Der spektakuläre Spionage-Skandal in der Formel 1 spitzt sich weiter zu.
Inzwischen ermittelt in dem ominösen Fall um geheime Ferrari-Dokumente sogar die Staatsanwaltschaft Modena gegen McLaren-Teamchef Ron Dennis, fünf weitere Mitglieder des britischen Rennstalls und den früheren Ferrari-Chefmechaniker Nigel Stepney. Vor dem Qualifying zum Grand Prix von Italien in Monza hatten Zivilbeamte am Samstag im Fahrerlager Ermittlungsbescheide an Dennis und zwei weitere Teamvertreter übergeben.
Jahrelanger Schaden möglich
Unabhängig von der drohenden
Anklage vor einem ordentlichen Gericht müssen sich die
McLaren-Verantwortlichen am Donnerstag vor dem Motorsport-Weltrat des
Internationalen Automobil-Verbandes (FIA) zu den Vorwürfen äußern. Die
ebenso dubiose wie delikate Spionage-Affäre enthält so viel Sprengstoff,
dass die Formel 1 bei einer "Explosion" enormen, auf Jahre nicht behebbaren
Schaden erleiden könnte. Sponsoren könnten sich angesichts der negativen
Schlagzeilen zurückziehen, Rennställe in ihrer Existenz bedroht sein sowie
zu Recht oder Unrecht Beschuldigte ihren Job verlieren.
"Ganz üble Geschichte"
"Das ist eine ganz, ganz
üble Geschichte", urteilte Fiat- und Ferrari-Präsident Luca di Montezemolo.
"Es ist generell eine schwierige Phase für die Formel 1." Wie "La Gazzetta
dello Sport" (Sonntagsausgabe) berichtet, soll Grand-Prix-Guru Bernie
Ecclestone zu di Montezemolo gesagt haben: "Was derzeit in der Formel 1
passiert, ist wie eine Orgie, in der sich einer auf den anderen stürzt."
Gegenüber dem Sender "Premiere" hatte der Brite erklärt: "Ich habe keine
Meinung dazu. Ich darf das auch gar nicht, weil ich Mitglied des Weltrats
bin. Warten wir ab, was dieser entscheidet."
McLaren-Mercedes bestätigte am Sonntag vor dem Rennen in einer kurzen Presseerklärung den Erhalt der Ermittlungsunterlagen, kritisierte aber die Art und Weise "dieses völlig unnötigen Kontaktes". Das Team vermute stark, dass damit so kurz vor Beginn des Qualifyings die Vorbereitung auf das für die Startaufstellung ausschlaggebende Training und auf die Anhörung vor dem Motorsport-Weltrat gestört werden sollte. Der Rennstall McLaren sei zuversichtlich, dass er sich völlig entlasten könnte, sofern es je zu einem Verfahren kommen sollte.
Geldstrafe und WM-Ausschluss
"Wir kooperieren, um eine Lösung zu
finden", hatte Dennis am Samstag im Hinblick auf die Verhandlung in Paris
vor dem 26 Mitglieder zählenden Weltrat angekündigt. "Wir werden alles tun,
um unser Team zu verteidigen." Sollte es zu einem Schuldspruch kommen,
drohen McLaren-Mercedes im schlimmsten Fall ein WM-Ausschluss für zwei Jahre
und eine saftige Geldstrafe. Bei der ersten Verhandlung am 26. Juli hatte
das FIA-Gremium McLaren-Mercedes mangels Beweisen freigesprochen.
Alonso und Hamilton dürften davonkommen
Die beiden Piloten
Fernando Alonso und Lewis Hamilton dürften ungeschoren davonkommen, da ihnen
die FIA für den Fall vollständiger Kooperation Straffreiheit zugesagt hat.
Der spanische Doppel-Weltmeister hat bereits eingeräumt, gewisse
Informationen erhalten zu haben. "Ich habe dies der FIA aus moralischen
Gründen und aus Angst vor Lizenzentzug mitgeteilt", erklärte Alonso. Er habe
damit nicht seinem Team schaden wollen.
Sportbetrug und Spionage
Staatsanwalt Giuseppe Tibis wirft den
Betroffenen Sportbetrug, Industriespionage, Unterschlagung und die illegale
Kopie von Daten vor. Dennis und zwei McLaren-Angestellte erhielten die
entsprechenden Unterlagen der Behörde in Monza. Die anderen sollen die
Papiere in den nächsten Tagen erhalten, um sich dazu äußern zu können. Bei
McLaren sind neben Dennis Geschäftsführer Martin Whitmarsh, Generaldirektor
Jonathan Neale, Paddy Lowe, der Leiter des Ingenieurbüros, Rob Taylor, der
Chef der Designerabteilung, und der längst freigestellte ehemalige Leiter
des Designerbüros, Mike Coughlan, betroffen.
Gegen Mercedes-Angehörige liegt nichts vor. "Wir sind ein Team und arbeiten seit zwölf Jahren zusammen", stellte Mercedes-Motorsportchef Haug klar, dass der schwäbische Automobilkonzern zu seinem Partner stehe. Leider könne das Team die es entlastenden Fakten nicht vor der Anhörung vorlegen. "Wer nichts falsch gemacht hat, hat kein schlechtes Gewissen. Ich schlafe so ruhig wie nie. Das Team hat sich nichts angeeignet, was nicht erlaubt ist", sagte Haug.