Notlösung will Titelverteidigung verhindern

WM-Trainer-Duell: Weltmeistercoach gegen Bauernsohn

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Sieht man die Fußball-WM auch als Wettbewerb der Trainer, dann findet das Final-Duell am Sonntag zwischen dem Turnier-Großmeister und einer anfänglichen Notlösung statt.

Frankreichs Didier Deschamps, der Weltmeister-Trainer von 2018, der schon als Spieler Welt- und Europameister geworden ist, trifft auf Lionel Scaloni, der das Amt in Argentinien zunächst nur probeweise ausübte, weil der Verband sparen musste.

Beide haben gemeinsam, das lässt sich schon vor dem Finale sagen, dass sie in Katar das Optimum aus den Möglichkeiten ihrer Spieler herausholten. Deschamps, weil er trotz prominenter Abwesender wie Karim Benzema, Paul Pogba und N'Golo Kanté neu mischte und nun ein genauso stimmiges Ensemble wie 2018 in Russland dirigiert. Scaloni, weil er verstand, dass die limitierte "Albiceleste" am erfolgreichsten ist, wenn sie für Lionel Messi spielt und arbeitet.

Mit Spielern wie Romero, Otamendi, Fernández, Mac Allister, Gomez und De Paul bildete Scaloni ein Fundament, auf dem Messi als Sehenswürdigkeit thront. "Wenn man sieht, wie die füreinander einstehen: Das ist genau sein Werk", sagte zuletzt der aktuelle Altach-Trainer Miroslav Klose, der gemeinsam mit Scaloni bei Lazio Rom gespielt hat. "Er hat einfach dieses Menschliche und diese Wärme, und so, glaube ich, führt er auch Argentinien." Scaloni selbst sagte: "Schon als Kind, als ich in meiner Altersgruppe der Beste war, war ich nie ein Egoist, sondern ich habe die Gruppe zusammengehalten."

Der Bauernsohn als Notlösung

Vielleicht trägt der mit 44 Jahren jüngste Trainer dieser WM fast immer Trainingsanzug, weil die Karriere des kompromisslosen Rechtsverteidigers erst 2015 zu Ende ging. Vielleicht aber auch, weil der Sohn eines "chacarero" (Bauern) aus Pujato alles andere als ein Selbstdarsteller oder Exzentriker ist, am Mikrofon wirkt er sogar eher langweilig. Wie Scaloni allerdings Messi zur Rückkehr ins Team bewog, darf als gewiefter Schachzug gewertet werden.

Als er 2018 nach der Trennung vom teuren Trainer-Missverständnis Jorge Sampaoli vom Co-Trainer zum Chef auf Interimsbasis aufstieg, fragte Diego Maradona, ob die Entscheidungsträger im Verband nun endgültig verrückt geworden seien. Zu allem Überfluss war Messi nach der erfolglosen Russland-WM abgetaucht, die Teamkarriere schien schon fast vorbei.

Scaloni und sein Co-Trainer Pablo Aimar - just das große Idol des sechsfachen Weltfußballers - riefen Messi an. "Leo, wir (...) wollen dich wissen lassen, dass die Türen offen sind - aber dass es vielleicht besser ist, wenn du erst mal nicht kommst", habe Scaloni gesagt, so schilderte es der Trainer selbst. Er wollte erst eine gefestigte Truppe haben, bevor Messi sich einreihen sollte. Der Plan ging auf. Messi stieß später dazu und holte mit dem Gewinn der Copa America 2021 den ersten großen Titel für Argentinien seit 28 Jahren. Seither galt das Team als WM-Mitfavorit.

Präsident Macron fordert Deschamps-Verbleib

Am Sonntag trifft Scaloni auf Deschamps und damit auf einen Trophäensammler erster Güte. Der frühere defensive Mittelfeldspieler war Frankreichs Stratege beim Weltmeistertitel 1998 und lenkt die Equipe Tricolore seit 2012 als Teamchef. Vor vier Jahren kommandierte der "General" gerufene Deschamps die "Bleus" zum Weltmeistertitel, die Titelverteidigung hätte historische Dimension - auch für ihn: Nur Italiens Vittorio Pozzo ist es 1934 und 1938 als Trainer gelungen, zweimal Weltmeister zu werden.

Ob er nach der WM als Teamchef weitermacht, kann Deschamps selbst entscheiden. "Die Entscheidung liegt bei ihm, ich hoffe, er sagt ja", erklärte zuletzt Verbandspräsident Noël Le Graët. Sanfter Verweil-Druck wird von oberster Stelle aufgebaut: "Deschamps gewinnt alles. Natürlich muss er bleiben", sagte Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron.

Monsieur Deschamps gilt als pragmatisch, konservativ, realistisch, strategisch, streng aber humorbegabt, nicht zuletzt als extrem erfolgreich - und so denkt er auch Fußball. Dem ehemaligen Profi von Juventus Turin und Olympique Marseille gelang es, die vorher oft zerstrittene multikulturelle französische Auswahl zu einen. Sein ehrlicher Umgang mit sich selbst dürfte für die Balance im gesamten Team nicht unwichtig sein. "Ich denke nicht an mich selbst", sagte Deschamps. "Ich bin sehr stolz auf meine Spieler."

Als der 54-Jährige dieser Tage nach seinem Erfolgsrezept befragt wurde, führte er viele Zutaten an, die seiner Meinung nach wichtigste lautete aber: Es brauche möglichst viele Weltklassespieler. Dass ihm davon 2022 ein beinahe unerschöpfliches Reservoir zur Verfügung steht, ist Teil von Deschamps Erfolgsgeschichte.
 

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