trauerflor auf, vor Anpfiff gibt es eine Schweigeminute.
ÖSTERREICH: Paul, wie fühlt es sich an, Rapids Nummer 1 zu sein?
Paul Gartler: Gut (lacht). Es kam sehr überraschend für mich, dass ich in Norwegen im Tor stehe, weil es doch eine sehr wichtige Partie war und es nicht so häufig vorkommt, dass man den Torwart wechselt. Das habe ich erst beim Mittagessen kurz vor dem Spiel erfahren. Jetzt geht es darum, meine Leistungen zu bestätigen. Wir sind in einer Leistungsgesellschaft, da muss ich jeden Tag meine beste Performance abrufen.
ÖSTERREICH: Dabei warst du im Sommer fast schon weg …
Gartler: Grundsätzlich war es so, dass Rapid immer mit mir verlängern wollte. Jürgen Macho (Anm: Torwarttrainer) hat sich sehr oft bei mir im Urlaub gemeldet und gefragt, wie es ausschaut und mir gesagt, dass er mit mir weiterarbeiten möchte. Die Corona-Krise bedeutet für den Verein natürlich auch hier eine große Herausforderung aber für mich war schnell klar, dass ich da bleiben möchte. Ich bin Rapid sehr dankbar, dass ich verlängern durfte.
ÖSTERREICH: Wie ist deine Beziehung zu Jürgen Macho?
Gartler: Er war und ist in meiner Entwicklung sehr, sehr wichtig für mich. Ich glaube, unter ihm habe ich sehr große Schritte gemacht. Er ist sehr ehrlich und direkt zu uns, sagt auch wenn was nicht passt, und arbeitet, redet und analysiert sehr viel mit uns. Es freut mich, dass er bei uns ist.
ÖSTERREICH: Wie würdest du deine Stärken und Schwächen selbst charakterisieren und was sind deine Erfolgsfaktoren neben dem Platz?
Gartler: Aus meiner eigenen Perspektive ist eine große Stärke von mir, dass ich sehr ehrgeizig bin, dass ich sehr hart arbeite und immer Gas gebe. Zur Schwäche würde ich zählen, dass ich vielleicht manchmal zu viel nachdenke und zu ungeduldig bin. Ich bin ein großer Familienmensch, habe eine sehr enge Beziehung zu meinen Verwandten und viel Kontakt zu Mama, Papa, Schwester und Großeltern in der Steiermark. Dazu wohne ich mit meiner langjährigen Freundin zusammen. Sie nimmt mir sehr viel Druck ab, bringt mich oft auf andere Gedanken.
ÖSTERREICH: Wie ist deine Beziehung zu Richard Strebinger?
Gartler: Wir sind eigentlich gute Freunde, haben uns früher am Trainingslager und bei Auswärtsreisen immer das Zimmer geteilt. Wenn man auf der gleichen Position ist, ist es natürlich schwierig, weil jeder will spielen. Aber ich glaube, dass wir da beide sehr professionell mit der Situation umgehen. Ich kann mich gut in ihn hineinversetzen, weil ich weiß, wie es ist, nicht zu spielen und beispielsweise in Kapfenberg ähnliches erlebt habe. Aber er ist ein sehr, sehr guter Tormann und wird sicher in Zukunft auch wieder zum Spielen kommen.
ÖSTERREICH: Was bedeutet es für dich, bei diesem Verein zu spielen?
Gartler: Ich bin mit 15 Jahren aus der Steiermark nach Wien gekommen, habe hier in meiner Zeit seit Sommer 2012 schon viele Höhen aber auch Tiefen mitgemacht. Es bedeutet mir sehr viel, für diesen Verein zu spielen. Es war immer schon mein Traum, mich hier durchzusetzen.
ÖSTERREICH: Wie traurig ist es, dass du deine Heim-Premiere vor einem fast leeren Stadion feiern musstest und die Arena auch in naher Zukunft leer bleibt?
Gartler: Es ist wirklich sehr schade, weil man weiß, wie hier in Hütteldorf die Post abgeht. Gerade solche wie Spiele wie jetzt gegen Dundalk und Salzburg wären zwei echte Fußball-Feste, in denen die Fans die letzten Prozent aus uns rausholen könnten. Die Situation lässt es aber leider nicht anders zu, das müssen wir akzeptieren. Ich denke, wir haben bislang das beste daraus gemacht. So müssen wir weitermachen, jeder kann aktuell seinen Teil beitragen, und dann freuen wir uns, wenn die Stadien im Frühjahr dann hoffentlich wieder voll sind.
ÖSTERREICH: Heute wartet Dundalk - mit welchen Erwartungen gehts ihr in die Partie?
Gartler: Man sieht an ihren Ergebnissen, dass sie in dieser Gruppe gut mithalten können. Wenn wir etwas mit dem Aufstieg zu tun haben wollen, müssen wir gewinnen - das ist klar. Aber wir werden uns jetzt keinen zusätzlichen Druck machen, sondern uns auf unsere Stärken konzentrieren. Wir schauen nicht auf irgendwelche Transfermarktwerte, weil es schon so oft passiert ist, dass vermeintlich kleinere Teams gegen größere überraschen können - man hat auch bei uns gegen Arsenal gesehen, dass wir sie ärgern können. Und das, obwohl sie glaube ich den 19-fachen Kadermarktwert haben. Wir werden uns wieder perfekt auf den Gegner einstellen und dann alles rein hauen, um die drei Punkte hier zu behalten.
ÖSTERREICH: Wie schön wäre es, den Menschen in Wien mit einem Sieg die tragischen Erlebnisse der vergangenen Tage für einem Moment vergessen zu machen?
Gartler: Grundsätzlich glaube ich, dass Fußball immer eine schöne Ablenkung für viele Menschen sein kann - das haben wir schon in der Corona-Phase erlebt. Die tragische Terror-Geschichte am Montag war ein absoluter Wahnsinn und macht mich extrem traurig. Mir war da selber ein bisschen schummrig und ich habe von Montag auf Dienstag auch nicht gut geschlafen, das ist sicher nicht nur mir so gegangen. Wir wollen mit dem Fußball schauen, dass wir die Leute ein bisschen ablenken können und an schönere Zeiten erinnern, das ist mit Erfolgen natürlich noch einfacher.
ÖSTERREICH: Wie lautet dein Karriereziel?
Gartler: Mein absolute Lieblingsmannschaft war immer Arsenal London, das wäre ein echter Traum. Aber ich bin jemand, der im Hier- und Jetzt lebt. Es ist wirklich nicht selbstverständlich, dass ich spiele. Ich habe selber gesehen, wie schnell es gehen kann und es kann genau so schnell wieder in die andere Richtung gehen. Deswegen gebe ich einfach weiter Gas, genieße den Moment und will mit Rapid so viele Erfolge wie möglich feiern.
ÖSTERREICH: Was ist mit Rapid in dieser Saison drinnen?
Gartler: Wir sind eine sehr gute, gefestigte Mannschaft und haben die guten Leistungen der letzten Saison gut über den Sommer mitnehmen können. In allen drei Bewerben ist alles möglich. Wir sind eine Mannschaft, die in einem Spiel jeden Gegner schlagen kann. Aber wenn wir nicht fokussiert genug sind, können wir auch gegen vermeintlich kleinere Gegner Probleme bekommen. Unser primäres Ziel ist, dass wir in der Liga mal das obere Play-off erreichen. Dann gibt es einen Cut, da kann in beide Richtungen sehr viel passieren. Im Cup wollen wir so weit wie möglich kommen, auch wenn der nächste Gegner Salzburg ist - in einem Spiel ist immer was möglich. Und in der Europa League sind alle Chancen offen, dass wir die K.o.-Phase erreichen - dafür zählen jetzt aber fast nur noch Siege.
Interview: Philipp Scheichl