Hongkong-Krise

Experte: Das könnte Chinas Regime bedrohen

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'Wir stehen an einem Punkt, wo man sehr schwer Vorhersagen treffen kann'

Eine militärische Niederschlagung der Proteste in Hongkong könnte sich zum Bumerang für das kommunistische Regime in Peking erweisen. Ein Eingreifen würde die Position Chinas in der Welt "dramatisch verändern" und "sicher die Regierung von (Präsident) Xi Jinping bedrohen", sagte der Berliner China-Experte Klaus Mühlhahn am Dienstag der APA. Peking sei in einer Lose-Lose-Situation.
 

Lose-Lose-Situation

 
"Sie haben jetzt schon verloren", sagte der Sinologie-Professor mit Blick auf den großen Autoritätsverlust Pekings im Konflikt mit der Demokratiebewegung. Eine Militäraktion in der früheren britischen Kronkolonie wäre aber "ein unglaublicher Fehler", weil sich dann eine "gewaltige internationale Front" gegen China bilden würde. Dieses sei ohnehin schon wegen des Handelsstreits international unter Druck.
 
Viele Experten würden ein Eingreifen Chinas vor diesem Hintergrund für nicht wahrscheinlich halten, so Mühlhahn. "Ich finde, es ist schwer zu sagen. Wir stehen an einem Punkt, wo man sehr schwer Vorhersagen treffen kann", sagte der Professor an der Freien Universität Berlin. Auch im Jahr 1989 habe "niemand für möglich gehalten, dass die Regierung Panzer losschickt", zog er einen Vergleich zur blutigen Niederschlagung der Proteste am Tiananmen-Platz in Peking. "Hongkong ist in einer sehr gefährlichen Situation. Es sieht nach mehr Gewaltanwendung aus."
 

Vom Ausmaß überrascht

Das Ausmaß der Protestbewegung sei eine große Überraschung für Peking gewesen. Dort habe man "völlig unterschätzt, wie groß die Abneigung (gegenüber China) in Hongkong ist". Anders als im Jahr 2014 sei ein Einlenken der Demonstranten fraglich. "Wenn sie nachgeben, verlieren sie die Mitbestimmungsmöglichkeit für die eigene Zukunft", fasste Mühlhahn die Stimmungslage der Protestierenden zusammen. Auch dürften sie einen großen Teil der Bevölkerung hinter sich haben. "Es gibt einen Teil, der schweigt, aber es ist nicht die Mehrheit", betonte er. Explizit für Peking sei vor allem der Wirtschaftssektor. Die "allerbeste Lösung" wäre, wenn die Regierung in Hongkong einen Dialog mit den Demonstranten beginnen würde, so Mühlhahn, der diesbezüglich auch von einem Rücktritt der diskreditierten Regierungschefin Carrie Lam sprach.
 
In China selbst dürfte die Agitation der Führung, wonach die Proteste von "feindlich gestimmten Kräften" gesteuert seien, bei vielen Menschen verfangen, berichtete der Experte. "Die überwiegende Mehrheit in China steht den Protesten absolut kritisch gegenüber." Allerdings seien in sozialen Medien auch Solidaritätsbekundungen von Festlandchinesen aufgetauscht. Diese hätten etwa Fotos ihrer Reisepässe veröffentlicht, verbunden mit Unterstützungserklärungen für die Proteste.
 
Unklar sei, wie sich Großbritannien und die USA im Fall einer blutigen Niederschlagung der Protestbewegung verhalten werden. Großbritannien könnte nämlich auf Basis des im Jahr 1984 geschlossenen Vertrags mit China zwar Forderungen stellen. Mühlhahn verwies diesbezüglich aber auf das Naheverhältnis des neuen britischen Premierministers Boris Johnson zu US-Präsident Donald Trump. Dieser "sieht keine amerikanischen Interessen in Hongkong". Doch könnte er unter Druck der amerikanischen Öffentlichkeit geraten, und auch Großbritannien werde bei dramatischen Bildern aus Hongkong nicht sagen können: "Da sagen wir nichts dazu."
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