Bei Botox denken die meisten von uns an glatte Stirnen und eingefrorene Gesichtsmimik, doch die Anwendung ist vielseitiger und soll bald sogar die Erektion retten.
Zornesfalte weg, glatte Stirn, das Gesicht wie frisch gebügelt: Botox, kurz für Botulinumtoxin, kennt man seit Jahren als Mittel gegen Falten im Gesicht. Doch abseits der bekannten Schönheitsbehandlungen wird Botox auch am Körper eingesetzt. Wir haben den plastischen Chirurgen und Nervenspezialisten Dr. Veith Moser über die Anwendung des legendären Stoffes unterhalb des Kinns befragt.
Muskelentspannung gezielt eingesetzt

„Botox wird generell dort eingesetzt, wo man Muskulatur schwächen oder teilweise sogar gezielt lähmen möchte“, erklärt der Arzt. „Das kann aus ästhetischen Gründen sein, um Falten zu reduzieren, oder auch aus medizinischen Gründen, wenn ein Muskel zu stark oder zu groß ist, oder wenn das Kraftverhältnis zwischen zwei Muskelgruppen aus dem Gleichgewicht geraten ist.“
Neurologische Erkrankungen
Bei neurologischen Erkrankungen geht es häufig darum, überaktive Muskelgruppen zu beruhigen. „Ein klassisches Anwendungsgebiet sind angeborene oder etwa durch Rückenmarksverletzungen erworbene Muskelerkrankungen“, so der Mediziner. „Bei solchen Fällen zieht sich die Muskulatur oft zu stark zusammen, sodass beispielsweise die Finger verkrampft zur Faust werden oder der Ellbogen dauerhaft gebeugt bleibt. Mit Botox kann man diese überaktive Muskulatur gezielt schwächen, um die Beweglichkeit zu verbessern.“
Hilfe bei Nervenkompressionen
Auch bei Engpasssyndromen, bei denen Muskeln auf Nerven drücken, kommt Botox zum Einsatz. „Ein typisches Beispiel ist das Piriformis-Syndrom, bei dem der Ischiasnerv durch zu enge anatomische Verhältnisse im Gesäßbereich gereizt wird. Durch eine gezielte Botox-Injektion in den Piriformis-Muskel können wir diesen entspannen und dem Nerv mehr Platz verschaffen“, erklärt Dr. Moser.
Ein ähnliches Verfahren wird auch beim sogenannten Kubitaltunnelsyndrom – einer Reizung des Ellennervs im Bereich des Ellenbogens – angewandt. Dr. Moser: „Etwa acht Prozent der Menschen haben dort einen zusätzlichen Muskel, der auf den Nerv drücken kann. Wird dieser mithilfe von Botox geschwächt, können die Beschwerden deutlich zurückgehen.“
Schweißfrei durch den Sommer
Ein weiteres Anwendungsfeld ist die Behandlung von übermäßigem Schwitzen, der sogenannten Hyperhidrose. „Das ist eine Anwendung, die es schon seit 30 Jahren gibt. Sie ist besonders effektiv bei starkem Schwitzen unter den Achseln, an den Händen oder Füßen – aber auch im Gesicht“, erklärt Dr. Moser. Der Effekt hält meist sechs bis neun Monate an. Mit Botox könne man die Schweißproduktion gezielt unterbinden, und das ohne Nebenwirkungen. Die Temperaturregulation des Körpers bleibt trotzdem intakt. Moser: „Gerade im Frühling und Sommer ist das für viele Patient:innen eine enorme Erleichterung. Sie fühlen sich nicht mehr stigmatisiert durch sichtbare Schweißflecken. Auch in Berufen mit Körperkontakt, wie beispielsweise bei Zahnärzt:innen, ist übermäßiges Schwitzen oft sehr störend.“
Botox gegen Reizblase
Anwendungen gibt es auch in anderen medizinischen Fachrichtungen – zum Beispiel in der Urologie. Hier wird Botox bei bestimmten Blasenfunktionsstörungen eingesetzt, vor allem bei der sogenannten überaktiven Blase sowie bei der neurogenen Blasenentleerungsstörung. Menschen mit überaktiver Blase leiden unter häufigem, plötzlichem Harndrang – oft auch nachts – und können die Entleerung oft nicht mehr kontrollieren, was zu unfreiwilligem Urinverlust führen kann.
Die Wirkung von Botox beruht auf der Blockade der Nervensignale, die für diese übermäßige Muskelaktivität verantwortlich sind. Durch die gezielte Injektion in die Blasenwand wird die Überaktivität der Muskulatur reduziert, wodurch sich die Blase besser entspannen kann. Das führt zu deutlich weniger Harndrang, weniger Inkontinenz-Episoden und insgesamt mehr Kontrolle im Alltag.
Zukunftsmusik: Botox gegen Erektionsstörungen?

Ein weiteres spannendes Einsatzgebiet, das gerade erforscht wird, ist die Behandlung von erektiler Dysfunktion. Dr. Moser: „Da wird Botox direkt in den Schwellkörper des Penis injiziert, um die Gefäße zu erweitern und die Durchblutung zu fördern.“ Studien zeigen bisher sehr vielversprechende Ergebnisse. „Das Verfahren wird bereits im Rahmen eines Off-Label-Use angewendet. (Anm. ein Medikament wird außerhalb der offiziell zugelassenen Anwendungsbereiche verwendet) Die Zulassung dafür wird aber in wenigen Jahren kommen.“
Auch in der Bauchchirurgie im Einsatz
Ein weiteres interessantes Feld ist die Anwendung von Botox bei großen Bauchwandbrüchen. „Bevor man versucht, die Bauchdecke operativ zu verschließen, kann man durch Botox-Injektionen in die Bauchmuskulatur die Spannung reduzieren“, erklärt der Arzt. „Das erleichtert die Operation und verbessert die Heilungschancen.“
Was ist mit Nebenwirkungen?
Botox gilt als sehr sicheres Medikament. „Im Vergleich zu anderen Substanzen wie Hyaluronsäure oder Eigenfett ist das Risiko für Komplikationen deutlich geringer“, betont der Nervenspezialist. „Es kann kein Gefäß verschließen, da es in einer wässrigen Lösung verabreicht wird.“ Die einzigen Nebenwirkungen ergeben sich, wenn das Mittel an eine falsche Stelle oder in einer falschen Dosierung injiziert wird. „Dann kann es etwa im Gesicht zu einem hängenden Augenlid oder zu Asymmetrien kommen. Aber auch das ist nur temporär – nach spätestens sechs Monaten ist der Effekt vollständig verschwunden.