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ÖSTERREICH an der Front

"Grenzenloser Terror ist jetzt Taktik von IS"

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Direkt von der Front im Kampf gegen den IS berichtet ÖSTERREICH-Reporter Karl Wendl.

Freitag, 7 Uhr früh, ich treffe Scheich Jaffer Mustafa, einen mächtigen Mann. Unter seinem Kommando stehen 60.000 kurdische Peschmerga. Zehntausende davon sind im Osten, Norden und Südosten der Millionenstadt Mosul stationiert. „Der IS kann diese Schlacht nicht gewinnen“, sagt er mit einer Mischung aus Stolz und Zuversicht: „Dutzende Dörfer haben wir in den vergangenen fünf Tagen befreit, nur zehn Männer haben wir dabei verloren, 36 wurden verletzt, die Zahl der IS-Opfer ist hoch, allein gestern haben sich 37 Selbstmordattentäter in die Luft gesprengt.“

Wir fahren in einem gepanzerten Geländewagen entlang der Frontlinie, neben sich hat der Kommandant eine Kalaschnikow, zwei Handys, vier Funkgeräte. Es geht durch ein Dutzend Ortschaften, eine ist Bartella, hier wurde gestern noch heftig gekämpft, heute ist es ruhig. Sicher.

Aber die meisten Häuser sind zerbombt, außer Peschmerga-Soldaten ist niemand zu sehen: „Die Menschen können noch nicht zurück“, sagt der Kommandant: „Die Region ist zwar sicher, aber es gibt keinen Strom, kein Wasser, keine Infrastruktur.“ Das meiste habe der IS vernichtet, der hier zwei Jahre lang gewütet hat. Der Rest wurde beim Häuserkampf vernichtet.

Terrormiliz schickt täglich
Selbstmordattentäter

Auf einer Anhöhe bleiben wir stehen. Vor uns liegt eine breite Ebene, am Ende ist Mosul: „All diese Dörfer waren in IS-Hand.“ Aus der Ferne ist das dumpfe Grollen von einschlagenden Granaten zu hören: „Unsere Artillerie“, sagt er. Es ist knapp nach neun Uhr, als sein Handy läutet. Scheich Jaffer, ein freundlicher, älterer Herr, wird ernst: „Neue Selbstmordattentäter. Sie haben in der Stadt Kirkuk eine zweite Front eröffnet.“ Kirkuk ist 120 Kilometer von Mosul entfernt, das Erdölzentrum Kurdistans: „Weil sie hier verlieren, bomben sie sich in anderen Städten in die Luft, das ist ihre Rache. Grenzenloser Terror ist jetzt ihre Taktik, aber auch das wird nichts nützen.“ Scheich Jaffer sendet eine seiner Spezialeinheiten nach Kirkuk. Die 17. Brigade. 1000 Mann samt Panzern, Panzerwagen, Geschützen. Fehlt diese Feuerkraft nun in Mosul? „Nein, rund um Mosul existiert der IS nicht mehr.“

Video zum Thema: Karl Wendl live aus dem Kriegsgebiet

Peschmerga: ›IS kann Kampf nicht gewinnen‹

Scheich Jaffer Mustafa ist Kommandant aller Peschmerga-Einheiten im Nordirak.

ÖSTERREICH: IS-Selbstmordattentäter haben heute die Stadt Kirkuk angegriffen. Neue Taktik oder Rache für die Nieder­lagen um Mosul?

Scheich Jaffer: Beides. Schon im Kampf um Mossl schickten sie ihre Selbstmordattentäter, allein gestern waren es 30. Sie wissen, dass sie den Kampf um Mosul verloren ­haben, deshalb versuchen sie, eine neue Frontlinie aufzu­machen. Wir schicken jetzt eine unserer schlagkräftigsten Einheiten nach Kirkuk.

ÖSTERREICH: Sie sagen, die Schlacht um Mosul haben die IS-Milizen verloren. Woher der Optimismus?

Scheich Jaffer: Unter meinem Kommando stehen 60.000 Mann, ein Drittel davon ist im Raum Mosul. IS hat eine Reihe von ganz dichten Verteidigungslinien rund um das Zentrum gezogen, dazu kommen die Sprengfallen, Heckenschützen und die Selbstmordattentäter. Die IS-Kämpfer sind zu allem entschlossen, sie lieben den Tod mehr als das Leben. Aber unsere Koalition aus irakischer Armee, kurdischen Peschmerga und US-Einheiten ist stark, aus meiner Sicht ist der IS in Mosul erledigt, es ist nur eine Frage der Zeit. Wir haben in den vergangenen Tagen eine Vielzahl von Dörfern rückerobert. Die Zahl unserer Opfer ist gering, wir haben zehn Mann verloren.

ÖSTERREICH: Haben Sie Informationen darüber, ob IS-Chef Baghdadi noch in Mossl ist?

Scheich Jaffer: Er ist da, wir wissen das, obwohl in den vergangenen Tagen viele führende Kader und ihre Familien Mossl verlassen haben.

ÖSTERREICH: Wie lange wird der Kampf dauern?

Scheich Jaffer: Wir haben kein Zeitlimit, im Vordergrund steht der Schutz der Zivilisten. Von den Peschmerga-Einheiten wurden schon 150 Quadratkilometer befreit. Wir haben ihre stärksten Frontlinien bereits zerstört.

ÖSTERREICH: Haben die IS-Truppen bereit signalisiert, dass sie aufgeben könnten?

Scheich Jaffer: Nein, wir haben keine Kommunikation mit den IS-Milizen. Wir hören aber ihre Funksprüche, haben Informationen aus Mosul. Nur wenige Männer in Mosul arbeiten mit dem IS zusammen. Wir wissen, dass der IS entscheidend geschwächt ist. Genaue Zahlen gibt es aber keine, auch können wir nicht sagen, wie viele ausländische Jihadisten noch in der Stadt sind. Tatsache aber ist, dass sie diese Schlacht nicht gewinnen werden.

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